15. Februar 2016

Zürich will eigenes Schreib-Lehrmittel

In etlichen Deutschschweizer Kantonen wird die Basisschrift mit einem Lehrmittel aus Luzern gelehrt. Nun schafft auch Zürich die Schnürlischrift ab - und will ein eigenes Lehrmittel.














Schriftdidaktiker Jürg Keller hat die neuen Schreibhefte für den Zürcher Lehrmittelverlag entworfen, Bild: Doris Fanconi
Zürich leistet sich "Extrawurst" im Schreibunterricht, Tages Anzeiger, 15.2. von Beat Metzler


Wer hat sie erfunden? Es war Hans Eduard Meier. Der mittlerweile ver­storbene Glarner Grafiker entwickelte vor rund 15 Jahren die Basisschrift – als einfachere handschriftliche Alternative zur verbundenen Schnürlischrift.

Meiers Idee umgesetzt haben aber weder Glarus noch Zürich. Es war Luzern, das die Basisschrift für die Schule tauglich machte und sie schon 2006 einführte. Seither sind zwölf Deutschschweizer Kantone diesem Vorbild gefolgt und haben an ihren Schulen die Schnürlischrift ersetzt.

Diesen Sommer wird auf Geheiss des Bildungsrates auch Zürich nachziehen – und zwar mit einem eigenen Schulbuch. Der kantonale Lehrmittelverlag gibt pünktlich zur Umstellung drei neue Schreibhefte heraus.

Das kommt nicht überall gut an. Sowohl in der Zürcher wie der Innerschweizer Lehrerschaft gibt es Kritik. Denn der Lehrmittelverlag Luzern hat bereits 2011 ein Lehrmittel für die Basisschrift veröffentlicht, das mehrere Kantone übernommen haben. Auch private Verlage haben Lehrmittel erarbeitet, mit denen unterrichtet wird. «Ich verstehe nicht, warum Zürich eine Extrawurst braucht», sagt unter anderen eine Zürcher Primarlehrerin, die anonym bleiben will. Der Kanton müsse bei der Bildung sparen, trotzdem leiste er sich ein eigenes Lehrmittel, wo es doch bewährte Alternativen gäbe.

Um wie viel Geld es geht, wie viel die Entwicklung der neuen Zürcher Schreiblehrmittel gekostet haben, will die Bildungsdirektion nicht bekannt geben. Der Zürcher Lehrmittelverlag stehe in Konkurrenz zu anderen Verlagen, daher müssten seine Ausgaben geheim bleiben, sagt Brigitte Mühlemann, stellvertretende Leiterin des Volksschulamtes. Sie beteuert allerdings, dass die Umstellung dem Kanton keine Mehrkosten verursache. Der Lehrmittelverlag bekomme keine Subventionen, seine Bücher finanziere er über den Verkauf.

Private fühlen sich benachteiligt
Im Schweizer Lehrmittelmarkt geht es um viel Geld, pro Jahr werden schätzungsweise 100 Millionen Franken umgesetzt. Um diesen Betrag kämpfen fünf kantonale und Dutzende private Verlage. Dabei profitieren die kantonalen Verlage oft von einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Die Kantone erklären ihre eigenen Lehrmittel zum Pflichtstoff, was breiten Absatz garantiert. ­Zürich etwa schreibt in fast allen Haupt­fächern ein eigenes Lehrmittel vor.

Eine Ausnahme gilt im Englisch­unterricht. Viele Zürcher Lehrerinnen und Lehrer hatten sich geweigert, das angeordnete Englischlehrmittel zu verwenden. Sie bezeichneten die Bücher, die der Zürcher Lehrmittelverlag für 16 Millionen Franken entwickelt hatte, als unbrauchbar. Lieber unterrichteten sie mit einem Produkt der privaten Konkurrenz – trotz offiziellem Verbot. Im Dezember 2012 hob der Bildungsrat unter Druck das Obligatorium auf. Lehrerinnen und Politiker halten das jetzige System für ungenügend: «Die Lehrmittelverlage könnten sicher besser zusammenarbeiten und Geld sparen», sagt Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Nicht jeder Kanton müsse jedes Lehrmittel neu erfinden. Auch die grüne Kantonsrätin und Bildungspolitikerin Esther Guyer wünscht sich eine bessere Koordination zwischen den Verlagen. «Oft ist es eine reine Prestigesache. Alle glauben, es noch besser machen zu können, obwohl das gar nicht nötig wäre.»

Eine Änderung bringen soll Lehrplan 21, der für die ganze Deutschschweiz gelten soll. Er gibt vor, welche Fähigkeiten Schüler erlangen müssen. «Damit schafft er einheitliche Grundlagen für Lehrmittel», sagt Lilo Lätzsch. Darauf hoffen auch die privaten Verlage, die sich durch die Absatzgarantien für die kantonalen Verlage benachteiligt fühlen. «Dank der Harmonisierung ist es nicht mehr nötig, dass jeder Kanton ein auf seinen Lehrplan abgestimmtes Lehrmittel entwickelt», sagt Beat Kunz, Sprecher von Klett und Balmer, dem grössten privaten Schweizer Lehrmittelverlag. Somit könnten die Kantone problemlos Schulbücher anderer Verlage einsetzen.

Lilo Lätzsch hielte es für ideal, wenn Schulen pro Fach zwischen zwei bis drei bewährten Lehrmitteln auswählen könnten. Bei der Einführung der Basisschrift wird dies bereits so ablaufen. Zürich hat seine drei neuen ABC-Schreibhefte nicht für verbindlich erklärt. Lehrerinnen und Lehrer dürfen also auch andere Schulbücher verwenden.
Die Zürcher Schreibhefte seien keine Neuerfindung, verteidigt sich Brigitte Mühlemann vom Volksschulamt. Es handle sich um eine Weiterentwicklung der bestehenden Hefte für den bisherigen Unterricht in Stein- und Mühlemann. Der Luzerner Lehrmittelverlag habe beim Beschluss nichts Vergleich­bares geboten.

Mehr als abschreiben
Durchgeführt hat die Überarbeitung der erfahrene Schriftdidaktiker Jürg Keller. Momentan befindet sich seine Arbeit in der Abschlussphase, im April er­scheinen die Hefte. «Sie schulen die feinmotorische Bewegung», sagt Keller. In unterschiedlichsten Übungen lernten die Kinder ein rhythmisches, lockeres und zügiges Schreiben. Reines Abmalen, wie es klassische Schönschreibhefte vorgaben, komme nicht mehr vor. «Dafür nehmen spielerische Ansätze Techniken am Computer vorweg.» Bis zum Beginn des neuen Schuljahrs wird Jürg Keller Zürcher Primarlehrer ausserdem in Kursen auf die Basisschrift vorbereiten.

Keller selber hat sich übrigens mehrmals kritisch zur Basisschrift geäussert. Einige Vorbehalte habe er weiterhin, sagt er. «Aber nun ist sie beschlossen und wir machen das Beste daraus.»


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