Gemäss Lehrplan 21 ist "die Wahl von Nahrung aus gesundheitlicher Perspektive beurteilen" wichtiger als "Kochen lernen". Bild: Keystone
Düstere Aussichten für den Lehrplan 21, Basler Zeitung, 21.3. von Thomas Dähler
363 Kompetenzen und 2300
Kompetenzstufen: Der Lehrplan 21 hat inzwischen einen schweren Stand. Der von
Schulexperten erarbeitete Anforderungskatalog wird vielerorts verächtlich als
intellektuelles Geschwurbel bezeichnet. Erst kürzlich haben sich im Kanton
Zürich die Lehrkräfte aus allen Arbeitsgruppen zum Lehrplan 21 zurückgezogen.
Auch im Kanton Baselland ist die Kritik breit: Im Baselbieter Parlament hat die
Regierung letzten Donnerstag die Aufgabe erhalten, eine Gesetzesvorlage zu
erarbeiten, die verbindlich festlegt, dass in den Lehrplänen der Lernstoff
aufgeführt wird und nicht die Kompetenzen aus dem Lehrplan 21.
In
der heutigen Zusammensetzung des Liestaler Landrats ist der Lehrplan 21 weit
davon entfernt, mehrheitsfähig zu sein. Und weil der aus Experten
zusammengesetzte Bildungsrat diese Signale nicht hören will, droht ihm jetzt
sogar die Abschaffung. So weit kommt es aber möglicherweise nicht, denn in
Kürze wird das Volk über den Lehrplan 21 abstimmen – und dem Bildungsrat die
Entscheidungsgewalt über den Lehrplan 21 abnehmen.
Appenzell macht den Anfang
Das
wollten die Schulexperten auf Teufel komm raus vermeiden: Volksabstimmungen
über den Lehrplan 21. In Appenzell wird am 26. April ein erster kantonaler
Volksentscheid zum Lehrplan 21 fallen. Die Innerrhoder Landsgemeinde stimmt
über eine Initiative ab. Den Harmos-Beitritt hat die Landsgemeinde bereits
früher abgelehnt.
Auf
den 5. Juni hat die Baselbieter Regierung die Abstimmungen über die beiden
Landratsvorlagen angesetzt, die sich gegen den Lehrplan 21 richten. Es wird
dies die erste Urnenabstimmung in der Schweiz über den umstrittenen
Kompetenzenkatalog sein. Die beiden Vorlagen «Einführung Lehrplan 21» und
«Verzicht auf kostentreibende Sammelfächer» gehen auf Parlamentarische
Initiativen von Landrat Jürg Wiedemann zurück, dem Kopf des Komitees Starke Schule
Baselland. Zu den Mitunterzeichnern gehört auch die heutige
Bildungsdirektorin Monica Gschwind.
Formell
geht es um Teilrevisionen des Bildungsgesetzes: Anstelle des Bildungsrats soll
das Parlament über die Einführung des Lehrplans 21 entscheiden – wenn nötig
rückwirkend. Und mit dem Verzicht auf die Sammelfächer des Lehrplans 21 sollen
die Fächer Geografie, Geschichte, Physik, Biologie, Chemie und Hauswirtschaft
beibehalten werden. Die Sammelfächer «Räume, Zeiten, Gesellschaften» (anstelle
von Geografie und Geschichte), «Natur und Technik» (anstelle von Physik,
Biologie und Chemie) und «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» (anstelle von
Hauswirtschaft) sind Erfindungen des Lehrplans 21 und besonders umstritten,
weil an den Universitäten weiterhin die Einzelfächer zu studieren sind.
Ausserdem würden die Sammelfächer des Lehrplans 21 vielerorts von nicht in
allen Teilfächern ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet.
