16. September 2014

"Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele lehne ich klar ab"

Nachdem zwei Baselbieter Sekundarlehrer moniert hatten, dass kritische Äusserungen vom Bildungsdepartement unter Strafandrohung verhindert werden, erhält der zustände Bildungsdirektor Urs Wüthrich nun das Recht, seine Sicht der Dinge darzustellen. Ihm mache zu schaffen, dass Harmos im Baselbiet bekämpft werde.




"Harmos versprach nie, alles sei genau gleich", Bild: Roland Schmid

"Eine skrupellose Menschenjagd", Basler Zeitung, 16.9. von Daniel Wahl


Urs Wüthrich, kein anderer Regierungsrat war in den letzten Wochen so häufig in den Schlagzeilen wie Sie als Bildungsdirektor. Gerade gestern sind Sie wieder von zwei Sekundarlehrern kritisiert worden. Wie geht es Ihnen?
Urs Wüthrich: Mir persönlich geht es recht gut. Ich spüre Energie, meine Geschäfte und Standpunkte zu vertreten. Ich habe viele wertvolle Rückmeldungen von und ausserhalb der Schule. Grundtenor: Ich solle mich nicht verbiegen lassen und am Kurs festhalten, auch wenn diese Gewitter über mich hereinprasseln. Schwieriger ist es für die Familie und für meine Mitarbeitenden, die sich nicht wie ich öffentlich erklären können.
Es ist ein Phänomen, dass sich die Schafe in einem Sturm um Ihren Hirten scharen und er sich auf seinem Weg bestätigt sieht.
Ein Phänomen ist, dass es keinen Kanton gibt, der eine solch breit ab­gestützte Projektorganisation zur Umsetzung von Harmos vorweisen kann, keinen Kanton, der so viel Geld – konkret 54 Millionen Franken – für die Entlastung und Weiterbildung der Lehrer zur Verfügung gestellt hat, der aber im Gegensatz dazu mit der lautesten Kritik konfrontiert ist. Ein gutes Projekt wird mit Volksinitiativen bekämpft. Das macht mir als Demokrat zu schaffen. Ich kann es mir nicht erklären.
Wo sehen Sie die Ursachen für diese Schlagzeilen?
Es gibt die Ansage des SVP-Präsidenten Oskar Kämpfer, mich in allen Bereichen anzugreifen. Und Sie, Herr Wahl, haben von Ihrem Chef den Auftrag erhalten, die Politik des Baselbiets aus den Angeln zu heben. Zudem stehen wir in einer Umbruchsituation. Das führt zwangsläufig zu Diskussionen.
Einer der Hauptvorwürfe lautet, dass Ihr Kader von Beginn weg die Kritiker mundtot gemacht und einen Diskurs unterdrückt habe.
Das ist eine absolut unhaltbare Unterstellung. Das beste Beispiel ist der Lehrplan 21, bei welchem ich sehr auf die kritischen Stimmen gehört habe und nicht nur wie die anderen Kantone auf eine Verbesserung abzielte – um den Druck auf die Macher zu erhöhen –, sondern den Lehrplan zurückgewiesen habe.
Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass die Sekundarlehrer uns angelogen haben. Diese berichten, wie sie von Ihrem Amt mit Worten wie «mit euch ­Kritikern kann man keine Gute Schule Baselland machen» öffentlich abgeputzt und kaltgestellt wurden.
Ich war bei zehn von zwölf Informations- und Diskussionsanlässen an Schulen anwesend. Ich habe nie jemanden erlebt, der sich nicht getraut hat, seine Kritik zu äussern.
Zufall oder nicht – unmittelbar vor diesem Interview hat mir einer Ihrer Mitarbeiter einen Brief zugestellt, in dem er schreibt: «Wüthrich gibt in der Zeitung damit an, er wäre mit allen Lehrern in Kontakt gekommen. Ich weiss, dass er an den meisten Schulen gar nicht selber aufgetaucht ist oder nur kurz zu Beginn.» Wir müssten mal direkt an den einzelnen Schulen nachfragen…
Nach meiner Kurzrecherche in meinem Kalender kann ich sagen, dass ich nur an zwei von zwölf Veranstaltungen nicht teilnehmen konnte. Ich war vor allem auch an den Gruppendiskussionen dabei, um den Puls der Lehrer zu fühlen. Gerade die Tatsache, dass Lehrer Ihrer Zeitung ein Interview geben, zeigt doch, wie falsch die Behauptung ist, man dürfe sich nicht kritisch äussern. Die Kampagne des Vereins Starke Schule Baselland, wir würden die Diskussion unterdrücken, ist widerlegt.
Ich habe selber als Journalist erlebt, wie sich einer Ihrer Chefbeamten in die Hoheit der Schulleitung eingemischt und ein Bilderverbot ausgesprochen hat, als ihm ein Thema nicht zu gefallen schien.
Liestal kann keiner Schule etwas verbieten, wir haben diesbezüglich keine Weisungsbefugnis.
Ja, eben. Warum tun Ihre Chefbeamten es dann? Umso mehr kann ich die Kritik der Sekundarlehrer nachvollziehen.
Ein gutes Beispiel ist die Broschüre «Pädagogische Kooperation», in der klar gesagt wird, sie sei ein Hilfsmittel für die Zusammenarbeit unter Lehrern – also eine Anregung. Dann ­treten Lehrer der Starken Schule Baselland auf – und qualifizieren die Broschüre als DDR-Methode ab. Entweder müssen die sich den Vorwurf gefallen lassen, wissentlich Desinformation zu betreiben, oder sie haben gravierende Defizite in Lesekompetenz und Textverständnis.
Zugegeben, es wurde starkes Geschütz aufgefahren. Aber solche pädagogischen Konzepte unter dem Logo des Kantons Baselland werden plötzlich von Ihrem Kader für verbindlich erklärt. Dagegen muss man sich wehren, wenn man sie nicht eingeführt haben will.Ich sage es nochmals: Man muss genau lesen und den Text begreifen. Wir unterstützen die Schulen mit guten Beispielen. Die Broschüre ist ausdrücklich keine Vorgabe.
Sie haben geschrieben, Sie werden rechtliche Schritte einleiten. Gegen wen richten sich diese?
Das kommuniziere ich nicht. Ich überprüfe rechtliche Schritte. Für mich stehen nicht einmal die Lehrer primär im Fokus. Vielleicht sind es auch die Medien, die Inhalte transportiert haben, ohne sie zu verifizieren.
Ja, die BaZ hat über einen Konflikt zwischen Lehrern und dem Kader der ­Bildungsdirektion berichtet. Ein Brief war der Beleg für einen Sachverhalt.
Das bezeichne ich als eine skrupellose Menschenjagd. Wären die beiden angeschossenen Leiter in einer Bewerbungsphase gewesen, die hätten keine Chancen mehr gehabt, angestellt zu werden.
Würden wir auf mutmassliche Bewerbungsgespräche Rücksicht nehmen, könnten wir nie über Konflikte berichten.
Zumindest müsste der Sachverhalt einigermassen belegt sein.
Wir sehen den Konflikt als bewiesen an. Lassen wir das so stehen. Ein grosser Teil der Lehrer möchte aus Harmos austreten, die entsprechenden Initiativen sind lanciert. Wie realistisch ist ein Austritt, wenn Sie die Grundstimmung im Kanton aufnehmen?
In wichtigen Fragen haben wir Klarheit geschaffen: Wir haben die ­Stundentafeln beschlossen. Der Fremdsprachenunterricht ist erfolgreich gestartet. Wir sind gut unterwegs, die anspruchsvolle Arbeit auf das Schulsystem sechs Jahre Primarschule, drei Jahre Sekundarstufe, umzustellen. Sehr bald wollen wir geklärt haben, wie und wann der Lehrplan 21 eingeführt wird.
Ausgerechnet das Baselbiet, das die Bildungsharmonisierung angestossen hat, erwägt den Austritt aus Harmos. Wo liegen die Ursachen dafür?
Vorweg: Die Haltung der Wirtschaft stimmt zuversichtlich, dass der Kanton Baselland nicht austreten wird. Auch dem Dachverband der Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer (LVB) und der Amtlichen Kantonalkonferenz (AKK) traue ich die nötige ­Kompetenz zu, sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich kann die Kritik an Harmos nicht gewichten. Aber es darf einfach nicht sein, dass wir austreten, wenn zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung in einem Harmos-Kanton wohnen.
Ich kann Ihnen schon einen Grund nennen. Trotz Harmos können Kinder nicht von Kaiseraugst nach Augst ziehen, ohne Französischdefizite einzufahren.
Ausgerechnet jene Kreise, die jede Veränderung ablehnen, beklagen, man habe es nicht geschafft, das Schulsystem zu vereinheitlichen. Mit Harmos haben wir erst zwei Schritte gemacht: Wir haben die Schulstruktur harmonisiert und streben im Interesse der Bildungsqualität Standortbestimmungen zu gemeinsamen Grundkompetenzen an. Harmos versprach nie, alles sei genau gleich.
