23. November 2015

LCH prüft Beschwerde

Gemäss dem neuen Thurgauer Volksschulgesetz können Schulen von Eltern eine Kostenbeteiligung für Deutschnachhilfe ihrer Kinder verlangen. Der Lehrer-Dachverband prüft eine staatsrechtliche Beschwerde, denn gemäss Bundesverfassung müssen öffentliche Schulen kostenlos sein.












Kindergärtner sollten die Kindergärtnerin verstehen, Bild: Nana do Carmo

Schweizer Lehrerverband greift ein, Thurgauer Zeitung, 23.11. von Thomas Wunderlin


Manche Kinder bringen die Kindergärtnerin zur Verzweiflung – obwohl sie seit langem im Land leben, sprechen sie kaum ein Wort Deutsch. Von den 350 Frauenfelder Kindern, die 2013 den Nachhilfeunterricht «Deutsch als Zweitsprache» belegten, hatten beispielsweise 42 Prozent das Schweizer Bürgerrecht. «Bei manchen sind schon die Eltern hier geboren worden», sagt der Frauenfelder Schulpräsident Andreas Wirth. Ein Jahr vor dem Eintritt in den Kindergarten weisen Stadt und Schule deshalb in einem Elternbrief auf die Wichtigkeit von Deutschkenntnissen hin. Eltern sollen ihre Kinder allenfalls in eine Spielgruppe schicken.
Kostenbeteiligung legalisiert
Der Thurgauer Grosse Rat gibt nun den Schulen das Recht, «in besonderen Fällen» von Eltern eine Kostenbeteiligung für die Deutschnachhilfe zu verlangen. Damit wird eine Praxis legalisiert, die einige Schulgemeinden bereits eingeführt haben. Eltern sollen allenfalls auch an die Kosten eines Dolmetschers beitragen. Gemäss der letzten Mittwoch verabschiedeten Revision des Schulgesetzes können Schulen von den Eltern ausserdem für Schullager Beiträge verlangen. Bisher konnten sie das nur mit der Einschränkung «im Umfang der zu Hause anfallenden durchschnittlichen Einsparungen».
Der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH prüft eine staatsrechtliche Beschwerde gegen diese Neuerungen. Federführend ist der LCH-Chefpädagoge. Jürg Brühlmann, Leiter der pädagogischen Arbeitsstelle des LCH, hat sein Büro an seinem Wohnort in Kreuzlingen. Andere Kantone, etwa der Aargau, warten laut Brühlmann ab, was der Thurgau mache, um etwas Ähnliches zu tun. Nach seiner Meinung verstossen die Änderungen gegen Artikel 62 der Bundesverfassung, der besagt, dass der Unterricht an öffentlichen Schulen unentgeltlich ist. «Wenn man Teilbereiche kostenpflichtig macht», sagt Brühlmann, «haben wir ein Problem.» Die öffentliche Schule müsse nach Meinung des LCH unentgeltlich bleiben: «Sonst haben wir den ersten Schritt zur Privatisierung gemacht.» Es sei ärgerlich, wenn Kindergärtler kein Deutsch können, sagt Brühlmann. Die gewählte Lösung des Problems sei aber die falsche.
Marianne Guhl hatte die Kostenbeteiligung der Eltern bekämpft. «Es trifft die Ärmsten», sagt die Steckborner SP-Kantonsrätin. Man könne es ihnen vorwerfen, wenn sie kein Deutsch gelernt hätten und deswegen auch ihre Kinder nicht. «Aber es sind Leute, die sich nicht trauen, mit unserer Gesellschaft in Kontakt zu treten.»
Bei den Skilagern habe man es früher mit Naturalspenden gemacht, sagt der LCH-Chefpädagoge Brühlmann. «Meine Eltern haben mir beispielsweise einen Packen Reis mitgegeben. Heute sagt die Schule, es kostet so und so viel.» Eltern müssten in die Klassenkasse einzahlen und ihren Kindern eine Skiausrüstung kaufen. Wenn die Eltern zusammen nur 5000 Franken verdienten, könnten sie sich solche Beiträge kaum leisten. Gebe es viele von ihnen, würden es sich die Schulen gut überlegen, ob sie überhaupt ein Lager organisieren. Das ist laut Brühlmann eine Benachteiligung gegenüber wohlhabenden Orten wie Bottighofen oder Salenstein.
Über das Vorgehen des LCH wundert sich der Präsident der vorberatenden Kommission, Peter Gubser (SP, Arbon): «Wir haben so viele schulpolitische Probleme, und nun befasst sich der LCH mit solchen Sachen.» Viele Gemeinden würden viel tun, damit Vorschulkinder Deutsch lernten. «Es gibt aber immer wieder Leute, die klemmen.» Auf sie wolle man Druck ausüben.
Die Schulgemeinden könnten Eltern helfen, wenn sie Lagerbeiträge nicht zahlen könnten, weiss Gubser, ein ehemaliger Lehrer. «In meiner Praxis ist das ein paar Mal vorgekommen.»
Ab und zu gebe es Familien, die lange in der Schweiz lebten, aber kein Deutsch sprächen, sagt Felix Züst, Präsident des Verbands der Thurgauer Schulgemeinden. «Wir wollen die Eltern verpflichten: Jetzt müsst ihr die Kinder fördern.»
Thurgauer Lehrer für Vorlage
Anne Varenne, Präsidentin von Bildung Thurgau, kommentiert den Vorstoss ihres Dachverbands nicht. Sie suche das Gespräch mit dem LCH. Bildung Thurgau habe zugestimmt, dass Eltern die Kosten auferlegt werden in besonderen Fällen. Nämlich wenn sie über längere Zeit die Möglichkeit hatten, ihre Kinder Deutsch lernen zu lassen, und sich geweigert hatten, diese zu nützen. «Entscheidend wird die Verordnung sein. Da werden wir genau hinsehen.»


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