9. April 2015

Sek und Gymi unterrichten aneinander vorbei

An der diesjährigen Gymiprüfung entzündete sich ein Konflikt, der schon lange schwelt: Sek und Gymi stimmen ihre Lehrpläne nicht aufeinander ab. Das soll sich künftig ändern.




Schwierigkeiten beim Wechsel von der Sek ans Gymi, Bild: Timur Emek

Sek und Gymi unterrichten aneinander vorbei, Tages Anzeiger, 9.4. von Liliane Minor



Dieses Jahr stand die Aufnahmeprüfung ans Kurzgymnasium nach der zweiten oder dritten Sek unter einem besonderen Fokus: Zum ersten Mal konnten sich die Sekschülerinnen und Sekschüler nicht mehr auf ihre Vornoten verlassen. Allein das Resultat der Aufnahmeprüfung bestimmte, wer auf den Sommer hin ans Gymi wechseln darf. Und ausgerechnet dieses Jahr geriet die Deutschprüfung so schwer, dass die Notenskala deutlich nach unten korrigiert werden musste.
An sich ist das kein ungewöhnlicher Vorgang, sondern einer, der den meisten Lehrpersonen bekannt sein dürfte. Nicht immer ist es im Voraus abschätzbar, ob Kinder eine Aufgabe lösen können. Auch bei den Gymiprüfungen muss die Skala in einzelnen Fächern immer mal wieder angepasst werden. Letztes Jahr etwa enthielt die Mathematikprüfung für die Sechstklässler eine Aufgabe, welche überdurchschnittlich viele Kinder nicht lösen konnten.
Die Krux mit der Mengenlehre
Trotzdem hat die diesjährige Prüfung unter Seklehrpersonen für Diskussionen und Unmut gesorgt. Denn aus Sicht vieler Lehrerinnen und Lehrer ist die Prüfung ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem. «Der Übertritt ins Gymi ist unbefriedigend», sagt der Präsident des Seklehrerverbands SekZH, Kaspar Vogel. «Die Stoffpläne von Sek und Gymi korrespondieren nicht miteinander. Der Dialog zwischen den Schulstufen klappt schlecht.» Diesen Eindruck hat auch Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands ZLV: «Die Mittelschulen klagen, die Sekschüler hätten nicht mehr die Kompetenzen, die sie fürs Gymi brauchten – aber sie kümmern sich nicht darum, was und wie wir an der Sek unterrichten.»
Das zeige sich nicht nur an der Aufnahmeprüfung, sondern vor allem in der Probezeit, sagen Lätzsch und Vogel. Etliche Jugendliche, die von der Sek ins Gymi wechseln, kommen dort schwer ins Schwimmen, weil sie im Gymi mit Stoff konfrontiert sind, von dem sie in den ersten zwei Sekjahren nie gehört haben – Stoff, den die Gymilehrer aber als bekannt voraussetzen, weil er im ersten und zweiten Jahr des Langgymnasiums behandelt wird.
Brennpunkt ist vor allem die Mathematik. So gehört Mengenlehre im Langgymnasium zum Schulstoff, in der Sek nicht. Immer wieder scheitern Schülerinnen und Schüler in der Probezeit an der Mathe, obwohl sie eigentlich das Potenzial fürs Gymi hätten. «Das macht auch uns Sorgen», sagt Rolf Bosshard, der Präsident des Mittelschullehrerverbands. Für ihn ist klar, dass Handlungsbedarf besteht.
Den Dialog pflegen
Dieser Ansicht sind auch die Rektoren der Mittelschulen. Cornel Jacquemart, Rektor der Kantonsschule Büelrain in Winterthur und Präsident der Schulleiterkonferenz der Zürcher Kantonsschulen, findet das Thema extrem wichtig: «Wir müssen den Dialog pflegen.» Letztes Jahr versuchte die Kantonsschule Zürich Nord, das Problem mit freiwilligen Kursen noch vor Gymibeginn zu lösen – und handelte sich Ärger von allen Seiten ein. Cornel Jacquemart etwa sagt: «Wir sollten nicht zu Einzelübungen greifen, sondern das Problem systematisch angehen.»
Die ersten Schritte dazu sind gemacht: Ende 2014 wurde die Arbeitsgruppe VSGYM ins Leben gerufen, der Vertreter der Gymnasien, der Sekundarschulen, des Volksschulamts und des Mittelschul- und Berufsbildungsamts angehören. Gestern tagte die Gruppe.
Wohin die Reise geht, ist offen. Das sagt Christoph Wittmer, Rektor der Kantonsschule Enge und Delegierter der Mittelschulen im VSGYM: «Im Moment dis­kutieren wir die Organisation und die Aufgaben des Projektes, das die Koordination sicherstellen soll. Im Sommer werden wir sagen können, wie wir den Dialog aufgleisen wollen.»
Gemeinsamer Lehrplan?
Einfach dürfte es nicht sein, eine Lösung zu finden. Klar ist eines: Den Sekundarschulen sind die Hände punkto Schulstoff mehr gebunden als den Gymnasien. Denn der Lehrplan der ­Sekundarschulen ist vom Kanton vorgegeben, und auch die Lehrmittel dürfen nicht frei gewählt werden. Die Gymnasien hingegen haben von jeher Lehrmittelfreiheit; die Stoffpläne arbeiten die Fachschaften selbst aus. Sie müssen aber die übergeordneten Vorgaben erfüllen, die im Maturitätsanerkennungsreglement festgehalten sind.
Auf den ersten Blick wäre es am einfachsten, die Gymis würden sich an den Lehrplan der Sek anpassen. Das wäre im Sinn der Sekundarschulen, und auch Rektorenpräsident Jacquemart glaubt: «Die Bereitschaft, mindestens den Schulstoff im ersten Semester des Gymnasiums vermehrt mit der Sek zu koordinieren, ist da.» Doch es gibt aus Sicht der Gymilehrer Grenzen. Denn die Kantonsschulen müssen ihrerseits den Anschluss an die Universitäten sicherstellen. Und an der Lehrmittelfreiheit wollen viele Gymilehrer festhalten. Enge-Rektor Christoph Wittmer ist überzeugt: «Die Lehrmittelfreiheit auf gymnasialer Stufe ist ein zentraler Motor eines guten Unterrichts.» Dieser Meinung ist auch Rolf Bosshard: «Entscheidender als ein einheitliches Lehrmittel und ein gemeinsamer Lehrplan ist, dass wir wissen, wie die Alltagspraxis in der Sek aussieht.»


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen