Gemäss dem
neuen Thurgauer Volksschulgesetz können Schulen von Eltern eine
Kostenbeteiligung für Deutschnachhilfe ihrer Kinder verlangen. Der
Lehrer-Dachverband prüft eine staatsrechtliche Beschwerde, denn gemäss
Bundesverfassung müssen öffentliche Schulen kostenlos sein.
Kindergärtner sollten die Kindergärtnerin verstehen, Bild: Nana do Carmo
Manche Kinder bringen die Kindergärtnerin zur Verzweiflung – obwohl sie
seit langem im Land leben, sprechen sie kaum ein Wort Deutsch. Von den 350
Frauenfelder Kindern, die 2013 den Nachhilfeunterricht «Deutsch als
Zweitsprache» belegten, hatten beispielsweise 42 Prozent das Schweizer
Bürgerrecht. «Bei manchen sind schon die Eltern hier geboren worden», sagt der
Frauenfelder Schulpräsident Andreas Wirth. Ein Jahr vor dem Eintritt in den
Kindergarten weisen Stadt und Schule deshalb in einem Elternbrief auf die
Wichtigkeit von Deutschkenntnissen hin. Eltern sollen ihre Kinder allenfalls in
eine Spielgruppe schicken.
Kostenbeteiligung
legalisiert
Der Thurgauer Grosse Rat gibt nun den Schulen das Recht, «in besonderen
Fällen» von Eltern eine Kostenbeteiligung für die Deutschnachhilfe zu
verlangen. Damit wird eine Praxis legalisiert, die einige Schulgemeinden
bereits eingeführt haben. Eltern sollen allenfalls auch an die Kosten eines
Dolmetschers beitragen. Gemäss der letzten Mittwoch verabschiedeten Revision des
Schulgesetzes können Schulen von den Eltern ausserdem für Schullager Beiträge
verlangen. Bisher konnten sie das nur mit der Einschränkung «im Umfang der zu
Hause anfallenden durchschnittlichen Einsparungen».
Der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH prüft eine
staatsrechtliche Beschwerde gegen diese Neuerungen. Federführend ist der
LCH-Chefpädagoge. Jürg Brühlmann, Leiter der pädagogischen Arbeitsstelle des
LCH, hat sein Büro an seinem Wohnort in Kreuzlingen. Andere Kantone, etwa der
Aargau, warten laut Brühlmann ab, was der Thurgau mache, um etwas Ähnliches zu
tun. Nach seiner Meinung verstossen die Änderungen gegen Artikel 62 der
Bundesverfassung, der besagt, dass der Unterricht an öffentlichen Schulen
unentgeltlich ist. «Wenn man Teilbereiche kostenpflichtig macht», sagt
Brühlmann, «haben wir ein Problem.» Die öffentliche Schule müsse nach Meinung
des LCH unentgeltlich bleiben: «Sonst haben wir den ersten Schritt zur
Privatisierung gemacht.» Es sei ärgerlich, wenn Kindergärtler kein Deutsch können,
sagt Brühlmann. Die gewählte Lösung des Problems sei aber die falsche.
Marianne Guhl hatte die Kostenbeteiligung der Eltern bekämpft. «Es
trifft die Ärmsten», sagt die Steckborner SP-Kantonsrätin. Man könne es ihnen
vorwerfen, wenn sie kein Deutsch gelernt hätten und deswegen auch ihre Kinder
nicht. «Aber es sind Leute, die sich nicht trauen, mit unserer Gesellschaft in
Kontakt zu treten.»
Bei den Skilagern habe man es früher mit Naturalspenden gemacht, sagt
der LCH-Chefpädagoge Brühlmann. «Meine Eltern haben mir beispielsweise einen
Packen Reis mitgegeben. Heute sagt die Schule, es kostet so und so viel.»
Eltern müssten in die Klassenkasse einzahlen und ihren Kindern eine
Skiausrüstung kaufen. Wenn die Eltern zusammen nur 5000 Franken verdienten, könnten
sie sich solche Beiträge kaum leisten. Gebe es viele von ihnen, würden es sich
die Schulen gut überlegen, ob sie überhaupt ein Lager organisieren. Das ist
laut Brühlmann eine Benachteiligung gegenüber wohlhabenden Orten wie
Bottighofen oder Salenstein.
Über das Vorgehen des LCH wundert sich der Präsident der vorberatenden
Kommission, Peter Gubser (SP, Arbon): «Wir haben so viele schulpolitische
Probleme, und nun befasst sich der LCH mit solchen Sachen.» Viele Gemeinden
würden viel tun, damit Vorschulkinder Deutsch lernten. «Es gibt aber immer
wieder Leute, die klemmen.» Auf sie wolle man Druck ausüben.
Die Schulgemeinden könnten Eltern helfen, wenn sie Lagerbeiträge nicht
zahlen könnten, weiss Gubser, ein ehemaliger Lehrer. «In meiner Praxis ist das
ein paar Mal vorgekommen.»
Ab und zu gebe es Familien, die lange in der Schweiz lebten, aber kein
Deutsch sprächen, sagt Felix Züst, Präsident des Verbands der Thurgauer
Schulgemeinden. «Wir wollen die Eltern verpflichten: Jetzt müsst ihr die Kinder
fördern.»
Thurgauer
Lehrer für Vorlage
Anne Varenne, Präsidentin von Bildung Thurgau, kommentiert den Vorstoss
ihres Dachverbands nicht. Sie suche das Gespräch mit dem LCH. Bildung Thurgau
habe zugestimmt, dass Eltern die Kosten auferlegt werden in besonderen Fällen.
Nämlich wenn sie über längere Zeit die Möglichkeit hatten, ihre Kinder Deutsch
lernen zu lassen, und sich geweigert hatten, diese zu nützen. «Entscheidend
wird die Verordnung sein. Da werden wir genau hinsehen.»
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