1. Oktober 2015

"Was ist los in unseren Schulen?"

Wenn der Sprössling seiner Grossmutter erzählt, er müsse im Mathematik-Arbeitsheft nicht alle Aufgaben lösen, die auf einer Seite stehen, diese Hefte seien nicht so wichtig, denn zählen würden nur die Tests, dann läuten bei dieser Oma die Alarmglocken. «Ja was machst Du denn, wenn Du fertig bist und die anderen Kinder noch rechnen?»
Mütter und Grossmütter sind alarmiert, Blog Südostschweiz, 30.9. von Elisabeth Calcagnini



«Ich bleibe dann ganz ruhig, streite nicht, renne nicht herum und zeichne Roboter, damit die Lehrerin mich nicht bemerkt und ich nicht noch mehr rechnen muss.»
Diese Grossmutter ist nicht die einzige, die Fragen stellt. Auch die Mutter, deren Tochter mit Wochenplan unterrichtet wird und jeweils am Mittwoch schon fertig ist mit dem Programm. Den Rest der Woche verbringt das kluge Mädchen ausserhalb des Schulzimmers, auf dem Flur, darf auf dem iPad Lernspiele machen oder ein bisschen im Netz surfen. Ihr Soll für diese Woche hat sie ja schliesslich erfüllt.
Viele Mütter beobachten früher Unvorstellbares. Eine Erstklässlerin löst zu Hause ein Blatt mit Aufgaben wie 8 + 5. Munter zählt das Mädchen auf dem Massstab, der vor ihr liegt, mit dem Finger nach und füllt das Resultat in die Lücke. Die Mutter wundert sich: «Hat die Lehrerin nicht erklärt, wie man das rechnet?» «Nein, sie sagt, wir dürfen abzählen.»
Die Aussage einer anderen Mutter: Drei Mädchen sollen individuell einen möglichen Lösungsweg zur gestellten Mathematik-Aufgabe suchen. Eines arbeitet, die andern zwei warten still. Darauf angesprochen, ob sie gut vorankommen, antwortet eines der beiden: «Wir warten auf Sarahs Lösung, sie ist gut in Mathe.»
Mein Enkel im Kanton Zürich hatte plötzlich schlechte Noten in Mathe. Ich liess mir sein Heft zeigen. Ein unübersichtliches Chaos, in dem er sich selbst nicht mehr zurechtfand. Er machte die Hausaufgaben irgendwo, ohne klare und übersichtliche Darstellung. Die Lehrerin merkte es nicht, denn sie liess die Kinder immer selbst das Heft von einem Kollegen korrigieren.
Die Liste der Beispiele lässt sich fortsetzen: Die schwer zu bewältigende Blätterflut in den Schultaschen, die nicht beachteten Rechtschreibfehler, die Mischformen von Druck- und Schnürlischrift, die Sitzordnung, bei der die Kinder gegen die Wand schauen müssen, usw.
Viele Eltern und Grosseltern reiben sich die Augen und fragen: Was ist los in unseren Schulen?
Wir beobachten bereits die Folgen der in den letzten 20 Jahren eingeführten übertriebenen Individualisierung des Unterrichts, der Integration um jeden Preis, des Lernens nach dem Lustprinzip, der Verteufelung des Frontalunterrichts, der vernachlässigten Korrekturen durch die Lehrpersonen. Auch diese Aufzählung liesse sich fortsetzen.
Die Tatsachen, dass der Bildungserfolg seit einigen Jahren stetig sinkt, dass viele Eltern zu Hause ihren Kindern Nachhilfestunden erteilen oder dass nach der obligatorischen Schulzeit ein Zwischenjahr eingeschoben werden muss, um die schlimmsten Lücken zu füllen, sollte Anlass genug sein für einen Stopp und eine Korrektur der erfolglosen Reformen. Stattdessen verfassen die Bildungsbürokraten einen überdimensionierten neuen Lehrplan, der diese verheerende Ideologie festschreiben soll.

Noch so gerne würden sich unsere Lehrerinnen und Lehrer einfach wieder einmal ganz normal ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Unterrichten widmen und dies unter Bedingungen, die ihnen Raum und Zeit lassen, sich den Kindern zuzuwenden.

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