9. September 2015

Geringschätzung der Hände

Die Schweizer Gesellschaft schätzt Handarbeit gering. Was mit den Händen geschaffen wird, verliert in der Schweiz an Wert. Die Bildungspolitik verstärkt diese ungute Entwicklung. In der Volksschule werden handwerkliche Fächer an den Rand gedrängt. Die Schule vernachlässigt so die wichtige Aufgabe, den Kindern und Jugendlichen den Wert der eigenen Hände und dessen, was mit ihnen geschaffen werden kann, zu vermitteln.
Natürlich braucht es auch mathematische Fähigkeiten, um ein technisches Handwerk mit Freude ausführen zu können. Dennoch stellt sich mir die Frage: Wie sollen unsere Kinder in Zukunft auf die Idee kommen, einen Beruf wie den des Spenglers zu erlernen, wenn sie in der Schule nie mit Metall experimentieren und so das Material kennenlernen konnten? Es ist erwiesen, dass beim Eintritt in die Oberstufe rund 70 Prozent der 12- bis 13-Jährigen bereits entschieden haben, in welche Richtung ihre Berufswahl gehen wird, ob also ihre Bildungslaufbahn eher in eine technische, kaufmännische oder akademische Richtung steuern soll. Die Abwertung der Hände beeinflusst diesen Entscheid. Leidtragende sind die technischen Berufe.
Das Ende der Hände, NZZ, 9.9. von Hans-Peter Kaufmann



Bereits heute müssen wir als Berufsverband der Gebäudetechnik selber dafür sorgen, dass Kinder die Möglichkeit haben, sich technisch-tüftelnd auszuleben. Wir tun dies nicht aus purem Eigeninteresse. Um auch in Zukunft all das zur Verfügung zu haben, was uns wichtig ist - wie zum Beispiel fliessendes Wasser in den Häusern, das nach Bedarf warm oder kalt aus dem Hahnen fliesst -, müssen die zukünftigen Sprösslinge nach ihren Talenten einen Beruf auswählen können. Zu häufig orientieren sich Kinder schon früh an den Wünschen und Vorstellungen der Eltern, vor allem wenn diese den Wunsch hegen, dass ihr Kind eine akademische Laufbahn einschlage. Kinder, die diesem Druck nicht gewachsen sind, machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Das ist falsch. Kinder sollen unbeschwert aufwachsen und sich ihren Talenten entsprechend für einen Berufsweg entscheiden können.
Ein Handwerk bietet viele sinnvolle und sinnstiftende Betätigungsmöglichkeiten. Wir alle wollen auch künftig in funktionierenden, gemütlichen, warmen Häusern wohnen und arbeiten können, die sich im Idealfall gar selber mit Energie versorgen. Damit wir unseren hohen Ausbaustandard halten, die Energiewende nicht nur politisch, sondern auch faktisch in den Heizungskellern und auf den Hausdächern umsetzen und unseren Gebäudepark energetisch sanieren können, braucht es alleine schon in der Gebäudetechnik mehr Fachkräfte, als wir heute zur Verfügung haben. Wenn es immer weniger qualifiziertes Fachpersonal gibt, das diese Herausforderungen meistern kann, werden wir das als Gesellschaft zu spüren bekommen. Gleichzeitig werden grossartige berufliche Zukunftsperspektiven verpasst, weil Erfolg im Beruf zu oft mit Prestige verwechselt wird.
Uns Gebäudetechnikern wird die Arbeit auch in Zukunft nicht ausgehen, weshalb wir auch auf längere Sicht grosse Jobsicherheit bieten können. Dennoch zeichnet sich der Fachkräftemangel in der Gebäudetechnikbranche bereits heute ab. Die Berufslehre kämpft mit einem Imageproblem - zu Unrecht. Nicht nur unsere englischen Berufskollegen schauen neidisch auf unser Bildungssystem. Immer wieder ernten wir Lob aus dem Ausland. Erstaunlicherweise verliert die duale Bildung im Inland langsam, aber stetig an Boden. Es steht viel auf dem Spiel. Wenn wir zur Berufsbildung nicht Sorge tragen und den Händen nicht wieder die Wertschätzung zukommen lassen, die sie verdienen, weichen wir ab vom Weg, der uns in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten vorangebracht hat.


Hans-Peter Kaufmann ist Direktor des Schweizerisch-Liechtensteinischen Gebäudetechnikverbands Suissetec.

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