15. April 2015

Mit dem Rücken zur Wand

Die Euphorie rund um den frühen Fremdsprachenunterricht ist verflogen und hat einer weit um sich greifenden Ernüchterung Platz gemacht. Erinnern wir uns, was uns die Erziehungs­direktorenkonferenz (EDK) mit der Einführung des neuen Sprachenkonzepts 2004 versprochen hat: Die Kinder würden spielerisch leicht und schnell Fremdsprachen lernen. Grobe Fehl­interpretationen der vorhandenen ­Forschungsresultate führten zur grotesken, aber populären Behauptung, Kinder lernten eine Sprache im schulischen Umfeld schneller als Jugendliche oder Erwachsene. Die Faktenlage entzaubert diese Wunschträume unserer schlecht beratenen ­Bildungschefs: Eine Studie nach der anderen zeigt dasselbe Resultat: Erfolgreicher Unterricht an der Primarschule ist mit zwei bis drei Wochenlektionen in einer Fremdsprache nicht zu schaffen.
Entzauberte Wunschträume, Basler Zeitung, 13.4. von Urs Kalberer

In starkem Kontrast dazu treten regelmässig Exponenten der Pädagogischen Hochschulen (PH) an die Öffentlichkeit und beschwören das Festhalten an zwei Primarfremdsprachen. Diese offensichtliche Diskrepanz zur Forschung in der Frage der Effizienz und Nachhaltigkeit unseres Fremdsprachenkonzepts ist nicht nachvollziehbar. Wie ideologisch argumentieren unsere Pädagogischen Hochschulen? Diese Frage stellt sich besonders nach dem Beitrag von FrauProfessor Le Pape Racine in dieser ­Zeitung. Verständigung auf Englisch bedeutet für sie keine positive Horizonterweiterung (was sie fürs Fran­zösische gerne in Anspruch nimmt), sondern den Verlust der französischsprachigen Kultur. Dagegen kennt sie nur ein Heilmittel: möglichst früh mit dem Französischunterricht beginnen. Angesichts solcher Thesen fällt auf, wie wenig Disput die Sprachenfrage innerhalb der PH auslöst. Das ist, besonders bei diesem brisanten Thema, kein Ruhmesblatt für die ­teuren Forschungsabteilungen dieser Hochschulen. Fortschritt lebt von der Auseinandersetzung – es scheint, als ob sich die Lehrerbildungsanstalten hier aus taktischen Gründen einen Maulkorb umhängen würden und sich auf das Wiederholen von Parolen beschränkten. Mitverantwortlich für das Debakel ist auch die obligatorisch verordnete neue Fremdsprachendidaktik, bekannt unter dem schillernden Begriff «Didaktik der Mehrsprachigkeit». Dieses pädagogische Schlagwort (wer könnte etwas gegen Mehrsprachigkeit einwenden?) soll darüber hinwegtäuschen, dass junge Primarschüler eben noch nicht in der Lage sind, Strukturen zu erkennen und anzuwenden. Die falsch verstandene Inhalts- und Handlungsorientierung, verbunden mit einer umstrittenen Fehlerkultur, bremsen die spärlichen Lernfortschritte zusätzlich. Die Promotoren des frühen Fremdsprachunterrichts stehen argumentativ mit dem Rücken zur Wand. In ihrer Not spielen sie auf Zeit. Jahrelang werden nun schon Erfahrungen gesammelt. Nachdem der Lehrplan 21 inklusive der beiden Frühfremdsprachen mit viel Einsatz am Volk vorbei ins Trockene gebracht wurde, kündigt die EDK aufs Jahr 2015 eine Bilanz an. In der Nordwestschweiz lässt man sich damit sogar noch bis 2018 Zeit. Es wird vertröstet, verzögert und verschleiert. Und wenn dringend Rechtfertigungen gebraucht werden, sind die Sündenböcke schnell benannt: Es sind die Lehrkräfte, die zu wenig Sprachkompetenz hätten oder die anspruchsvollen didaktischen Konzepte noch nicht begriffen hätten. Die grösste Schlaumeierei ist aber, wenn angesichts der enttäuschenden Resultate plötzlich nicht mehr das Erlernen einer Fremdsprache, sondern das ­Eintauchen in eine andere Kultur im Vordergrund steht. Weshalb dies ausgerechnet im Alter von neun Jahren geschehen soll und der nationale Zusammenhalt somit von Primarschülern abhängt, bleibt nach wie vor offen.
Damit es klar ist: Wir alle wollen, dass unsere Kinder möglichst erfolgreich zwei Fremdsprachen lernen. Das ist grundsätzlich auch möglich. Doch der von der EDK eingeschlagene und von den Pädagogischen Hochschulen vehement verteidigte Weg führt ins Abseits. Die Schule ist im Würgegriff der frühen Fremdsprachen. Diese können nicht nachhaltig unterrichtet werden, kosten viel Geld und verdrängen andere wichtige Fächer aus dem Stundenplan. Allein das Fach Französisch hat während der Primarschule einen Lektionsbedarf, der den Deutschlektionen von zwei ganzen Schuljahren entspricht. Anstatt eine ganze Schüler­generation zu Leidtragenden einer ­missglückten Reform zu machen, ist handeln angesagt. Ein späterer Beginn des Fremdsprachenunterrichts bei einer gleichzeitig höheren Lektionenzahl ist in jedem Fall der heutigen Regelung vorzuziehen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen