4. August 2015

Quereinsteiger klagen

Der Kanton Zürich bekämpft den Lehrermangel mit Umsteigern aus anderen Berufen. Doch viele dieser "Quereinsteiger" steigen schon vor dem Einstieg wieder aus.




Quereinsteiger an der PHZH: Bis an die Grenze der Belastbarkeit, Bild: Dominique Meienberg

Quereinsteiger klagen über "harte Ausbildung", Tages Anzeiger, 4.8. von Daniel Schneebeli


Die Jahre des extremen Lehrermangels sind in Zürich vorbei – auch dank der Hilfe von Leuten aus anderen Berufen, die sich an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) zum Lehrer oder zur Kindergärtnerin umschulen liessen. Die Quereinsteiger-Ausbildung ist in den letzten Jahren zu einem Erfolgsschlager der PH geworden. Die Interessenten standen Schlange, und unterdessen ist jeder fünfte Studierende an der Hochschule ein Quereinsteiger oder eine Quereinsteigerin.
Doch unterdessen häufen sich auch die Klagen der Studierenden, die meist viel älter sind als ihre Kommilitonen aus den sogenannt regulären Studiengängen – im Schnitt 44-jährig. Der Tenor ist überall ähnlich. Die Studierenden werden bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit gefordert. «Dieser Studiengang ist ein Überlebenstraining», sagt eine Quereinsteigerin, die das Doppeldiplom für den Kindergarten und die Primarschul-Unterstufe anstrebt. Speziell die Bachelor-Arbeit werde von den meisten als «viel zu aufwendig» eingestuft.
Ein Diplom auf 16 Studierende
Diese hohe Belastung hat dazu geführt, dass vor den Sommerferien von den 16 Studierenden aus der erwähnten Quereinsteiger-Klasse nur gerade eine das Diplom gemacht hat. «Bei dieser Erfolgsquote können Aufwand und Ertrag nicht stimmen – auch nicht für den Kanton, der die Ausbildung mitfinanziert», sagt eine der Absolventinnen. Für sie ist dies gegenwärtig in der Kindergartenstufe besonders stossend, denn dort gibt es immer noch einen Personalmangel: «Es ist ein Witz», sagt sie, «denn nun müssen die offenen Stellen im Kindergarten sogar mit nicht ausgebildeten Personen besetzt werden.»
Die Absolventin betont, dass die Quereinsteigerinnen bereits während der Ausbildung im neuen Beruf tätig sein müssen, und zwar nicht nur als Hilfskraft, sondern als Klassenlehrerin mit einem Pensum von mindestens 40 Prozent: «Da bleibt für die theoretische Studienarbeit oft nicht viel Zeit.» Gestützt wird diese Aussage durch einen externen Evaluationsbericht der ­Bildungsdirektion (siehe Box). Demnach sind Theorie und Prüfungsvorbereitungen die mit Abstand am meisten ­kritisierten Teile des Quereinsteiger-­Studiums.
Andrea Widmer Graf, stellvertretende Prorektorin Ausbildung an der PH, ist erstaunt über die Kritik: «Immerhin können die Studierenden während der Ausbildung eine bezahlte Stelle an der Volksschule übernehmen.» Widmer Graf bestätigt, dass im erwähnten Studiengang Kindergarten/Unterstufe von den 16 Studierenden nur jemand das Diplom erhalten habe. Allerdings würden sieben Personen ihr Diplom mit Verspätung in einem halben Jahr bekommen – zwei, weil sie eine nicht bestandene Diplomprüfung wiederholen müssen, und fünf, weil sie dann ihre Bachelor-Arbeit abgeschlossen haben. Solche verspäteten Studienabschlüsse bezeichnet Widmer Graf als «ganz normal».
Laut Widmer Graf stiegen von den 16 Studierenden 4 auf den Quereinsteiger-Studiengang für die Primarstufe um, und 4 brachen das Studium ab. So haben 12 von 16 Studierenden einen Abschluss gemacht, was laut Widmer Graf zufriedenstellend ist. Der stellvertretenden Prorektorin ist allerdings bewusst, dass die Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen «eine enorme Leistung erbringen» und mit ihrer praktischen Arbeit in den Klassen sehr belastet sind. Dennoch will sie die Anforderungen nicht herunterschrauben: «Wir haben hohe Ansprüche, wie die Eltern der Kinder auch.» Zudem seien Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger im Vergleich zu den regulär Studierenden im Vorteil. Ihre Ausbildungszeit sei kürzer, weil ihnen aufgrund ihres Erststudiums Studienleistungen im Umfang von einem Jahr angerechnet würden. Widmer Graf stellt weiter klar, dass man die Anforderungen hoch halten müsse, damit die Studiengänge von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) anerkannt werden.
Keine offenen Stellen mehr
Die Situation in den Zürcher Schulen hat sich laut Volksschulamtschef Martin Wendelspiess fast vollständig entspannt. Auch im Kindergarten, wo die Personalsuche noch schwieriger ist, sind fürs neue Schuljahr alle Stellen besetzt. Sonst ist im ganzen Kanton nur noch eine Klassenlehrerstelle zu besetzen und einige Kleinstpensen. Laut Wendelspiess sind es vor allem Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die für Entspannung gesorgt haben.


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