Belegt
wurde dieser Ruf jüngst mit einer Nationalfonds-Studie, die bizarrerweise
gleichzeitig davon sprach, dass 87,2 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer der
Beruf Spass macht. Wir haben uns ein wenig umgehört. Was macht den guten Lehrer
aus? Es sind nicht Faktoren wie kompetenzorientiert, Teamfähigkeit oder Bachelor-Abschluss,
die einen guten Lehrer beschreiben, und wie sie heute in jedem
Bewerbungsdossier stehen müssen. Vielmehr waren diese Lehrerinnen und Lehrer
autarke Monolithen in der Bildungslandschaft, zuweilen auch etwas schräge
Vögel.
Meinen
Respekt hatte Lehrer Bruggmann, der mich in Mathe und Geo unterrichtete. Er
öffnete seine Wohnung für die schwachen Matheschüler mittwochnachmittags. Nicht
weil er ein Kumpel für die Schüler sein wollte, sondern weil er eines
verinnerlicht hatte: Wissen vermittelt sich am besten über persönliche
Beziehungen. Vorbild Bruggmann – seine Heilandsandalen, die Strahlensonne als
Anti-Atom-Aufkleber auf seiner Rostlaube und stets jene Manchester-Jeans
tragend, die den Menschen zusätzlich dick erscheinen lassen – prägte früher
noch lange mein Bild, das ich mir über die SP-Genossen machte: etwas
antiquiert, dafür menschlich und für die Umwelt.
Eine Ode an die guten Lehrer, Basler Zeitung, 30.12. von Daniel Wahl
Haben auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gute Erinnerungen an eine fähige Lehrperson? Teilen Sie Ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit den Lesern dieses Blogs.
Ich erinnere mich noch gut an meinen Englischlehrer an der Kanti Sargans. Er war sehr streng. Die Schüler zitterten vor seinen Prüfungen, die er jeweils auch knallhart benotete. Bei ihm lernten wir eine gute Aussprache und wurden sattelfest in der Grammatik. Ab und zu lasen wir auch ein Buch und lernten Wörtli. Die Schüler hassten ihn leidenschaftlich und er erzählte uns immer wieder, wie er seine Telefonleitung abends jeweils lahm legte, damit er nicht mitten in der Nacht belästigt würde. Aber wir wussten bei ihm immer, woran wir waren.
AntwortenLöschenIch hatte es sehr gut mit ihm und ich klopfte ihm einmal kollegial auf die Schultern und sagte ihm, er solle sich doch nicht immer so aufregen. Er hatte einen trockenen Humor und erst später bemerkte ich, dass ich bei ihm sehr viel gelernt hatte. Er forderte sehr viel von seinen Klassen und liess sich dabei nicht beirren. Dafür bin ich ihm noch heute dankbar.
Michael Bahnert, Journalist bei der Basler Zeitung, schreibt:
AntwortenLöschenWilly Schneider, ein harter Hund von Deutschlehrer, sah aus, als ob er aus einem John-Irving-Roman geschlichen wäre: Schuhe mit Gummisohlen, Cordhose in einer Farbe, die es eigentlich gar nicht gibt, stets kariertes Baumwollhemd, Kittel mit ledernen Armschonern, die speckig glänzten, weisse dünne Haare, die ihm auch aus Ohren und Nase wuchsen. Nie sah man ihn ohne Ledertasche, ich glaube, wenn er nachts schlafen ging, brauchte er sie als Kopfkissen.
Man musste nur seine Schrift anschauen und wusste viel über sein Weltbild. Die Schrift war präzise, schnörkellos, pedantisch in den Details, einzig die relativ grossen Abstände zwischen den Wörtern deuteten eine mögliche Grosszügigkeit an.
Ich weiss nicht, ob das Spiel bekannt ist: Aus einer Pyramide von Strichen – oben einen, dann drei, fünf und sieben – streichen zwei gegeneinander Striche; man darf immer nur auf einer Linie streichen und nie eine ganze. Wer den letzten streichen muss, hat verloren. Ich glaube, nebst der Literatur war das Herrn Schneiders einzige Leidenschaft. Er war der Meister, holte sich regel¬mässig Schüler an die Tafel, sonnte sich ausgiebig in seinem Erfolg.
Ich übte ein halbes Schuljahr lang, kam dann zwar auf Probe, aber am Ende schlug ich ihn, was für die künftige Entwicklung meines Egos nicht unerheblich war. Jeder, der mal einen vermeintlich Unschlagbaren geschlagen hat, weiss, wovon ich spreche. Ich lernte, dass es für einen Menschen besser ist, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und all die Nebenschauplätze ausser Acht zu lassen.
