Möchte beim Lehrplan 21 den Rotstift ansetzen: Sepp Zahner, Bild: Martina Heinrich
Ist der Lehrplan 21 praxistauglich? Toggenburger Zeitung, 2.12. von Martina Heinrich
In einer eidgenössischen Volksabstimmung hat das
Schweizer Volk 2006 mehrheitlich der Neufassung des Bildungsartikels in der
Bundesverfassung zugestimmt, der eine „Harmonisierung des Schulwesens im
Bereich des Schuleintrittsalters und der Schulpflicht, der Dauer und Ziele der
Bildungsstufen und von deren Übergängen" verlangt. Die Stimmbürger
erwarteten daraufhin eine Vereinheitlichung der kantonalen Schule im Sinne
einer demokratischen, föderalistischen Lösung, durch welche die einzelnen
Kantone ihre verschiedenen Lehrpläne angleichen würden. Stattdessen ist von der
D-EDK-Bürokratie ein einheitlicher Lehrplan für die deutsche Sprachregion
entwickelt worden, der einen umwälzenden Paradigmenwechsel darstellt. Seit 2007
ist es für einzelne Kantone in der Schweiz möglich, dem HarmoS-Konkordat
beizutreten und somit die Qualität und Durchlässigkeit des Schulsystems zu
sichern sowie Mobilitätshindernisse bei Umzügen von Familien abzubauen. Der
Kanton St. Gallen hat im Jahre 2008 diesem Konkordat bei tiefer Stimmbeteiligung
sehr knapp zugestimmt. Der Lehrplan 21 soll an den Schulen im Kanton St.Gallen
ab Sommer 2017 eingeführt werden, wie Erziehungsdirektor Stefan Kölliker Mitte
November mitteilte. Der St.Galler Erziehungsrat hält am Fahrplan für den neuen
Lehrplan fest, trotz Widerständen aus der Bevölkerung und auch der Politik. Der
Lehrplan sei zeitgemäss, lobt Stefan Kölliker das 470 Seiten umfassende Werk
für den zukünftigen Schulunterricht.
Der Verein Starke Volksschule St. Gallen wurde am
21. April 2014 in Staad gegründet. "Wir zählen über 70 Mitglieder und
Sympathisanten: Eltern, Grosseltern, Parteimitglieder aller Couleurs,
National-, Kantons- und Schulräte, Kindergärtnerinnen, Primar-, Oberstufen- und
Berufsschullehrer", so Präsident Michael Fitzi. «Im Lehrplan 21 geht es um
Kompetenzorientierung statt um Inhaltsorientierung. Ein moderner Lehrplan hat
sich an messbare, systematische und strukturierte Fächerjahreslernzielen zu
orientieren", so Fitzi weiter, "jede Regung des Schülers wird als
Kompetenz definiert und soll überprüft werden. Mit der Umsetzung des Lehrplans
21 wird es eine Diskussion über die notenfreie Schule geben – in allen
Fächern."
Einer der sich als Beisitzer im Verein der Starken
Volksschulen engagiert ist Sepp Zaner aus Kaltbrunn.
Der Verein "Starke Volksschule St.Gallen
besteht aus Eltern, Lehrer und Schulbehörden – Sie, Herr Zahner, gehören zu
keiner dieser Kategorien. Warum engagieren Sie sich?
"Als selbständiger und politisch
interessierter Bürger weiss ich, dass viele Prozesse lange dauern, im Positiven
wie im Negativen. Dereinst möchte ich die mir zustehende AHV beanspruchen, für
die ich jetzt einzahle. Das geht aber nur, wenn die jungen Leute, die jetzt zur
Schule gehen, auch wieder beruflich erfolgreich werden, und einen positiven
Beitrag an die Volkswirtschaft leisten. Die Volksschule ist dabei ein sehr
wichtiges Element. Der Lehrplan 21 wird zwar schön geredet, doch er ist nicht
kindgerecht und dient anderen Zielen. Wenn Regierungsrat Kölliker sagt, er sei
zeitgemäss, dann frage ich: Ist es zeitgemäss, dass Lehrmeister,
Berufsschullehrer und andere "Abnehmer" der Volksschule schon heute
klagen, weil die Schulabgänger immer schlechter werden, oft kaum mehr Rechnen
und Schreiben können?"
Seit der Umsetzung des Harmos- Konkordates wird in
unserem Kanton jetzt schon ab der 3. Klasse mit Englisch und ab der fünften mit
Französisch gestartet. Für Kinder in der Ostschweiz, unabhängig ob Einheimische
oder Immigranten, ist jedoch bereits schon Hochdeutsch eine Art Fremdsprache.
Finden Sie das auch Herr Zahner?
