Schriftdidaktiker Jürg Keller hat die neuen Schreibhefte für den Zürcher Lehrmittelverlag entworfen, Bild: Doris Fanconi
Zürich leistet sich "Extrawurst" im Schreibunterricht, Tages Anzeiger, 15.2. von Beat Metzler
Wer hat sie erfunden? Es war Hans
Eduard Meier. Der mittlerweile verstorbene Glarner Grafiker entwickelte vor
rund 15 Jahren die Basisschrift – als einfachere handschriftliche
Alternative zur verbundenen Schnürlischrift.
Meiers Idee
umgesetzt haben aber weder Glarus noch Zürich. Es war Luzern, das die
Basisschrift für die Schule tauglich machte und sie schon 2006 einführte.
Seither sind zwölf Deutschschweizer Kantone diesem Vorbild gefolgt und haben an
ihren Schulen die Schnürlischrift ersetzt.
Diesen Sommer
wird auf Geheiss des Bildungsrates auch Zürich nachziehen – und zwar mit einem
eigenen Schulbuch. Der kantonale Lehrmittelverlag gibt pünktlich zur Umstellung
drei neue Schreibhefte heraus.
Das kommt
nicht überall gut an. Sowohl in der Zürcher wie der Innerschweizer Lehrerschaft
gibt es Kritik. Denn der Lehrmittelverlag Luzern hat bereits 2011 ein
Lehrmittel für die Basisschrift veröffentlicht, das mehrere Kantone übernommen
haben. Auch private Verlage haben Lehrmittel erarbeitet, mit denen unterrichtet
wird. «Ich verstehe nicht, warum Zürich eine Extrawurst braucht», sagt unter
anderen eine Zürcher Primarlehrerin, die anonym bleiben will. Der Kanton müsse
bei der Bildung sparen, trotzdem leiste er sich
ein eigenes Lehrmittel, wo es doch bewährte Alternativen gäbe.
Um wie viel
Geld es geht, wie viel die Entwicklung der neuen Zürcher Schreiblehrmittel
gekostet haben, will die Bildungsdirektion nicht bekannt geben. Der Zürcher
Lehrmittelverlag stehe in Konkurrenz zu anderen Verlagen, daher müssten seine
Ausgaben geheim bleiben, sagt Brigitte Mühlemann, stellvertretende Leiterin des
Volksschulamtes. Sie beteuert allerdings, dass die Umstellung dem Kanton keine
Mehrkosten verursache. Der Lehrmittelverlag bekomme keine Subventionen, seine
Bücher finanziere er über den Verkauf.
Private fühlen sich benachteiligt
Im Schweizer
Lehrmittelmarkt geht es um viel Geld, pro Jahr werden schätzungsweise
100 Millionen Franken umgesetzt. Um diesen Betrag kämpfen fünf kantonale
und Dutzende private Verlage. Dabei profitieren die kantonalen Verlage oft von
einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Die Kantone erklären ihre eigenen
Lehrmittel zum Pflichtstoff, was breiten Absatz garantiert. Zürich etwa
schreibt in fast allen Hauptfächern ein eigenes Lehrmittel vor.
Eine Ausnahme
gilt im Englischunterricht. Viele Zürcher Lehrerinnen und Lehrer hatten sich
geweigert, das angeordnete Englischlehrmittel zu verwenden. Sie bezeichneten
die Bücher, die der Zürcher Lehrmittelverlag für 16 Millionen Franken
entwickelt hatte, als unbrauchbar. Lieber unterrichteten sie mit einem Produkt
der privaten Konkurrenz – trotz offiziellem Verbot. Im Dezember 2012 hob der
Bildungsrat unter Druck das Obligatorium auf. Lehrerinnen und Politiker halten
das jetzige System für ungenügend: «Die Lehrmittelverlage könnten sicher besser
zusammenarbeiten und Geld sparen», sagt Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher
Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Nicht jeder Kanton müsse jedes Lehrmittel neu
erfinden. Auch die grüne Kantonsrätin und Bildungspolitikerin Esther Guyer
wünscht sich eine bessere Koordination zwischen den Verlagen. «Oft ist es eine
reine Prestigesache. Alle glauben, es noch besser machen zu können, obwohl das
gar nicht nötig wäre.»
Eine Änderung
bringen soll Lehrplan 21, der für die ganze Deutschschweiz gelten soll. Er
gibt vor, welche Fähigkeiten Schüler erlangen müssen. «Damit schafft er
einheitliche Grundlagen für Lehrmittel», sagt Lilo Lätzsch. Darauf hoffen auch
die privaten Verlage, die sich durch die Absatzgarantien für die kantonalen
Verlage benachteiligt fühlen. «Dank der Harmonisierung ist es nicht mehr nötig,
dass jeder Kanton ein auf seinen Lehrplan abgestimmtes Lehrmittel entwickelt»,
sagt Beat Kunz, Sprecher von Klett und Balmer, dem grössten privaten Schweizer
Lehrmittelverlag. Somit könnten die Kantone problemlos Schulbücher anderer
Verlage einsetzen.
Lilo Lätzsch
hielte es für ideal, wenn Schulen pro Fach zwischen zwei bis drei bewährten
Lehrmitteln auswählen könnten. Bei der Einführung der Basisschrift wird dies
bereits so ablaufen. Zürich hat seine drei neuen ABC-Schreibhefte nicht für
verbindlich erklärt. Lehrerinnen und Lehrer dürfen also auch andere Schulbücher
verwenden.
Die Zürcher
Schreibhefte seien keine Neuerfindung, verteidigt sich Brigitte Mühlemann vom
Volksschulamt. Es handle sich um eine Weiterentwicklung der bestehenden Hefte
für den bisherigen Unterricht in Stein- und Mühlemann. Der Luzerner
Lehrmittelverlag habe beim Beschluss nichts Vergleichbares geboten.
Mehr als abschreiben
Durchgeführt
hat die Überarbeitung der erfahrene Schriftdidaktiker Jürg Keller. Momentan
befindet sich seine Arbeit in der Abschlussphase, im April erscheinen die
Hefte. «Sie schulen die feinmotorische Bewegung», sagt Keller. In
unterschiedlichsten Übungen lernten die Kinder ein rhythmisches, lockeres und
zügiges Schreiben. Reines Abmalen, wie es klassische Schönschreibhefte
vorgaben, komme nicht mehr vor. «Dafür nehmen spielerische Ansätze Techniken am
Computer vorweg.» Bis zum Beginn des neuen Schuljahrs wird Jürg Keller Zürcher
Primarlehrer ausserdem in Kursen auf die Basisschrift vorbereiten.
Keller selber
hat sich übrigens mehrmals kritisch zur Basisschrift geäussert. Einige Vorbehalte
habe er weiterhin, sagt er. «Aber nun ist sie beschlossen und wir machen das
Beste daraus.»
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