21. März 2016

Lehrplan 21 vor Abstimmungsmarathon

In den meisten Kantonen wird an der Urna über den einheits-Kompetenzenkatalog für die Schulen entschieden.













Gemäss Lehrplan 21 ist "die Wahl von Nahrung aus gesundheitlicher Perspektive beurteilen" wichtiger als "Kochen lernen". Bild: Keystone
Düstere Aussichten für den Lehrplan 21, Basler Zeitung, 21.3. von Thomas Dähler


363 Kompetenzen und 2300 Kompetenzstufen: Der Lehrplan 21 hat inzwischen einen schweren Stand. Der von Schulexperten erarbeitete Anforderungskatalog wird vielerorts verächtlich als intellektuelles Geschwurbel bezeichnet. Erst kürzlich haben sich im Kanton Zürich die Lehrkräfte aus allen Arbeitsgruppen zum Lehrplan 21 zurückgezogen. Auch im Kanton Baselland ist die Kritik breit: Im Baselbieter Parlament hat die Regierung letzten Donnerstag die Aufgabe erhalten, eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten, die verbindlich festlegt, dass in den Lehrplänen der Lernstoff aufgeführt wird und nicht die Kompetenzen aus dem Lehrplan 21.

In der heutigen Zusammensetzung des Liestaler Landrats ist der Lehrplan 21 weit davon entfernt, mehrheitsfähig zu sein. Und weil der aus Experten zusammengesetzte Bildungsrat diese Signale nicht hören will, droht ihm jetzt sogar die Abschaffung. So weit kommt es aber möglicherweise nicht, denn in Kürze wird das Volk über den Lehrplan 21 abstimmen – und dem Bildungsrat die Entscheidungsgewalt über den Lehrplan 21 abnehmen.
Appenzell macht den Anfang
Das wollten die Schulexperten auf Teufel komm raus vermeiden: Volksabstimmungen über den Lehrplan 21. In Appenzell wird am 26. April ein erster kantonaler Volksentscheid zum Lehrplan 21 fallen. Die Innerrhoder Landsgemeinde stimmt über eine Initiative ab. Den Harmos-Beitritt hat die Landsgemeinde bereits früher abgelehnt.

Auf den 5. Juni hat die Baselbieter Regierung die Abstimmungen über die beiden Landratsvorlagen angesetzt, die sich gegen den Lehrplan 21 richten. Es wird dies die erste Urnenabstimmung in der Schweiz über den umstrittenen Kompetenzenkatalog sein. Die beiden Vorlagen «Einführung Lehrplan 21» und «Verzicht auf kostentreibende Sammelfächer» gehen auf Parlamentarische Initiativen von Landrat Jürg Wiedemann zurück, dem Kopf des Komitees Starke Schule Baselland. Zu den Mitunterzeichnern ge­­hört auch die heutige Bildungsdirektorin Monica Gschwind.

Formell geht es um Teilrevisionen des Bildungsgesetzes: Anstelle des Bildungsrats soll das Parlament über die Einführung des Lehrplans 21 entscheiden – wenn nötig rückwirkend. Und mit dem Verzicht auf die Sammelfächer des Lehrplans 21 sollen die Fächer Geografie, Geschichte, Physik, Biologie, Chemie und Hauswirtschaft beibehalten werden. Die Sammelfächer «Räume, Zeiten, Gesellschaften» (anstelle von Geografie und Geschichte), «Natur und Technik» (anstelle von Physik, Biologie und Chemie) und «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» (anstelle von Hauswirtschaft) sind Erfindungen des Lehrplans 21 und besonders umstritten, weil an den Universitäten weiterhin die Einzelfächer zu studieren sind. Ausserdem würden die Sammelfächer des Lehrplans 21 vielerorts von nicht in allen Teilfächern ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet.
EDK gegen Abstimmungen
Auf der interkantonalen Ebene hat sich die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) vergeblich gegen solche Volksabstimmungen in den Kantonen gewehrt. Die EDK stellt sich auf den Standpunkt, dass der Lehrplan 21 durch den von Volk und Ständen beschlossenen Artikel in der Bundesverfassung bereits genügend legitimiert ist. Die Kantone Appenzell Innerrhoden und Basel-Landschaft machen jedoch nur den Anfang in einer Reihe von kantonalen Abstimmungen über den Lehrplan 21. Fest steht bereits, dass es auch in den Kantonen Zürich, Aargau, Thurgau, St. Gallen und Schaffhausen zu Volksabstimmungen kommen wird. In weiteren Kantonen sind die Unterschriftensammlungen noch im Gang. Bleibt der Lehrplan 21 in Appenzell und im Baselbiet auf der Strecke, ist er bei den nachfolgenden kantonalen Abstimmungen bereits kein einheitlicher Lehrplan mehr. Appenzell Innerrhoden ist ein kleiner Kanton. Der Baselbieter Entscheid aber wird über den Kanton hinaus Bedeutung erhalten.