"Schriftdeutsch ist die sprachliche Grundlage
des Schriftverkehrs im deutschsprachigen Raum. Kindergärtler sollen Kind sein
dürfen, sich in der Muttersprache, im Dialekt lernen, auszudrücken und so ihre
Identität aufbauen. Entwicklungs- und Lernpsychologen empfehlen, die Eltern
sollen mit ihren Kindern die Muttersprache richtig sprechen, egal, welche das
ist. Ab der ersten Klasse soll wie früher das ABC und Hochdeutsch strukturiert
und altersgerecht gelernt werden, das ist fürs spätere (Berufs-)leben sehr
wichtig. Eine Fremdsprache sollte frühestens ab der 5. Klasse, die 2. in der
Oberstufe gelehrt werden. So werden wieder dringend benötigte Lektionen frei
für Deutsch, Rechnen, Werken, Geschichte usw. Ich bin dankbar für den
engagierten Deutschunterricht, mit Grammatik, Aufsätzen und Diktaten. Alles
wurde immer korrigiert und erklärt, was schon heute nicht mehr immer der Fall
ist und mit dem Lehrplan 21 noch viel krasser wird. Nach dem Lehrplan 21 sollen
die Kinder selbstgesteuert, autodidaktisch lernen, sie sollen sich selber
korrigieren mit Rechtschreibeprogrammen im Internet. Wohin führt das? Viele
werden scheitern. Eltern werden noch mehr gefordert mit Hausaufgaben, die
heutige Situation mit all den Sonderpädagogischen Betreuungen, wird sich
verschlimmern. Das Gleiche gilt beim Rechnen: Anstatt zu korrigieren und üben,
bis sie es können, brauchen sie ja nur die Kompetenz, wie mit dem Taschenrechner
oder via Internet die Aufgabe gelöst werden kann. Üben sollen sie
selbständig zu Hause, wer das nicht macht, wird fallengelassen."
Was stört Sie persönlich am
Lehrplan 21?
"Der Lehrplan 21 zementiert einen
grundlegenden Paradigma-Wechsel, eine grosse Veränderung. Er führt weg von der
klar geführten Wissensvermittlung hin zur unsystematischen Anhäufung von
Kompetenzen, selbstgesteuertem oberflächlichem Lernen, ohne eigenständiges
Denken wirklich zu fördern. Er stammt aus der Feder der OECD, und soll hinter
dem Rücken der Bevölkerung eingeführt werden. Es sollte doch selbstverständlich
sein, dass derart gravierende Änderungen öffentlich diskutiert werden müssen,
damit die Bürger sich ein Bild machen und darüber abstimmen können. Aber die
Regierung scheut sich davor, das beweist, dass etwas nicht stimmt."
Kinder sind Zukunft. Ist der Lehrplan 21 für Sie
nicht genug zukunftsträchtig?
"Absolut, Kinder sind die Zukunft, auch wenn
ich leider keine eigenen habe. Der Lehrplan 21 ist nicht kindgerecht, er geht
in die falsche Richtung und verstärkt die heutigen Missstände."
Liegen die von Ihnen angesprochenen Missstände auch
im Elternhaus?
"Teilweise. Wenn Eltern ihre Kinder gut
anleiten, die Kinder intelligent sind, dann schadet auch eine schlechte Schule
weniger. Aber das sind vielleicht 10 oder 20 Prozent der Schüler. Wenn Kinder
zu hause keine Strukturen haben, was leider heute oft der Fall ist, brauchen
sie diese umso mehr in der Schule. Sie werden zwar rebellieren, doch so
bekommen sie Halt. Dazu braucht es gut ausgebildete und geeignete Lehrpersonen,
die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, die eine gesunde Autorität haben,
Bezugsperson und Vorbild sind. Die Kinder brauchen wohlwollende, klare
Anleitungen,und manchmal etwas Druck, denn Kinder wollen die Grenzen austesten.
Dazu brauchen die Lehrer brauchen einen einfachen, klaren, strukturierten
Rahmen- Lehrplan, der ihnen den Rücken stärkt für ihre Aufgabe."
Herr Zahner, macht ein
schweizweit einheitliches Bildungssystem nicht Ihrer Meinung nach Sinn?
"Sicher, die Frage ist das Wie! Einerseits
muss die Kantonshoheit unbedingt erhalten bleiben, was mit HarmoS nicht mehr
der Fall ist. Anderseits ist durch HarmoS sogar innerhalb des Kantons ein
Durcheinander in den Schulen entstanden. Artikel 8 von HarmoS zwingt uns,
Lehrpläne zu übernehmen. Mit dieser Begründung wurde unsere Initiative
"Lehrplan 21 vors Kantonsparlament", als ungültig erklärt, wo noch
ein Rekurs hängig ist. Darum sammeln wir jetzt Unterschriften für die
Initiative zur Kündigung von HarmoS. Die Lehrplan 21-Propaganda verspricht nun
endlich die ersehnte Harmonisierung und Vereinfachung, aber das ist nicht wahr.
Jahrgangs- und Quartalsziele fehlen. Stattdessen soll individualisiert werden,
d.h. die Klasse erarbeitet nicht mehr gemeinsam den Stoff. Sogar
altersdurchmischtes Lernen und Integration von Behinderten in Regelklassen soll
Standard werden. Wie sollen denn diese Kompetenzen geprüft werden? Ältere
Lehrer werden wie bis anhin unterrichten, ausser sie kommen durch den Lehrplan
21 von Amtes wegen unter Druck. Aber was machen die jungen Lehrer? Die
Ausbildung an den pädagogischen Hochschulen ist bereits Lehrplan 21-konform. So
gibt es doch tatsächlich Lehrer, die nicht in der Lage sind, 2 Sätze fehlerlos
zu schreiben. Aber sie sind "zeitgemäss" und Lehrplan-21 konform von
der pädagogischen Hochschule ausgebildet worden. So kann es nicht weiter gehen.
Um wieder die Selbstbestimmung über die Volksschule zu erreichen, hat sich der
überparteiliche Verein www.starkeVolksschuleSG.ch gebildet. Neue Mitglieder und
Interessenten, auch Lehrpersonen und Politiker, sind herzlich willkommen.
Bildungsbürokratie abbauen - HarmoS kündigen! Für jede Hilfe sind wir
dankbar."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen