26. September 2014

"Fokus vermehrt auf starke Schüler legen"

Nach dem Abschneiden des Aargaus im letzten PISA-Test stellt sich die Frage nach den Ursachen und Folgen. Bildungsdirektor Hürzeler ist enttäuscht. Dabei zeigt sich nun, dass die Aargauer Schüler besonders durch schwache Leseleistungen auffallen. Dies dürfe aber nicht Anlass sein, jetzt einfach noch mehr Geld ins Bildungswesen zu stecken, findet Hürzeler. Er möchte den Fokus in Zukunft vermehrt von den schwachen zu den starken Schülern verschieben. 




"Schule nicht schlecht reden", Bild: Keystone

Weshalb lesen unsere Schüler so schlecht, Herr Hürzeler? SRF Regional, 26.9.


Neue Daten aus der Pisa-Studie 2012 haben diese Woche für Schlagzeilen gesorgt. Denn diese Daten sagen: Im Bereich Mathematik liegen die Kinder der Region zwar im Mittelfeld. Wenn man die Resultate mit anderen Kantonen vergleicht. Im internationalen Vergleich rangieren die Schweizer Schülerinnen und Schüler sogar relativ weit vorne.
Allerdings: Bei der Lesekompetenz hat der Kanton Aargau im Vergleich zur Pisa-Studie 2009 an Rängen eingebüsst. Und im Vergleich zu anderen Kantonen leigt der Aargau zurück. Das heisst: Die Aargauer Kinder lesen immer schlechter.
Reaktion Nr. 1: Enttäuschung
Dieses Resultat «enttäuscht» SVP-Bildungsdirektor Alex Hürzeler. Gleichzeitig beschwichtigt Hürzeler im Gespräch mit dem «Regionaljournal Aargau Solothurn» von Radio SRF. «Wir müssen die Schule Aargau jetzt auch nicht schlecht reden.»
Die Ausgaben für Bildung sind im Aargau von 2003 bis 2012 um über einen Drittel angestiegen, auf rund 900 Millionen Franken. Trotzdem nimmt die Qualität der Leseleistung offenbar ab. Die SVP schreibt: «Die Ausgaben werden immer grösser, die Schüler immer dümmer». Was läuft schief?
Reaktion Nr. 2: Analyse
Hürzeler hat noch keine klare Antwort. «Wir müssen das jetzt sachlich analysieren. Wir müssen schauen, ob wir die Mittel überall richtig einsetzen.» Die Formulierungen seiner eigenen Partei empfindet er als arg zugespitzt.
Alex Hürzeler wehrt sich aber auch gegen Forderungen von links, dass man jetzt einfach mehr Geld in die Bildung investieren müsse. «Die Gleichung mehr Geld gleich bessere Bildung ist zu einfach.»
Vorwurf Nr. 1: Das Schulsystem funktioniert nicht
Die Resultate der Pisa-Studie hat Kritiker auf den Plan gerufen. Das Aargauer Schulsystem und seine vielen Veränderungen in den letzten Jahren würden sich nun auf die Kompetenzen der Schulkinder niederschlagen, so der Vorwurf.
Alex Hürzeler will nicht nur das Schulsystem zur Verantwortung ziehen. «Auch die Gesellschaft hat eine MItverantwortung. Wahrscheinlich sitzen aktuell kaum Eltern mit ihren Kindern daheim und lesen Bücher.»
Hürzeler macht auch die moderne Mediennutzung verantwortlich. «Als ich vorher durch den Bahnhof gelaufen bin, habe ich genau eine einzige Person mit einem Buch gesehen. Alle anderen haben ihr Handy benutzt.»
An der Schulorganisation will Hürzeler aktuell nicht «schrauben». Man könne nicht schon wieder das Bildungssystem umbauen. «Wir wollen jetzt auch einmal Ruhe ins System bringen.»
Vorwurf Nr. 2: Der Amtsleiter ist eine Fehlbesetzung
Die SVP fordert sogar personelle Konsequenzen. Sie greift aber nicht den politischen Verantwortlichen (und Parteigenossen) Alex Hürzeler an, sondern dessen Amtsleiter. Der Abteilungsleiter Volksschule müsse seinen Platz räumen, so die Forderung.
Hürzeler dazu: «Das ist eine deplatzierte Haltung und Zuspitzung meiner Partei.» Er wolle diese Forderung nicht einmal diskutieren. «Die Schule findet vor Ort statt, nicht in meinem Departement.»
Vorwurf Nr. 3: Schlechte Lehrer
Der Aargauische Lehrerinnen- und Lehrerverband hingegen hält viele Lehrer für fachlich zu wenig qualifiziert. «Tatsache ist, dass Lehrermangel herrscht», gibt Alex Hürzeler zu. Es sei sicher so, dass nicht auf allen Stufen überall immer die richtig qualifizierten Lehrpersonen im Schulzimmer stehen.
Die Schulleitungen und Schulpflegen vor Ort würden aber ihr Bestes geben. Und genau sie sollten sich auch um die Qualität kümmern, so die Forderung von Bildungsdirektor Alex Hürzeler. Man müsse an der Front ansetzen: Auch bei der Lehrerbildung zum Beispiel.
Vorwurf Nr. 4: Konzentration auf schlechte Schüler
Ein brisanter Vorwurf kommt von Alex Hürzeler selber. Er hatte am Dienstag erklärt, dass sich die Lehrer möglicherweise zu stark auf schlechte Schüler konzentrieren müssten. Denn die Pisa-Studie zeigt: Vor allem die Zahl der sehr leistungsstarken Schüler hat zwischen 2009 und 2012 abgenommen.
«Wir müssen den Fokus wieder vermehrt auf die starken Schüler legen», bestätigt Alex Hürzeler seine Analyse im Gespräch mit dem Regionaljournal. Damit kritisiert Hürzeler indirekt auch das Modell der integrativen Schule, wo auch schwache Schüler in die Regelklassen integriert sind.
Im Gespräch relativiert Hürzeler allerdings diese Kritik: «Wir können dieses Modell sicher diskutieren, immerhin ist es im Aargau weiterhin freiwillig. Aber die Pisa-Studie basiert nicht auf Daten von Schülern, welche selber aus integrativen Klassen kommen. Das muss man betonen.»
Was nun?
Keine personellen Konsequenzen, kein weiterer Totalumbau im Schulsystem. Alex Hürzeler hat andere Lösungsansätze, damit die Aargauer Schülerinnen und Schüler künftig wieder besser lesen können.
«Wir müssen Lösungen suchen im Bereich Deutsch und Naturwissenschaften.» Hürzeler will sich in den nächsten Jahren vor allem darauf konzentrieren, mit den betroffenen Verbänden und Hochschulen die Unterrichtsqualität zu verbessern. «Offenbar machen wir da noch Fehler.» Dafür brauche es aber weder mehr Geld noch neue Strukturen, betont Hürzeler.
Und: «Ich will den Leistungsaspekt wieder betonen. Die Lehrer sollen von ihren Schülerinnen und Schülern auch Leistung einfordern. Das darf neben allen integrativen Bemühungen nicht untergehen.»


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