EDK gegen Abstimmungen
Auf
der interkantonalen Ebene hat sich die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK)
vergeblich gegen solche Volksabstimmungen in den Kantonen gewehrt. Die EDK
stellt sich auf den Standpunkt, dass der Lehrplan 21 durch den von Volk und
Ständen beschlossenen Artikel in der Bundesverfassung bereits genügend
legitimiert ist. Die Kantone Appenzell Innerrhoden und Basel-Landschaft machen
jedoch nur den Anfang in einer Reihe von kantonalen Abstimmungen über den
Lehrplan 21. Fest steht bereits, dass es auch in den Kantonen Zürich, Aargau,
Thurgau, St. Gallen und Schaffhausen zu Volksabstimmungen kommen wird. In
weiteren Kantonen sind die Unterschriftensammlungen noch im Gang. Bleibt der
Lehrplan 21 in Appenzell und im Baselbiet auf der Strecke, ist er bei den
nachfolgenden kantonalen Abstimmungen bereits kein einheitlicher Lehrplan mehr.
Appenzell Innerrhoden ist ein kleiner Kanton. Der Baselbieter Entscheid aber
wird über den Kanton hinaus Bedeutung erhalten.
Zu
erwarten ist vor dem Urnengang im Baselbiet ein heftiger Abstimmungskampf für
oder gegen den Lehrplan 21. Den einheitlichen Lehrplan haben Schulexperten aus
den 21 Deutschschweizer Kantonen erarbeitet. Dass es Schulexperten waren, sieht
man dem umfangreichen Anforderungskatalog in dem Werk auf den ersten Blick an:
Formuliert ist der Lehrplan 21 im Jargon der Schulexperten. Er geht weiter, als
es dies der Bildungsartikel verlangt, der von den Schweizer Stimmberechtigten
im Mai 2006 beschlossen wurde. Dort heisst es wörtlich nämlich nur: «Bund und
Kantone sorgen gemeinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine hohe
Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz. Sie koordinieren ihre
Anstrengungen und stellen ihre Zusammenarbeit durch gemeinsame Organe und
andere Vorkehren sicher.» Daraus haben die Bildungsexperten 363 Kompetenzen und
2300 Kompetenzstufen formuliert. Es heisst da etwa: «Schülerinnen und Schüler
können eine inhaltliche und grammatikalische Lesererwartung aufbauen» oder
«Schülerinnen und Schüler können zeigen, wie sie zählen» – Schuldeutsch, wie es
Schulexperten eigen ist.
Ideologisch nicht neutral
Dass
die Schulexperten keine Freude an Volksabstimmungen haben, ist auch
nachvollziehbar, wenn man den Lehrplan 21 etwas unter die Lupe nimmt. Er ist
ideologisch nicht neutral formuliert und enthält neben den eigentlichen
Lernzielen auch ideologisch motivierte Anforderungen. Die Hauptkritik richtet
sich aber gegen die Kompetenzen, die an die Stelle der früheren Lerninhalte
treten, verbunden mit einer Ablösung sämtlicher heutiger Lehrmittel mit
entsprechenden Kosten.
In
der Broschüre «Einspruch» warnen die Kritiker vor einer «marktförmigen
Instrumentalisierung der Schule». Die Schule sei kein Wirtschaftsbetrieb,
sondern ein Service public. «Die Schule ist nicht Tummelfeld vorab ideologisch
motivierter, sich der Demokratie verschliessender Bildungsbürokraten»,
schreibt die Aktion Bildungs-Kompass. Das Komitee Starke Schule Baselland
kritisiert, dass der Lehrplan 21 die Leistungsniveaus nicht unterscheidet. «Der
Lehrplan 21 wirft alle Schüler und Schülerinnen in den gleichen Topf», sagte
Geschäftsleiterin Saskia Olsson an einer Medienkonferenz. «Die Folgen sind
absehbar: Leistungsschwache Schüler werden überfordert und leistungsstarke
unterfordert.»
Bei
der Baselbieter Abstimmung geht es in erster Linie um die
Entscheidungskompetenz des Landrats, der gewählten Volksvertreter. «Die
SP-Fraktion will eine Volksabstimmung und die dadurch entstehende
Verunsicherung vermeiden», sagte SP-Fraktionschefin Miriam Locher im Landrat.
«Der Lehrplan 21 ist und bleibt ein Lehrplan der Volksschule», konterte
SVP-Landrat Paul Wenger. Die Aktion Bildungskompass geht noch weiter: «Alle
wichtigen bildungspolitischen Entscheide» sollen «der demokratischen
Mitbestimmung durch den Souverän» unterliegen.
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