18. Mai 2015

Schulleiterausbildung reicht nicht

Stephan Huber von der PH Zug findet, die heutige Mindestausbildung (25 Tage) zum Schulleiter reiche nicht aus. Im internationalen Vergleich gebe es viele Länder, die höhere Mindestanforderungen stellen. Ein Masterstudiengang müsste zur Mindestanforderung werden. Huber stellt sich im Interview den Fragen von Raphaela Birrer.







Stephan Huber leitet das Institut für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie der PH Zug. Bild: Tages Anzeiger



"Der Reformdruck an den Schulen führt öfter zu Burn-outs", Tages Anzeiger, 18.5. von Raphaela Birrer



Herr Huber, in vielen Schulhäusern ist die Stimmung schlecht: Jede vierte Lehrperson ist unzufrieden mit ihrer Schulleitung. Warum? 
Das hängt nicht immer mit der Person des Schulleiters zusammen, sondern auch damit, dass die «geleitete Schule» vielerorts erst vor einigen Jahren eingeführt wurde. Dabei wurden die Rollen und Kompetenzen der Lehrer und Schulbehörden neu definiert – dieser Prozess birgt Konfliktpotenzial. Die Unzufriedenheit mag häufig Unsicherheit sein und darin begründet liegen, dass betroffene Lehrer überfordert sind mit den Neuerungen. Sie entsteht zudem auch, wenn Schulleitungen unbeliebte, von übergeordneter Stelle vorgegebene Entscheidungen treffen. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass drei Viertel der Lehrer zufrieden sind mit ihren Vorgesetzten.

Sind Lehrer schwieriger zu führen als andere Berufsgruppen? 
Nein. Aber in anderen Branchen hatten die Angestellten schon immer einen Chef, für Lehrpersonen ist das neu. Mit der Einführung der Schulleitungen hat sich die ganze Steuerungslogik in der Schule verändert. Es ist klar, dass die Neuverteilung von Zuständigkeiten zu Schwierigkeiten führen kann. Die Lehrer waren bislang autonom agierende Experten. In jeder Expertenorganisation wäre die Einführung einer neuen Führungsstruktur konfliktbehaftet. Entsprechend viel Fingerspitzengefühl verlangt diese Aufgabe von den Schulleitern.

Aber offenbar sind viele Schulleiter nicht ausreichend qualifiziert für diese schwierige Aufgabe: Die Lehrer bemängeln unter anderem das fachliche Feedback. 
Natürlich müssen professionelle Kompetenzen aufgebaut werden. Um eine fundierte fachliche Rückmeldung geben zu können, brauchen die Schulleiter aber auch Zeit. Die fehlt ihnen häufig. In vielen Schulhäusern üben sie ihre Funktion nur in kleinen Teilpensen aus. Das müsste sich ändern: Schulleiter bräuchten mehr Zeit für die Erfüllung ihrer Führungsaufgaben. Zudem benötigen sie für ein glaubwürdiges fachliches Feedback Unterrichtserfahrung.

Ein Lehrerpatent ist aber nicht mehr überall Voraussetzung für den Beruf. Und in der Tendenz haben Schulleiter neben der Führung immer weniger Zeit für das Unterrichten. 
Die Forschung zeigt, dass Führungskräfte in der Schule sowohl pädagogische als auch Managementkompetenz benötigen. Pädagogisches Fachwissen ist wichtig, um die Lehrpersonen beraten und beurteilen zu können. Der moderne Schulleiter ist ein pädagogischer Manager.

Viele Lehrer halten auch die Führungskompetenz der Schulleiter für ungenügend. Liegt das an der Ausbildung? 
Schulleiter müssen unbedingt fundiert ausgebildet werden. Sie qualifizieren sich heute als Mindeststandard in einem 25-tägigen Weiterbildungslehrgang. Das reicht aber für die vielfältigen Anforderungen nicht aus. Im internationalen Vergleich gibt es viele Länder, die eine höhere Mindestanforderung an diesen Beruf haben. Mittlerweile besuchen jedoch viele Schweizer Schulleiter – auch auf eigene Initiative – MAS-Kurse und bilden sich kontinuierlich weiter.