Ich fing unverzüglich an, die Schule zu schwänzen. Ging morgens aus dem Haus, besuchte entweder meinen Kumpel André, der schon eine eigene Wohnung hatte, und las mich durch seine grandiose Sammlung von Westernliteratur. Louis L’Amour war mein Favorit, grossartiger Erzähler. Als ich die Sammlung durch hatte, machte ich mich morgens auf in die Unibibliothek, holte mir Sachen von Faulkner, Hemingway, Fitzgerald, HST, Bukowski und das ganze Beatnik-Zeugs. Ich sass in der Cafeteria und las, und wenn ich genug von Worten hatte, versuchte ich, in den Augen von Frauen zu lesen. Ich wär dann fast von der Schule geflogen, aber egal.
Ich fasste wieder Fuss, ein wenig, und das Beste war die Doppelstunde Deutsch, Aufsatzschreiben. Wenn ich mich richtig erinnere, waren die feinsäuberlichen Anmerkungen von Herrn Schneider länger als der Aufsatz selbst. Überall rot. Rechtschreibfehler, Grammatikfehler, Denkfehler. Ich wusste nicht, ob er mir das Strichspiel nicht verzieh oder ob er etwas gegen mich hatte. Irgendwann mal nach Schulschluss musste ich an sein Pult kommen, und er sprach eine Stunde über die Geheimnisse des Schreibens, wie es glücklich machen kann und unglücklich auch und warum er Lehrer geworden ist und nicht Schriftsteller. Dann sagte er: «Michael, aus Ihnen könnte mal ein guter Schreiberling werden.» Seither versuche ich das, manchmal gut, manchmal weniger. Aber es ist immer noch besser, als Lehrer zu sein.
Markus Wüest schreibt in der Basler Zeitung:
AntwortenLöschenWir haben das Wesentliche gelernt: Neugier und Freude
Ganz simpel: Was muss ein Lehrer vor allem? Lehren! Was muss er lehren? Neugierig zu sein. Fragen zu stellen. Die Welt entdecken zu wollen. Lust darauf zu bekommen, Dinge zu lernen, die man noch nicht kann, weil man merkt, wofür man sie später einmal brauchen wird.
Ich darf mich glücklich schätzen, hatte ich als Primarlehrerin «Fräulein Sury». Sie hat mir das Wesentliche beigebracht. Sie hat es geschafft, mir nie die Freude am Lernen zu vergällen.
Wie sie das geschafft hat? Ich glaube, da es ihr gelungen ist, ihre eigene Begeisterung, ihre eigene Neugier auf uns zu übertragen. Und weil man das Leben nicht nur theoretisch im Klassenzimmer kennenlernen kann, machten wir öfter mal Exkursionen. Wir sahen dem Schmied bei der Arbeit zu, wir waren in einer Zeitungsredaktion, wir waren in der Molkerei.
Und weil Irène Sury eben tatsächlich auch voller Enthusiasmus war, liess sie sich dazu hinreissen, mit uns nachher selber einen kleinen Käse herzustellen. Ihr Enthusiasmus übertrug sich auf uns und der Geruch des langsam reifenden Käses vom Keller nach und nach auf das ganze Schulhaus.
Sie hat mir vor nicht allzu langer Zeit erst gestanden, wir seien die einzige Klasse gewesen, mit der sie dieses Experiment gewagt habe. Wahrscheinlich weil sich der Rest des Kollegiums bei ihr über den intensiven Duft beschwert hat. So ein Käse.
Ich bin Jahrgang 1962. Der geburtenstärkste. Wir waren, wenn ich mich richtig erinnere, 36 Kinder in der Klasse. Ja, richtig, 36! Irène Sury hat das irgendwie gepackt. Aus uns wurden Professorinnen, «Vordenker», Ärzte, Künstler, Fotografen wie zum Beispiel Juri Weiss, der das Bild von unserer Primarlehrerin geschossen hat. Unter einem leicht geschwindelten Vorwand. Es sei für ein baldiges Klassentreffen, habe ich ihm gesagt, soll er ihr sagen. Aber weil sie uns auch moralische Begriffe beigebracht hat, gestehe ich jetzt und hier lieber die Wahrheit. (Aber das Klassentreffen organisieren wir auch noch, versprochen!)
Die Exkursionen vor allem
Wir haben selbstverständlich nicht nur Exkursionen gemacht, Theater gespielt oder gesungen, wir paukten auch den Schulstoff, wir hatten Turnstunden, das übliche Pflichtprogramm. Im Rückblick stechen aber die Ausflüge heraus, ganz klar. Und das Singen. Laut meiner näheren Umgebung habe ich das nicht wirklich gut gelernt. Aber Spass hats gemacht.
Irène Sury, ich bin mittlerweile per Du mit ihr, sehe ich noch gelegentlich. Und während ich bei einigen anderen Lehrerinnen und Lehrern gar nicht darauf erpicht bin, mit ihnen zu plaudern, freut mich jede unserer Begegnungen, weil ich bei ihr so viel gelernt habe. Auch Freude zu zeigen.