Zu erwarten ist vor dem Urnengang im Baselbiet ein heftiger Abstimmungskampf für oder gegen den Lehrplan 21. Den einheitlichen Lehrplan haben Schulexperten aus den 21 Deutschschweizer Kantonen erarbeitet. Dass es Schulexperten waren, sieht man dem umfangreichen Anforderungskatalog in dem Werk auf den ersten Blick an: Formuliert ist der Lehrplan 21 im Jargon der Schulexperten. Er geht weiter, als es dies der Bildungsartikel verlangt, der von den Schweizer Stimmberechtigten im Mai 2006 beschlossen wurde. Dort heisst es wörtlich nämlich nur: «Bund und Kantone sorgen ge­meinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz. Sie koordinieren ihre Anstrengungen und stellen ihre Zusammenarbeit durch gemeinsame Organe und andere Vorkehren sicher.» Daraus haben die Bildungsexperten 363 Kompetenzen und 2300 Kompetenzstufen formuliert. Es heisst da etwa: «Schülerinnen und Schüler können eine inhaltliche und grammatikalische Lesererwartung aufbauen» oder «Schülerinnen und Schüler können zeigen, wie sie zählen» – Schuldeutsch, wie es Schulexperten eigen ist.
Ideologisch nicht neutral
Dass die Schulexperten keine Freude an Volksabstimmungen haben, ist auch nachvollziehbar, wenn man den Lehrplan 21 etwas unter die Lupe nimmt. Er ist ideologisch nicht neutral formuliert und enthält neben den eigentlichen Lernzielen auch ideologisch motivierte Anforderungen. Die Hauptkritik richtet sich aber gegen die Kompetenzen, die an die Stelle der früheren Lerninhalte treten, verbunden mit einer Ablösung sämtlicher heutiger Lehrmittel mit entsprechenden Kosten.

In der Broschüre «Einspruch» warnen die Kritiker vor einer «marktförmigen Instrumentalisierung der Schule». Die Schule sei kein Wirtschaftsbetrieb, sondern ein Service public. «Die Schule ist nicht Tummelfeld vorab ideologisch motivierter, sich der Demokratie ­verschliessender Bildungsbürokraten», schreibt die Aktion Bildungs-Kompass. Das Komitee Starke Schule Baselland kritisiert, dass der Lehrplan 21 die Leistungsniveaus nicht unterscheidet. «Der Lehrplan 21 wirft alle Schüler und Schülerinnen in den gleichen Topf», sagte Geschäftsleiterin Saskia Olsson an einer Medienkonferenz. «Die Folgen sind absehbar: Leistungsschwache Schüler werden überfordert und leistungsstarke unterfordert.»

Bei der Baselbieter Abstimmung geht es in erster Linie um die Entscheidungskompetenz des Landrats, der gewählten Volksvertreter. «Die SP-Fraktion will eine Volksabstimmung und die dadurch entstehende Verunsicherung vermeiden», sagte SP-Fraktionschefin Miriam Locher im Landrat. «Der Lehrplan 21 ist und bleibt ein Lehrplan der Volksschule», konterte SVP-Landrat Paul Wenger. Die Aktion Bildungskompass geht noch weiter: «Alle wichtigen bildungspolitischen Entscheide» sollen «der demokratischen Mitbestimmung durch den Souverän» unterliegen.

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