Was müsste sich in der Ausbildung ändern? 
Ein Masterstudiengang müsste zur Mindestanforderung werden. Die Ausbildung müsste längerfristig, berufsbegleitend und individualisierter angelegt werden – besser auf das Schulhaus und die Person zugeschnitten. Ausserdem sollten kontinuierliche Weiterbildungen nicht nur gefördert, sondern gefordert werden.

Wie sieht es denn umgekehrt bei den Schulleitern aus: Ist die Zusammenarbeit mit den Lehrern für sie die grösste Herausforderung? 
Von den Schulleitern scheint manchmal erwartet zu werden, dass sie multifunktionale Wunderwesen sind. Sie haben verschiedene Anspruchsgruppen, die Erwartungen an die Schule formulieren. Neben den Lehrern, den Eltern und den politischen Behörden sind beispielsweise auch die Kirchen, Musikschulen, Vereine oder Schulsozialarbeiter wichtige Bezugsgrössen für die Schulleiter. Konflikte kann es in all diesen Beziehungen gleichermassen geben, weil die Interessen divergieren können. All diese Gruppen tragen aber zum Bildungserfolg der Schüler bei.

Und was macht die Schulleiter besonders unzufrieden? 
Wir haben rund 5400 Schulleiter befragt und 4300 Arbeitstagebücher analysiert. Unsere Studie zeigt, dass sie sich meistens durch Verwaltungs- und Administrationsaufgaben belastet fühlen – und diese Tätigkeiten auch nicht gerne mögen. Das füllt im Durchschnitt ein Drittel ihrer Arbeitszeit und geht auf Kosten der Personalführung. Es müsste darum geprüft werden, ob die Schulleitungen stärker von Schulsekretariaten entlastet werden könnten.

Gemäss Ihrer Schulleitungsstudie steht jeder sechste Schulleiter kurz vor dem Burn-out. Sind diese Verwaltungsaufgaben ein Grund dafür? 
Nein, diese Aufgaben erklären die Arbeitszufriedenheit oder die emotionale Erschöpfung nicht. Die Gründe für die Burn-out-Gefährdung variieren je nach Region und hängen zum Beispiel mit dem kantonalen Reformdruck zusammen. Auch die Organisation im Schulhaus spielt eine wichtige Rolle: ob das Arbeitsklima unterstützend ist, ob die Lehrerschaft und die Schulleitung am selben Strick ziehen. Und schliesslich sind auch persönliche Faktoren massgebend, vor allem die individuelle Stressresistenz. Da Überforderung bei dieser anspruchsvollen Aufgabe programmiert ist, kommt es auf die Bewältigungsstrategien an. «Gesundheitsmanagement» müsste deshalb zum Qualifizierungsinhalt für den Beruf werden.

Aber strukturelle Gründe dürften bisher doch die zentralste Rolle gespielt haben: Der Präsident des Schulleiterverbands sagt, die erste Generation der Schulleiter sei verheizt worden. 
Die ersten Schulleiter wurden eventuell nicht ausreichend auf ihre neue Aufgabe vorbereitet. Es ist ein Unterschied, ob man persönlich versagt oder ob das Versagen strukturelle Gründe hat. Die Fluktuation in den Schulleitungen ist aber heute im internationalen Vergleich immer noch hoch.

Die Lehrer kritisieren die zu unsorgfältige Auswahl der Schulleiter; sie möchten mehr mitreden. Sollten sie ihre eigenen Chefs bestimmen können? 
Das ist eine schwierige Frage. Sicher sollten sie in den Prozess eingebunden und angehört werden. Ich teile aber die Meinung, dass die Auswahlverfahren sehr sorgfältig sein müssen. Dabei wären die Gemeinden gut beraten, ausreichend Ressourcen zu investieren. Professionelle Assessments wie in der Privatwirtschaft wären sinnvoll. Denn Studien zeigen: Schulleiter spielen für den akademischen Lernerfolg der Schüler eine grosse Rolle.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen