"Ein politischer Deal zulasten der Lehrer", Bild: Peter Schneider
Lehrer wollen nicht mehr Ferien, St. Galler Tagblatt, 13.5. von Michèle Vaterlaus
Auf den ersten Blick scheint das Ganze eine tolle
Sache für die Lehrer zu sein: Mit der Änderung des Gesetzes über die
Volksschule gibt es eine Woche mehr Ferien, das heisst 13 statt 12 Wochen. So
steht es in der Botschaft, die der Regierungsrat dem Grossen Rat unterbreitet
hat. Doch das sei verzerrt, sagt Anne Varenne, Präsidentin des Verbandes
Bildung Thurgau. Sie atmet tief durch und sagt: «Das Ganze ist ein politischer
Deal zulasten der Lehrer.» Im Endeffekt sei das nämlich so: «Nur die Schüler
erhalten mehr Ferien.»
Knapp sechs Tage mehr Arbeit
Die Lehrer hingegen würden mit Mehrarbeit belastet.
Diese belaufe sich auf knapp sechs Tage im Jahr. Anne Varenne berechnet das
folgendermassen: Über die kommenden zehn Jahre bekommen sie durch die
zusätzliche Ferienwoche zu Weihnachten im Schnitt 2,6 Tage mehr
unterrichtsfreie Tage im Jahr. Aber im Gesetz sind neu «maximal acht gemeinsame
Arbeitstage» für die Lehrer festgeschrieben, und Schulanlässe an Samstagen
können nicht mehr kompensiert werden. «Lehrer werden so noch mehr belastet,
obwohl das Lehrpersonal der Thurgauer Volksschulen schweizweit fast am meisten
Jahreslektionen unterrichtet», sagt Varenne. Acht gemeinsame Arbeitstage seien
darum zu viel. Zudem sei es nicht notwendig, dass diese Arbeitstage
reglementiert werden. Die Lehrer hätten bewiesen, dass sie ohne gesetzliche
Vorgaben die Aufgaben im Team erfüllten. In der Vernehmlassung letzten Herbst
hat sich der Verband entsprechend geäussert. Er wollte die Zahl bei fünf
festlegen. Doch darauf ist der Regierungsrat nicht eingegangen (siehe Kasten).
Ebenfalls nicht eingegangen ist der Regierungsrat auf die Forderung, die
Bezeichnung «Ferienwochen» wegzulassen. «Bisher wurde im Gesetz die Anzahl
Unterrichtswochen festgelegt. Das soll so bleiben.» Anne Varenne verweist auf
den Ruf von Lehrern als «Ferientechniker». «Viele Leute glauben, wir hätten
zwölf Wochen Ferien. Dem ist nicht so.» Wie jeder andere Arbeitnehmer bezögen
sie vier bis fünf Wochen Ferien pro Jahr. «Das andere ist unterrichtsfreie
Arbeitszeit, in der wir uns weiterbilden, Planungen erstellen oder den
Unterricht entwickeln.»
Es gibt eine Umverteilung
Felix Züst, Präsident des Verbandes Thurgauer
Schulgemeinden, hat durchaus Verständnis für die Anliegen der Lehrer. «Es ist
ein herausfordernder Beruf.» Doch von einer Mehrbelastung will er nichts
wissen. «In der Summe haben die Lehrer auch nach der Einführung des neuen
Gesetzes genügend Ferien.» Er erklärt zudem, dass er die Arbeitszeit anders
betrachtet: «Ich gehe von einer Jahresarbeitszeit aus, und die wird sich nicht
verändern. Durch Teile der Gesetzesänderung werden organisatorische
Möglichkeiten geschaffen, die Arbeit in den Schulen anders zu gestalten.»
Lehrer würden künftig beispielsweise zeitintensive Aufgaben nicht mehr in einem
Konvent unter der Woche nach Schulschluss durchführen müssen. Sie können dies
an einem unterrichtsfreien Tag tun, wie Züst erklärt. So könnten die Arbeit
besser verteilt und auch Schulausfälle, die es doch hin und wieder gebe,
vermieden werden. Des weiteren sieht er in den «gemeinsamen Arbeitstagen» ein
Synergiepotenzial, das die Lehrer früher oder später entlasten wird. «Es können
zum Beispiel Prüfungen oder Fachthemen vorbereitet und ausgetauscht werden.»
Sowieso findet er, dass die Zusammenarbeit vielerorts Optimierungspotenzial
hat, und er erklärt gleich: «Dies vor allem, wenn auf bevorstehende Projekte
wie die Einführung des Lehrplans 21 geblickt wird.»
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