Die Zürcher Lehrerverbände taktieren in der Fremdsprachenfrage, Bild: Denis Charlet
Lehrer zögern in der Sprachenfrage, Tages Anzeiger, 30.9. von Daniel Schneebeli
Die Kantone Thurgau und Nidwalden haben entschieden, mit dem Französischunterricht künftig erst in der Sekundarschule zu beginnen. Damit haben sie in der Schweiz für ein politisches Erdbeben gesorgt. Die Romandie sieht den Sprachfrieden und die nationale Einheit in Gefahr, die Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK) beklagt einen Verfassungsbruch und Bundesrat Alain Berset (SP) droht Thurgau, Nidwalden und weiteren Kantonen. Er werde notfalls den Frühfranzösischunterricht in der ganzen Deutschschweiz per Bundesdekret durchsetzen.
Unterdessen hat sich
auch der Schweizerische Lehrerverband geäussert – und die Sache weiter
kompliziert. Er steht zwar zum Frühfranzösisch, will aber nur noch eine
obligatorische Fremdsprache in der Primarschule, was bedeuten würde, dass
Englisch in die Sekundarschule zurückverschoben würde. Dies wiederum
würde dem Sprachenkonzept der Kantone widersprechen, die sich vor
10 Jahren in der EDK darauf geeinigt haben, spätestens ab der 5. Klasse
zwei Fremdsprachen zu unterrichten. Im Kanton Zürich wird heute ab der
2. Klasse Englisch und ab der 5. Klasse Französisch unterrichtet.
«Ressourcen
reichen nicht aus»
Und was meint die
Zürcher Lehrerschaft zum wieder aufflammenden Sprachenstreit? Lilo Lätzsch, die
Präsidentin der grössten Zürcher Lehrerverbandes (ZLV), hält mit radikalen
Forderungen (noch) zurück. Sie sei nicht grundsätzlich gegen eine zweite
Fremdsprache in der Primarschule, aber: «Mit den heutigen zwei Lektionen pro
Woche und mit unseren grossen Klassen ist ein erfolgreicher
Französischunterricht illusorisch.» Für Lätzsch müssen darum die
Rahmenbedingungen verbessert werden. Sie fordert mindestens zwei zusätzliche
Lektionen für die Fremdsprachen und zwar nicht auf Kosten von anderen Fächern.
Es sei darum klar, dass in den Fremdsprachenunterricht in der Primarschule
kräftig investiert werden müsse. Andernfalls sei er zu beschränken.
Ähnlich argumentiert
Kaspar Vogel vom Verband SekZH: «Die Ressourcen in der Primarschule reichen
einfach nicht aus.» Er schlägt vor, den Französischunterricht in der
Primarschule künftig in Halbklassen abzuhalten. Heute rechtfertige der Ertrag
den Aufwand im Fremdsprachenunterricht nicht.
Sekundarlehrer Vogel
räumt allerdings ein, dass er nicht ganz nutzlos sei: «Ein bisschen besser sind
die heutigen Schüler schon.» Zudem seien sie in den Fremdsprachen etwas
lockerer als früher.
Volksinitiative
verworfen
In der Vergangenheit hat
die Zürcher Lehrschaft entschlossen gegen den Ausbau des
Fremdsprachenunterrichts gekämpft – letztmals 2006 mit der Volksinitiative
«Nur eine Fremdsprache in der Primarschule». Doch diese wurde deutlich mit
58 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Darum ist die Lehrerschaft mit
Forderungen derzeit zurückhaltend. Die Lehrerinnen und Lehrer sind zwar immer
noch grossmehrheitlich gegen die zweite Fremdsprache in der Primarschule, wie
eine Umfrage unter den Mittelstufenlehrern (4. bis 6. Klasse) vor kurzem
gezeigt hat. Doch laut Vogel wird mindestens der Verband SekZH vorderhand nicht
aktiv. Er hoffe, dass der Kanton Zürich bis zur Einführung des Lehrplans 21 im
Jahr 2017 die Bedingungen im Fremdsprachenunterricht verbessert habe. Und wenn
nicht? «Dann werden wir die Abschaffung einer Sprache fordern.»
Neue
Umfrage in diesem Herbst
Für Lilo Lätzsch liegt
der Ball derzeit bei der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Diese trage die
Hauptschuld am Schlamassel. Es sei nun dringend ein strengeres Sprachenkonzept
nötig. Darin müsse die als erste zu lernende Fremdsprache festgelegt werden.
Auch der ZLV wird vorläufig keine neuen politischen Forderungen stellen.
Lätzsch will aber Ende Oktober unter den Zürcher Lehrpersonen eine weitere
Umfrage durchführen. Darin will sie erfahren, welche Verbesserungen die
Lehrerschaft im Fremdsprachenunterricht wünscht.
Im Zürcher Bildungsrat
wird derzeit nicht über die Abschaffung des Frühfranzösisch nachgedacht. Im
Gegenteil: In den letzten Jahren ist das neue Französischlehrmittel «Dis donc!»
geschaffen worden. Seit einem Jahr wird es in fünf Zürcher Schulen erprobt und
im Jahr 2018 soll es in allen 5. Klassen eingeführt werden.
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