Keine Mitsprache bei Umbauprojekt an der Sekundarschule Muttenz, Bild: Dominik Plüss
Baselbieter Pädagogen-Träume, Basler Zeitung, 5.2. von Daniel Wahl
Wenn der Lehrplan-21-Beauftragte des Kanton Baselland, Stephan
Zürcher (SP), für das unter Pädagogen umstrittene Kompetenzwerk missioniert,
dann orientiert er am Rande auch über die Schulniveaus. Der schlechteste
Progymnasiumschüler (Niveau P) an Baselbieter Schulen sei heute so klug wie der
beste Realschüler (Niveau A), sagt er und zeichnet zur Illustration
Intelligenz-Verteilungskurven, die sich überschneiden. Dabei stellt sich
Bildungsbeamter Zürcher nicht die Frage, ob heutzutage die Primarlehrer ihre
Schüler zu schlecht selektionieren und diese den falschen Schulniveaus
zuteilen. Vielmehr ist seine Feststellung ein Plädoyer und eine Agenda für die
gänzliche Aufhebung der verschiedenen Schulniveaus und Leistungszüge – für
einen Unterricht mit Lehrer als Coaches und für Schüler in sogenannten
Lehrlandschaften, die unabhängig von Leistungsniveaus zu fördern seien.
Diese Ideologie hat die Schulleitung Muttenz verinnerlicht und
treibt unter Ausschluss des öffentlichen Diskurses einen radikalen Umbau der
Sekundarschulen voran. Eingefädelt wurde dieser unter dem Namen «Pilotprojekt
Unterricht in Lernlandschaften an der Sekundarschule Muttenz» von langer Hand.
Im Juni des vergangenen Jahres brachte die Schulleitung Projekt und Konzept
schliesslich zu Papier.
Bis 80 Schüler im Grossraumbüro
Vorgestellt hat sich die Schulleitung dabei, dass im geplanten
Sekundarschulzentrum am Standort Hinterzweien in Muttenz vier Lernlandschaften
neu gebaut und fünf in den bestehenden Gebäuden geschaffen werden müssten –
bezugsbereit in den Schuljahren 2019/2020. Demnach würden pro Lernlandschaft
ein Lernatelier zu 200 Quadratmeter, je ein bis zwei Input- und Gruppenräume
benötigt. In den Foyers sollten Stehtische und Gesprächszonen eingerichtet
werden.
Bevölkert werden diese Zonen mit 60 bis 80 Schülerinnen und
Schüler, die von vier bis sechs Pädagogen angeleitet werden. Dabei zielt das
Projekt darauf ab, nicht Lernlandschaften in eigenen Niveaus (zum Beispiel die
Progym-Schüler unter sich) zu installieren; bewusst wird auf die Auflösung der
Leistungszüge hingearbeitet und «Unterricht in niveauübergreifenden
Lernlandschaften» angeboten. In der Praxis sieht das so aus, dass in sogenannten
pädagogischen Teams alle Lehrer Ansprechpartner für allerlei Fragen der Schüler
aller Niveaus sind. Dies preist die Schulleitung als Errungenschaft an: «Der
Teamgedanke wird verstärkt, die klassische Aufteilung in Klassenlehrpersonen
und Fachlehrperson wird aufgelöst, die Stellung der Fachlehrperson wird
aufgewertet.» Und durch das persönliche Coaching lernten die Lehrer ihre
Schüler besser kennen und könnten engere Beziehungen aufbauen, heisst es.
«Wer nicht mitmacht, kann gehen»
Der Ideologiewechsel hin zu Lernlandschaften, Lerncoaches,
Kompetenzorientierung, Sammelfächern, Zwangskooperationen und Einheitsschule,
welche die Sekundarschulen im Baselbiet forcieren, ist umstritten. Unter
Pädagogen wird auch das Gegenteil prognostiziert: Lernlandschaften förderten
Beziehungslosigkeit, Schüler könnten sich besser in der Anonymität verstecken.
Und der Schutz des Klassenraums gehe verloren. In einer der jüngsten Ausgabe
des Migros-Magazins weist der Kinderpsychiater und Buchautor Michael Winterhoffdarauf hin, dass in solchen Lernlandschaften «Fehlentwicklungen bei Kindernnicht nur nicht korrigiert, sondern sogar noch verstärkt» werden.
Die Starke Schule Baselland hat indessen Klagen von Lehrern in
Muttenz erhalten, die mit dem Vorgehen der Schulleitung nicht einig sind. «Uns
teilen die Lehrer mit, dass die Mitsprache durch die Schulleitung verweigert
wird. Es heisst, wem das nicht passt, kann gehen», sagt Saskia Olsson,
Geschäftsführerin der Starken Schule Baselland. Die Schulleitung übe Druck auf
Lehrpersonen aus, die nicht am Pilotprojekt teilnehmen wollen oder gar
grundsätzlich gegen Lernlandschaften seien.
Heikle Rechtslage
Gemäss Informationen der BaZ wollte die Schulleitung zunächst
zwei Lernlandschaften im Schulhaus Gründen einrichten und im Schuljahr 2017/18
loslegen. Die Planungsschwierigkeiten, das fehlende Geld für die Umsetzung
(eine Klasse, die mit Lernlandschaften unterrichtet wird, benötigt etwa doppelt
so viel Platz wie eine traditionelle Klasse) sowie der jüngste Widerstand der
Eltern gegen die Klassenverschiebungen in Muttenz (BaZ vom 22. Januar) scheinen
indessen das Projekt gebremst zu haben. Auf Anfrage teilte Bildungsdirektor Urs
Wüthrich mit, dass kein Beschluss zur Umsetzung vorliege. Er hält auch fest,
dass der Unterricht im Rahmen eines Konzepts «Lernlandschaften» keiner
formellen Bewilligung bedürfe.
Inwiefern das Bildungsgesetz und damit der Landratsbeschluss
ausser Kraft gesetzt wird, wäre aber noch zu klären: Paragraf 89 des
Bildungsgesetzes sagt: «Der Landrat hat insbesondere folgende Aufgaben: Er
genehmigt die Zielsetzung von Bildungskonzepten, welche Inhalt und Gliederung
des kantonalen Bildungssystems oder den bisherigen Bildungsauftrag einzelner
Schularten grundlegend verändern.» Zudem beschliesst der Landrat, «ob vom
Regierungsrat veranlasste Schulversuche in eine definitive Regelung überführt werden».
Den Weg über den Landrat und die Einbindung des Parlaments in den Umbau der
Sekundarschule ist jedenfalls im Muttenzer Konzept nicht vorgesehen.
Im Gegenteil: Das Konzept, das die Etikette «Pilotversuch»
trägt, wird durch die Klassenzimmerumbauten definitiven und endgültigen
Charakter haben. Ferner hat sich die Schulleitung, ohne die Resultate des
Pilotprojekts zu kennen, selbstbewusst per Juni 2018 zum Ziel gesetzt:
«Verabschiedung eines Projektauftrags zur flächendeckenden Einführung von
Lernlandschaften auf Grund der Evaluation.»
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