Wann führen Sie den Lehrplan 21 ein?
Das beschliesst der Bildungsrat. Ich habe die Absicht, ihn in diesem Jahr zur Beschlusslegung zu traktandieren. Klarheit sollte im Oktober herrschen. Es gibt drei Optionen: Für die Primarschule könnte die Einführung im Schuljahr 15/16 erfolgen, die Sekundarstufe könnte noch bis 20/21 auf dem bisherigen Lehrplan weiterfahren. Dann gibt es die Variante, dass wir die Einführung weiter hinausschieben, mit der unschönen Nebenerscheinung, einen Übergangslehrplan schaffen zu müssen. Oder wir schieben den Lehrplan 21 auf die ganz lange Bank.
Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass eine Initiative gegen die Einführung des Lehrplans 21 lanciert wird.
Dann haben die Leute ein seltsames Demokratieverständnis. 60 Prozent der Bevölkerung sagte, der Bildungsrat befindet abschliessend über den Lehrplan. Jetzt kann man nicht für jeden Einzelfall dieses System aushebeln.
Ein Einzelfall ist das nicht; die Einführung des Lehrplans 21 ist von epochaler Bedeutung. Dass der Souverän sein Mitspracherecht einfordert, können Sie zwar beklagen, aber nicht ändern. Warum ist dieses realistische Szenario in Ihrer Direktion bis heute nicht vorgesehen?
Es wird uns fordern, die grossen Kommunikationsanstrengungen weiterzuführen und uns zu erklären. Unser Motto muss lauten: Tatsachen gegen Vorurteile.
Unbeirrt hält Ihr Amt am Kurs Einführung Lehrplan 21 fest und negiert alle politischen Prozesse, die eine Verzögerung oder Nichteinführung beinhalten. Warum ist das so?
Entscheidend ist, dass die Lehrer auf ihre Aufgabe vorbereitet werden und möglichst bald Klarheit haben. Es gibt einen politischen Auftrag, es wurde darüber abgestimmt. Auf diesen Grundlagen und auf der vom Bildungsrat in Kraft gesetzten Stunden­tafel arbeiteten wir weiter.
Zehn Monate sind Sie noch im Amt. Was werden Sie noch umwälzen?
Wir werden die Vorlage zur integrativen Schule sehr bald wieder ins Parlament bringen. Auch mit dem Kulturgesetz wollen wir im Landrat antreten. Schliesslich will ich sehr bald Klärung in Sachen Lehrplan 21. Geklärt will ich auch haben, wie sich der Kanton Baselland an der Finanzierung des Theaters Basel beteiligt.
Inwiefern haben Sie Ihre Vorlage zur Integrativen Schule gegenüber der ersten Variante verändert?
Den Aspekt der Mitwirkungsmöglichkeit von Eltern schaue ich sehr genau an. Ich werde mit einer pragmatischen Haltung in Bezug auf Kleinklassen und Einführungsklassen antreten. Der Grundsatz, dass die Integration geprüft werden muss, bevor ein separitives Angebot genutzt wird, gilt unverändert und wurde in der Volksabstimmung ausdrücklich bestätigt.
Die BaZ hat Sie kürzlich kritisiert, dass sie den Kommunisten und Massen­mörder Mao Zedong zitiert haben. Würden Sie ihn wieder zitieren?
Ich habe ihn drei Mal zitiert bei Anlässen, man kann sicher etwas Neues ausdenken. Ich habe kein politisches Programm von ihm verkündet, sondern eine generelle Aussage. Der Skandal besteht für mich darin, dass die Sache aufgebauscht wurde, während der eigentliche Inhalt – die staatsmännische und brillante Rede von FCB-Präsident Berhard Heusler – nur mit einem Satz zitiert wurde.

In Ihrem Büro hängt ein Bild von Che Guevara. Woher rührt Ihre Affinität für mörderische Lichtgestalten?
Ich bin Mitglied der Freunde Tibets und seit meiner Jugend Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Im Unterschied zu gewissen Wendehälsen, die bei den Trotzkisten oder gar bei den Stalinisten angefangen haben und jetzt auf Chefsesseln ­sitzen, bin ich meiner Linie treu geblieben. Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele lehne ich klar ab.

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