"Wir wollen den Kindern ein Zuhause geben, wo das Miteinander zählt", so die Begründung für AdL in Obfelden, Bild: Christian Beutler
Widerstand gegen Mehrjahrgangs-Klassen, Tages Anzeiger, 17.12. von Ev Manz
Bisher war Obfelden eine privilegierte Schulgemeinde. Seit acht Jahren
führt sie in der Primarschule mit 16 Klassen sowohl Jahrgangs- wie auch
Mehrjahrgangs-Klassen mit altersdurchmischtem Lernen, kurz AdL. Doch in zwei
Jahren soll damit Schluss sein. Die Schule stellt
ganz auf AdL um und hat damit den Unmut etlicher Eltern auf sich gezogen. Der
Entscheid sei über die Köpfe der Lehrerschaft hinweg gefällt worden, monieren
sie. Deshalb haben sie die Interessengemeinschaft (IG) Obfelden AdL ins Leben
gerufen. In der gestrigen Ausgabe des «Affoltermer Anzeigers» fordert die IG
die Schulpflege und die Schulleitung in einem offenen Brief auf, ihren
Entscheid zu überdenken und das Thema gemeinsam mit allen Beteiligten
anzugehen. Über 200 Eltern haben unterschrieben.
Lehrperson ist entscheidend
Viele Eltern hegen nicht grundsätzlich Zweifel am
altersdurchmischten Lernen. Ihnen geht es um die Lehrpersonen. Diese könnten
nur dann gut unterrichten, wenn sie auch hinter dem Unterrichtssystem stehen.
IG-Mitglied Nicole Geering sagt: «Wir wissen, dass viele Lehrer mit der
Umstellung nicht einverstanden sind.» Es verlange ihnen mindestens in den
ersten Jahren einen organisatorischen Mehraufwand ab, worunter vor allem die
Unterrichtsqualität leide.
Die Befürchtungen der Eltern werden genährt von
einem Beschwerdebrief seitens der Lehrerschaft. Zwei Lehrpersonen haben bereits
gekündigt. Die betroffenen Eltern haben im Sommer, kurz nach der Ankündigung
der Umstellung, mit der Schulpflege das Gespräch gesucht und verschiedene
Umsetzungsideen angeregt. An der Informationsveranstaltung der Schulpflege Ende
Oktober seien diese Anregungen aber nicht mehr erwähnt worden, sagen
IG-Vertreter. Es kam ihnen so vor, als wolle die Schulpflege zusammen mit den
Schulleitern die Idee durchboxen. Ihre Bedenken seien mit den Worten gekontert
worden: «Sie müssen uns vertrauen.» Das erschien den Eltern als «blanker Hohn».
Ein strategischer Entscheid
Um sich die Beweggründe der Schulpflege und der
Schulleitung erläutern zu lassen, genügt ein Telefongespräch nicht. So etwas
pflegt Präsident Werni Kurt persönlich darzulegen. Die Umstellung von
Jahrgangsklassen auf AdL-Klassen sei in erster Linie ein strategischer
Entscheid, um mit einer Entwicklung der Schule den gesellschaftlichen
Veränderungen nachhaltig zu begegnen, sagt Kurt im Sitzungszimmer seiner
Schule. Wenn er sehe, was heute alles vom Elternhaus an die Schule delegiert
werde und wie respektlos schon ganz junge Kinder aufträten, mache ihm das
Sorgen. «Wir wollen den Schülern ein Zuhause geben, wo das Miteinander zählt.»
Die umfassende Umstellung auf AdL soll die
Verschiedenheit an der Schule unterstreichen. Schulleiter Kaspar Oettli sagt:
«In einer Mehrklasse kann man Heterogenität besser auffangen, da die Klasse
wegen der Altersdurchmischung schon heterogen ist.» Eine Einheit wolle man auch
im Lehrkörper schaffen. Die beiden Schulsysteme nebeneinander hätten die
Zusammenarbeit der Lehrer über die Jahre hinweg stark erschwert. Dass unter
anderem wegen der Umstellung bereits zwei Lehrpersonen gekündigt haben,
verstehen Oettli und Kurt. «Aber wir kämpfen um alle», sagt Kurt. Sie sind
überzeugt, Lehrer zu finden, die mit Freude AdL-Klassen unterrichteten.
Fehler räumen beide indes bei der Kommunikation
ein. Sie hätten die Lehrer besser mündlich statt schriftlich informieren
sollen. Einen Einbezug der Lehrer in den Entschluss stand für Kurt jedoch nie
zur Debatte. «Es hätte nur Verlierer gegeben. Deshalb dieser
Führungsentscheid.» Unterschätzt hätten sie indessen auch die Elterninformation.
Es sei ihnen zu wenig bewusst gewesen, dass viele Eltern gar nicht wüssten, was
AdL eigentlich ist. Ein grundsätzliches Mitspracherecht der Eltern lehnt Kurt
aber kategorisch ab: «Im pädagogischen Bereich ist klar, wer entscheidet.»
Daran könne auch der offene Brief nichts ändern. Er bringe aus ihrer Sicht
keine neuen Punkte in die Diskussion ein.
Mehr Mischklassen als früher
Das kantonale Volksschulamt gibt grundsätzlich –
ausser bei ganz kleinen Gemeinden – keine Empfehlungen für das eine oder andere
Modell ab. Martin Wendelspiess, Vorsteher des Volksschulamtes, sagt: «Die
Initiative zur Umstellung auf altersdurchmischtes Lernen entsteht entweder aus
pädagogischen oder aus organisatorischen Gründen.» Vergleiche man die
Leistungen der Schüler aus beiden Systemen, seien sie ebenbürtig. Das belegten
auch Bildungsstudien. Bei AdL-Kindern sei hingegen die soziale Kompetenz leicht
ausgeprägter.
Tatsache ist, dass die Zahl der
Mehrjahrgangsklassen im Kanton Zürich in den letzten Jahren zugenommen hat. Im
Jahr 2000 gab es auf der Primarstufe 63 Klassen mit drei Jahrgängen; 2013 waren
es 260. Eine spezielle Ausbildung für AdL-Lehrpersonen bietet die Pädagogische
Hochschule aber nicht an. Martin Keller, Dozent mit Schwerpunkt
Unterrichtsentwicklung, sagt: «Die Zielgruppe ist zu klein.» Vielmehr sei
altersdurchmischtes Lernen ein Frage des Umgangs mit Heterogenität, und darin
würden die angehenden Lehrpersonen sehr wohl ausgebildet.
Widerstand gegen neue Unterrichtsformen ist nicht
neu. In Zumikon etwa wurde AdL vor sechs Jahren eingeführt, akzeptiert ist es
bis heute nicht. Und in Uetikon wird seit Jahren um die selbstorganisierte
Lernform gestritten.
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