2. Oktober 2014

Widerstand gegen Harmonisierung wächst

In den Kantonen wächst der Widerstand gegen eine weitere Harmonisierung im Schulbereich. In den nächsten Wochen wollen die Erziehungsdirektoren den Lehrplan 21 zuhanden der Kantone verabschieden. Dort organisieren sich die Gegner. Noch ist schwer abzuschätzen, welche Kraft die Opposition gegen den neuen Lehrplan hat. 




Die Schüler sollen vermehrt Kompetenzen statt blosses Wissen vermittelt bekommen, Bild: Christoph Ruckstuhl

Das Volk soll den Lehrplan 21 kippen, NZZ, 2.10. von Daniel Gerny, Erich Aschwanden, Jörg Krummenacher


Irgendwann im nächsten Jahr, so schwebt es Saskia Olsson vor, setzt das Baselbieter Volk dem ganzen Spuk ein Ende. Olsson steht an der Spitze eines Vereins im Kanton Basel-Landschaft, der den Lehrplan 21 ins Visier nimmt. Die Unterschriften für eine Initiative, welche den Austritt aus dem Harmos-Konkordat verlangt, sind bereits gesammelt. Harmos ist die Grundlage für den neuen Lehrplan. Kantone, die dem Konkordat angehören, sind verpflichtet, diesen zu übernehmen. Noch warten die Gegner mit der Einreichung des Volksbegehren zu - aus taktischen Gründen. Das Volk soll erst entscheiden, wenn Bildungsdirektor Urs Wüthrich (sp.), ein Befürworter des Lehrplans, nicht mehr im Amt ist. Seinen Rücktritt hat Wüthrich für Mitte 2015 angekündigt.
Parlamente für Lehrplan 21
Es ist pikant, dass der Angriff ausgerechnet im Kanton Basel-Landschaft erfolgt, also in jenem Kanton, der 2002 den Anstoss für den Harmonisierungsprozess im Bildungsbereich gab. Doch auch wenn der Widerstand im Baselbiet bisher am weitesten fortgeschritten ist, Skepsis und Ablehnung gegen den Lehrplan manifestieren sich in beinahe der ganzen Deutschschweiz. Die Gegner versuchen die Diskussion auf die politische Ebene zu hieven. Die Stossrichtung ist klar: Nicht Regierungsräte und Bildungsräte sollen über den Lehrplan entscheiden, sondern die Kantonsparlamente - und nötigenfalls das Volk an der Urne.
Parlamentarische Vorstösse mit diesem Ziel wurden unter anderem in den Kantonen Zürich, Bern, Luzern, St. Gallen, Solothurn, Zug und Thurgau eingereicht. «Die Entwicklung der Schule ist zu wichtig, als dass man sie alleine dem Regierungsrat überlassen dürfte», lautet die Begründung zum Thurgauer Vorstoss, dessen Behandlung noch aussteht. Nur ein Entscheid des Parlaments mit anschliessender Referendumsmöglichkeit schaffe die notwendige Akzeptanz. Bisher hatten diese Anträge wenig Chancen. Lehrpläne sollen nicht zum Spielball politischer Partikularinteressen werden, lautet der Tenor in den Kantonsparlamenten.
Der Druck zeigt dennoch Wirkung. Am deutlichsten manifestiert sich das bis jetzt in den Kantonen Aargau und Graubünden. Die Aargauer Regierung hat im Sommer die Einführung des Lehrplans um drei Jahre verschoben. In Graubünden übt sich Bildungsdirektor Martin Jäger (sp.) gar in vorauseilendem Gehorsam. Er stellte gleich selbst in Aussicht, den Lehrplan 21 dem Grossen Rat zur Genehmigung vorzulegen. Damit ist das Dossier hochoffiziell zur politischen Verhandlungssache geworden. Die Zurückhaltung der Legislative wird in anderen Kantonen denn auch nicht verstanden: Die Luzerner SVP-Politikerin Barbara Lang beispielsweise ärgert sich, dass das Parlament bildungspolitische Themen nicht anzupacken wagt.
Deshalb soll nun das Volk entscheiden. Auch im Kanton Luzern wird eine Initiative mit ähnlicher Stossrichtung wie im Baselbiet vorbereitet. Weil Luzern bei Harmos abseitssteht, wäre es zur Übernahme des Lehrplans gar nicht verpflichtet. Das macht es für die Initianten einfacher. Nach dem Willen von Lang soll nun das Volk künftig über die Einführung von Lehrplänen abstimmen. Im Kanton Aargau wurde ebenfalls - trotz Verschiebung der Einführung - bereits eine Initiative lanciert. In St. Gallen hat der Verein «Starke Volksschule» zwei Initiativen eingereicht, über deren Gültigkeit die Regierung demnächst entscheiden wird. Verlangt wird unter anderem der Ausstieg aus dem Harmos-Konkordat.
Gegner in fast allen Parteien
Nicht nur in geografischer Hinsicht ist die Opposition vielschichtig, auch die Motivation dafür ist breit gefächert (vgl. Zusatz). Dies widerspiegelt sich in der Zusammensetzung der Gegnerschaft. Auffällig ist zwar, dass die parlamentarischen Vorstösse häufig von SVP-Vertretern eingebracht werden, doch anders als bei der Bekämpfung von Harmos wird der Widerstand gegen den Lehrplan 21 nicht eindeutig von dieser Partei angeführt. Involviert sind ebenso CVP-, GLP-, EVP-, EDU- sowie vereinzelte FDP- und Grünen-Vertreter. Gegner finden sich wie im Fall von Saskia Olsson auch ausserhalb der Parteipolitik. Claudia Meier vom Verein «Eltern für eine gute Volksschule» sagt: «Wir wollen den Widerstand von unten herbeiführen.» Denn der Lehrplan 21 würde sämtliche Fehlentwicklungen der letzten 20 Jahre im Schulbereich zementieren. Auch unter den Lehrern wächst der Widerstand. So stehen etwa hinter der Gründung des Vereins «Starke Volksschule St. Gallen» ein Schulpräsident, ein Schulrat, Lehrer und Eltern.
Nicht bei allen Gegnern erschliesst sich deren Hintergrund auf den ersten Blick. Diese Heterogenität macht es schwierig, die Kraft und Dynamik der Opposition gegen den Lehrplan einzuschätzen. Die Diskussion ist schwer fassbar und inhaltlich diffus, was auch darauf zurückzuführen ist, dass die Materie komplex ist und der Lehrplan in seiner endgültigen Fassung noch nicht vorliegt. Die Entscheide in den Parlamenten deuten zwar darauf hin, dass der Opposition eine breite Abstützung im politischen Betrieb fehlt. Dies muss bei einer allfälligen Volksabstimmung aber nichts bedeuten. Auch im Falle von Harmos sah es zuerst lange danach aus, als ob dem Konkordat kein ernstzunehmender Widerstand erwachsen würde - bis Luzern 2008 den Beitritt ablehnte und damit eine Kettenreaktion auslöste.

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