12. Oktober 2014

Freikirchler unterlaufen Pädagogische Hochschulen

Es gibt keine Zahlen, wie viele strenggläubige Studenten sich an den PH des Landes zu Lehrern ausbilden lassen. Glauben und Lehrtätigkeit können aber zum Problem werden, z.B in der Evolutionstheorie. Die PH thematisieren dies aber zu wenig, finden Studierende.



"Wer hier einem 'Fischli' begegnen will, muss nicht lange suchen", Bild: Dominik Wunderli

Freikirchler unterlaufen Lehrziele, Schweiz am Sonntag, 12.10. von Sarah Serafini


Martin trägt sein Glaubensbekenntnis um den Hals. Ein grosses silbernes Kreuz baumelt an seiner Kette. Er ist Mitglied der Freikirche ICF und Student an der Pädagogischen Hochschule (PH) Zürich. Dass es an den Schweizer PH viele strenggläubige Anhänger von Freikirchen gibt, ist kein Geheimnis. Genaue Zahlen dazu werden nicht erhoben. Die Religion sei Privatsache der Studierenden, wird argumentiert. Martin vermutet, dass es an der PH eine stattliche Zahl an Studierenden aus Freikirchen gibt. Als eine Dozentin im Unterricht einmal danach fragte, haben von zwanzig Studierenden drei die Hand gehoben. «Ich denke aber, dass es mehr sind, und sich einige nicht als Freikirchler outen wollten.» Denn viele würden sich vor der Reaktion der Dozenten und Mitstudierenden fürchten. 

Die Beraterin bei Infosekta, Regina Spiess, erhält immer wieder Anrufe von Eltern, die sich über streng religiöse Lehrer ihrer Kinder beklagen oder von Lehrern selbst, die Rat beim Umgang mit frei-evangelischen Kollegen suchen. «Diese Anrufe zeigen mir, wie gross die Unsicherheit gegenüber Evangelikalen ist.» Spiess sagt, um dem entgegenzuwirken, müsste bereits bei der Ausbildung der Lehrer angesetzt werden. «Freikirchler sind oft in sozialen Berufen tätig, was auch in Ordnung ist. Nur beisst sich der evangelikale Glaube an bestimmten Punkten mit modernen pädagogischen Konzepten.» Für Evangelikale sind Menschen, die sich gegen Gott entscheiden, für immer verloren. Homosexualität ist eine Sünde. Stellt die Wissenschaft die evangelikale Wahrheit infrage – wie es die Evolutionstheorie tut –, so wird sie von Freikirchlern abgelehnt. Spiess fände es gut, wenn die PH-Leitung diese Diskrepanz thematisieren würde, um so ein Bewusstsein dafür zu schaffen. 

Heute studieren über dreimal so viele Personen an den PH wie noch vor zehn Jahren. Im Semester 2013/2014 gab es 18 489 registrierte Studierende. Laut Angaben des Bundes dürfte die Studierendenzahl an den PH nochmals deutlich wachsen und zwischen 2013 und 2023 um 24 Prozent zunehmen. 

Aufschluss darüber, wie viele Strenggläubige es an den PH hat, gibt einzig eine Studie aus dem Jahr 2009. Ein Forscherteam hat damals die religiöse Haltung von Studierenden der Pädagogischen Hochschule in Bern untersucht und kam zum Schluss, dass 40 Prozent «an eine höhere Macht» glauben. 15 Prozent der Studierenden gaben an, die «absolute Glaubensgewissheit» zu besitzen. 

Eine Umfrage der «Schweiz am Sonntag» auf dem Campus der PH Zürich zeigt: Das Thema der vielen frei-evangelischen Studierenden ist nach wie vor aktuell. Eine Dreiergruppe junger Studierender steht zwischen den neuen Betongebäuden an der Sihlpost und raucht. Alle sind sich einig: «Wer hier einem ‹Fischli› begegnen will, muss nicht lange suchen.» Melani studiert auf der Sekundarstufe. Sie sagt, besonders das Studium auf der Kindergarten- und Primarstufe sei bei den Freikirchlern beliebt. Ihren Studienkollegen Merlin stört dies nicht: «Sie missionieren nicht, drücken niemandem ihre Meinung auf.» Melani stimmt dem zu, findet aber: «Ich glaube, es ist für Freikirchler schwierig, ihren Glauben mit dem Lehrplan zu vereinbaren. Und dieses Problem wird an der PH zu wenig thematisiert.» 

Die angefragten Hochschulen in der Deutschschweiz geben an, das Thema Freikirche habe derzeit keine besondere Aktualität und werde nicht explizit besprochen. Zum Teil befasse man sich in Religionsfächern auch mit Freikirchen. Die Haltung der PH sei aber nicht proaktiv, sondern reaktiv. Auch in Zürich. Rektor Walter Bircher sagt, jeder Studierende müsse eine persönliche Haltung entwickeln, um seinen Glauben dem staatlichen Auftrag als Vermittler von wissenschaftlichen Erkenntnissen unterzuordnen. «Wir erwarten, dass sie sich als Lehrer von ihrem persönlichen Glauben abgrenzen können.» Wem dies nicht gelingt, der kann beispielsweise bei der Beratungsstelle der PH Zürich Hilfe in Anspruch nehmen. Die Studierenden werden aber nicht aktiv auf ihren Glauben angesprochen. 

Genau dies müsste laut Spiess von Infosekta aber getan werden. «Es muss Teil der professionellen Selbstreflexion sein, sich darüber klar zu werden, in welchen Punkten die eigenen Überzeugungen im Widerspruch zum Lehrauftrag stehen.» Glaubensüberzeugungen seien oft stark emotional besetzt, weshalb es darin besonders wichtig wäre, Unterstützung zu erhalten. «So selbstverständlich, wie jeder Mensch seinen Glauben haben können muss, soll man darüber sprechen können, wie sich der Glaube auf die Arbeit einer Lehrperson auswirkt», sagt sie. 

Martin, Student und ICF-Mitglied, trifft sich mit einer kleinen Gruppe regelmässig auf dem PH-Campus zum Gebet. Er sagt, er könne mit dem Unterschied zwischen dem eigenen Glauben und dem, was er in seiner Ausbildung vermittelt bekommt, umgehen. «Glauben und Denken schliesst sich nicht aus», sagt er. Die Gelegenheit, mit Nichtgläubigen über diese Diskrepanz zu sprechen, fehle ihm aber. 

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