Die Schüler sollen vermehrt Kompetenzen statt blosses Wissen vermittelt bekommen, Bild: Christoph Ruckstuhl
Das Volk soll den Lehrplan 21 kippen, NZZ, 2.10. von Daniel Gerny, Erich Aschwanden, Jörg Krummenacher
Irgendwann im nächsten Jahr, so schwebt es Saskia
Olsson vor, setzt das Baselbieter Volk dem ganzen Spuk ein Ende. Olsson steht
an der Spitze eines Vereins im Kanton Basel-Landschaft, der den Lehrplan 21 ins
Visier nimmt. Die Unterschriften für eine Initiative, welche den Austritt aus
dem Harmos-Konkordat verlangt, sind bereits gesammelt. Harmos ist die Grundlage
für den neuen Lehrplan. Kantone, die dem Konkordat angehören, sind
verpflichtet, diesen zu übernehmen. Noch warten die Gegner mit der Einreichung
des Volksbegehren zu - aus taktischen Gründen. Das Volk soll erst entscheiden,
wenn Bildungsdirektor Urs Wüthrich (sp.), ein Befürworter des Lehrplans, nicht
mehr im Amt ist. Seinen Rücktritt hat Wüthrich für Mitte 2015 angekündigt.
Parlamente für Lehrplan 21
Es ist pikant, dass der Angriff ausgerechnet im
Kanton Basel-Landschaft erfolgt, also in jenem Kanton, der 2002 den Anstoss für
den Harmonisierungsprozess im Bildungsbereich gab. Doch auch wenn der
Widerstand im Baselbiet bisher am weitesten fortgeschritten ist, Skepsis und
Ablehnung gegen den Lehrplan manifestieren sich in beinahe der ganzen
Deutschschweiz. Die Gegner versuchen die Diskussion auf die politische Ebene zu
hieven. Die Stossrichtung ist klar: Nicht Regierungsräte und Bildungsräte
sollen über den Lehrplan entscheiden, sondern die Kantonsparlamente - und
nötigenfalls das Volk an der Urne.
Parlamentarische Vorstösse mit diesem Ziel wurden
unter anderem in den Kantonen Zürich, Bern, Luzern, St. Gallen, Solothurn, Zug
und Thurgau eingereicht. «Die Entwicklung der Schule ist zu wichtig, als dass
man sie alleine dem Regierungsrat überlassen dürfte», lautet die Begründung zum
Thurgauer Vorstoss, dessen Behandlung noch aussteht. Nur ein Entscheid des
Parlaments mit anschliessender Referendumsmöglichkeit schaffe die notwendige
Akzeptanz. Bisher hatten diese Anträge wenig Chancen. Lehrpläne sollen nicht
zum Spielball politischer Partikularinteressen werden, lautet der Tenor in den
Kantonsparlamenten.
Der Druck zeigt dennoch Wirkung. Am deutlichsten
manifestiert sich das bis jetzt in den Kantonen Aargau und Graubünden. Die
Aargauer Regierung hat im Sommer die Einführung des Lehrplans um drei Jahre
verschoben. In Graubünden übt sich Bildungsdirektor Martin Jäger (sp.) gar in
vorauseilendem Gehorsam. Er stellte gleich selbst in Aussicht, den Lehrplan 21
dem Grossen Rat zur Genehmigung vorzulegen. Damit ist das Dossier hochoffiziell
zur politischen Verhandlungssache geworden. Die Zurückhaltung der Legislative
wird in anderen Kantonen denn auch nicht verstanden: Die Luzerner
SVP-Politikerin Barbara Lang beispielsweise ärgert sich, dass das Parlament
bildungspolitische Themen nicht anzupacken wagt.
Deshalb soll nun das Volk entscheiden. Auch im
Kanton Luzern wird eine Initiative mit ähnlicher Stossrichtung wie im Baselbiet
vorbereitet. Weil Luzern bei Harmos abseitssteht, wäre es zur Übernahme des
Lehrplans gar nicht verpflichtet. Das macht es für die Initianten einfacher.
Nach dem Willen von Lang soll nun das Volk künftig über die Einführung von
Lehrplänen abstimmen. Im Kanton Aargau wurde ebenfalls - trotz Verschiebung der
Einführung - bereits eine Initiative lanciert. In St. Gallen hat der Verein
«Starke Volksschule» zwei Initiativen eingereicht, über deren Gültigkeit die
Regierung demnächst entscheiden wird. Verlangt wird unter anderem der Ausstieg
aus dem Harmos-Konkordat.
Gegner in fast allen Parteien
Nicht nur in geografischer Hinsicht ist die
Opposition vielschichtig, auch die Motivation dafür ist breit gefächert (vgl.
Zusatz). Dies widerspiegelt sich in der Zusammensetzung der Gegnerschaft.
Auffällig ist zwar, dass die parlamentarischen Vorstösse häufig von
SVP-Vertretern eingebracht werden, doch anders als bei der Bekämpfung von
Harmos wird der Widerstand gegen den Lehrplan 21 nicht eindeutig von dieser
Partei angeführt. Involviert sind ebenso CVP-, GLP-, EVP-, EDU- sowie
vereinzelte FDP- und Grünen-Vertreter. Gegner finden sich wie im Fall von
Saskia Olsson auch ausserhalb der Parteipolitik. Claudia Meier vom Verein
«Eltern für eine gute Volksschule» sagt: «Wir wollen den Widerstand von unten
herbeiführen.» Denn der Lehrplan 21 würde sämtliche Fehlentwicklungen der
letzten 20 Jahre im Schulbereich zementieren. Auch unter den Lehrern wächst der
Widerstand. So stehen etwa hinter der Gründung des Vereins «Starke Volksschule
St. Gallen» ein Schulpräsident, ein Schulrat, Lehrer und Eltern.
Nicht bei allen Gegnern
erschliesst sich deren Hintergrund auf den ersten Blick. Diese Heterogenität
macht es schwierig, die Kraft und Dynamik der Opposition gegen den Lehrplan
einzuschätzen. Die Diskussion ist schwer fassbar und inhaltlich diffus, was
auch darauf zurückzuführen ist, dass die Materie komplex ist und der Lehrplan
in seiner endgültigen Fassung noch nicht vorliegt. Die Entscheide in den Parlamenten
deuten zwar darauf hin, dass der Opposition eine breite Abstützung im
politischen Betrieb fehlt. Dies muss bei einer allfälligen Volksabstimmung aber
nichts bedeuten. Auch im Falle von Harmos sah es zuerst lange danach aus, als
ob dem Konkordat kein ernstzunehmender Widerstand erwachsen würde - bis Luzern
2008 den Beitritt ablehnte und damit eine Kettenreaktion auslöste.
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