17. Dezember 2014

Widerstand gegen Mehrjahrgangs-Klassen

Die Obfelder Primarschule löst die Regelklassen auf und stellt ganz auf altersdurchmischte Klassen um. Das lehnen jedoch viele Eltern und Lehrer ab.




"Wir wollen den Kindern ein Zuhause geben, wo das Miteinander zählt", so die Begründung für AdL in Obfelden, Bild: Christian Beutler

Widerstand gegen Mehrjahrgangs-Klassen, Tages Anzeiger, 17.12. von Ev Manz



Bisher war Obfelden eine privilegierte Schulgemeinde. Seit acht Jahren führt sie in der Primarschule mit 16 Klassen sowohl Jahrgangs- wie auch Mehrjahrgangs-Klassen mit altersdurchmischtem Lernen, kurz AdL. Doch in zwei Jahren soll damit Schluss sein. Die Schule stellt ganz auf AdL um und hat damit den Unmut etlicher Eltern auf sich gezogen. Der Entscheid sei über die Köpfe der Lehrerschaft hinweg gefällt worden, monieren sie. Deshalb haben sie die Interessengemeinschaft (IG) Obfelden AdL ins Leben gerufen. In der gestrigen Ausgabe des «Affoltermer Anzeigers» fordert die IG die Schulpflege und die Schulleitung in einem offenen Brief auf, ihren Entscheid zu überdenken und das Thema gemeinsam mit allen Beteiligten anzugehen. Über 200 Eltern haben unterschrieben.


Lehrperson ist entscheidend
Viele Eltern hegen nicht grundsätzlich Zweifel am altersdurchmischten Lernen. Ihnen geht es um die Lehrpersonen. Diese könnten nur dann gut unterrichten, wenn sie auch hinter dem Unterrichtssystem stehen. IG-Mitglied Nicole Geering sagt: «Wir wissen, dass viele Lehrer mit der Umstellung nicht einverstanden sind.» Es verlange ihnen mindestens in den ersten Jahren einen organisatorischen Mehraufwand ab, worunter vor allem die Unterrichtsqualität leide.
Die Befürchtungen der Eltern werden genährt von einem Beschwerdebrief seitens der Lehrerschaft. Zwei Lehrpersonen haben bereits gekündigt. Die betroffenen Eltern haben im Sommer, kurz nach der Ankündigung der Umstellung, mit der Schulpflege das Gespräch gesucht und verschiedene Umsetzungsideen angeregt. An der Informationsveranstaltung der Schulpflege Ende Oktober seien diese Anregungen aber nicht mehr erwähnt worden, sagen IG-Vertreter. Es kam ihnen so vor, als wolle die Schulpflege zusammen mit den Schulleitern die Idee durchboxen. Ihre Bedenken seien mit den Worten gekontert worden: «Sie müssen uns vertrauen.» Das erschien den Eltern als «blanker Hohn».
Ein strategischer Entscheid
Um sich die Beweggründe der Schulpflege und der Schulleitung erläutern zu lassen, genügt ein Telefongespräch nicht. So etwas pflegt Präsident Werni Kurt persönlich darzulegen. Die Umstellung von Jahrgangsklassen auf AdL-Klassen sei in erster Linie ein strategischer Entscheid, um mit einer Entwicklung der Schule den gesellschaftlichen Veränderungen nachhaltig zu begegnen, sagt Kurt im Sitzungszimmer seiner Schule. Wenn er sehe, was heute alles vom Elternhaus an die Schule delegiert werde und wie respektlos schon ganz junge Kinder aufträten, mache ihm das Sorgen. «Wir wollen den Schülern ein Zuhause geben, wo das Miteinander zählt.»
Die umfassende Umstellung auf AdL soll die Verschiedenheit an der Schule unterstreichen. Schulleiter Kaspar Oettli sagt: «In einer Mehrklasse kann man ­Heterogenität besser auffangen, da die Klasse wegen der Altersdurchmischung schon heterogen ist.» Eine Einheit wolle man auch im Lehrkörper schaffen. Die beiden Schulsysteme nebeneinander hätten die Zusammenarbeit der Lehrer über die Jahre hinweg stark erschwert. Dass unter anderem wegen der Umstellung bereits zwei Lehrpersonen gekündigt haben, verstehen Oettli und Kurt. «Aber wir kämpfen um alle», sagt Kurt. Sie sind überzeugt, Lehrer zu finden, die mit Freude AdL-Klassen unterrichteten.
Fehler räumen beide indes bei der Kommunikation ein. Sie hätten die Lehrer besser mündlich statt schriftlich informieren sollen. Einen Einbezug der Lehrer in den Entschluss stand für Kurt jedoch nie zur Debatte. «Es hätte nur Verlierer gegeben. Deshalb dieser Führungsentscheid.» Unterschätzt hätten sie indessen auch die Elterninformation. Es sei ihnen zu wenig bewusst gewesen, dass viele Eltern gar nicht wüssten, was AdL eigentlich ist. Ein grundsätzliches Mitspracherecht der Eltern lehnt Kurt aber kategorisch ab: «Im pädagogischen Bereich ist klar, wer entscheidet.» Daran könne auch der offene Brief nichts ändern. Er bringe aus ihrer Sicht keine neuen Punkte in die Diskussion ein.
Mehr Mischklassen als früher
Das kantonale Volksschulamt gibt grundsätzlich – ausser bei ganz kleinen Gemeinden – keine Empfehlungen für das eine oder andere Modell ab. Martin Wendelspiess, Vorsteher des Volksschulamtes, sagt: «Die Initiative zur Umstellung auf altersdurchmischtes Lernen entsteht entweder aus pädagogischen oder aus organisatorischen Gründen.» Vergleiche man die Leistungen der Schüler aus beiden Systemen, seien sie ebenbürtig. Das belegten auch Bildungsstudien. Bei AdL-Kindern sei hingegen die soziale Kompetenz leicht ausgeprägter.
Tatsache ist, dass die Zahl der Mehrjahrgangsklassen im Kanton Zürich in den letzten Jahren zugenommen hat. Im Jahr 2000 gab es auf der Primarstufe 63 Klassen mit drei Jahrgängen; 2013 waren es 260. Eine spezielle Ausbildung für AdL-Lehrpersonen bietet die Pädagogische Hochschule aber nicht an. Martin Keller, Dozent mit Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung, sagt: «Die Zielgruppe ist zu klein.» Vielmehr sei altersdurchmischtes Lernen ein Frage des Umgangs mit Heterogenität, und darin würden die angehenden Lehrpersonen sehr wohl ausgebildet.
Widerstand gegen neue Unterrichtsformen ist nicht neu. In Zumikon etwa wurde AdL vor sechs Jahren eingeführt, akzeptiert ist es bis heute nicht. Und in Uetikon wird seit Jahren um die selbstorganisierte Lernform gestritten.


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