28. Februar 2015

"Dieser Lehrplan kann depressiv machen"

Wenn man den Lehrplan 21 an seinem obersten Ziel misst, könnte man nach acht Jahren Arbeit, millionenteuren Investitionen und Hunderten Seiten mehrfach überarbeiteter Konzepte glatt depressiv werden. Oberstes Ziel war es nämlich, ein «Instrument für die Harmonisierung der Volksschule und keine Schulreform» auszuarbeiten. Von dieser erklärten Absicht, die dem klaren Volkswillen entsprach, ist der Lehrplan 21 weit abgekommen. Denn was als dringende Massnahme gegen den Kantönligeist angekündigt wurde, entpuppt sich in der vorliegenden Fassung als Reglementiermonster, das die Volksschule grundlegend umkrempelt, die Lehrkräfte verunsichert, Politiker in Wallung bringt und auf Jahre hinaus nur ein einziges Resultat mit ziemlicher Sicherheit erreichen wird: endlose Streitereien über Sinn und Unsinn der Reform. 
Andreas Büchi, Chefredaktor Beobachter, 20.2.


Die erwünschte Harmonisierung der Lehrpläne wird so auf Jahre hinaus blockiert, und Wohnortswechsel für Familien mit schulpflichtigen Kindern bleiben hürdenreich. «Eine überambitionierte Bürokratenmaus hat einen Dokumentenberg geboren», bilanziert die Basler SPStänderätin Anita Fetz. Was bleibt, sind knapp 500 Seiten Papier und ein komplett neuer Lehrplan, der fordert, mehr «Kompetenzen» statt Faktenwissen zu vermitteln. Dabei ist unklar, ob diese «Kompetenzorientierung» der Schulen am Ende überhaupt klügere Schüler erzeugt. Entsprechend stark ist der Widerstand gegen das kafkaeske Werk, wie Susanne Loacker in unserer Titelgeschichte «Das regulierte Schulkind» (ab Seite 26) darlegt. Kernpunkt der Kritik: Der neue Lehrplan definiert kaum, welche konkreten Bildungsinhalte in der Schule vermittelt werden sollen. Stattdessen setzt er auf exakt 363 «Kompetenzen», die als Ziele formuliert werden. Einschmuggeln gesellschaftspolitischer Ziele Konkret heisst es etwa: Schülerinnen und Schüler «können eigene Gefühle wahrnehmen und angemessen ausdrücken». Sie können «einschätzen, wie schwer oder leicht ihnen die Aufgaben/Problemlösungen fallen werden». Und sie können «respektvoll mit Menschen umgehen, die unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbringen, bzw. die sich in Geschlecht, Hautfarbe, Sprache, Kultur und Lebensweise unterscheiden». Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann wies in der NZZ zu Recht darauf hin, dass mit den Kompetenzen «gesellschaftspolitische Zielsetzungen eingeschmuggelt werden», die leicht «in blanke Ideologie umschlagen» können. Fazit: Der Lehrplan 21 wurde unnötigerweise überladen mit einer kaum fassbaren neuen Grundausrichtung der Lehraufträge. Das wichtigste Ziel – die Harmonisierung der Bildungsinhalte – wird dadurch torpediert. Weniger theoretischer Reformgeist und mehr Pragmatismus wäre definitiv mehr gewesen.

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