4. September 2014

Eymann droht "Verfassungsbrechern"

Die Tonalität wird schriller. Nun spricht der Präsident der EDK, Christoph Eymann, von Verfassungsbrechern und meint damit die Kantone, welche aus dem Sprachenkonzept ausscheren. Dazu ein paar Notizen:
1. Der Vorwurf des Verfassungsbruchs ist schwerwiegend und müsste zuerst juristisch begründet sein. Die Tatsache, dass solche Anschuldigungen aus dem hohlen Bauch gemacht werden, könnte ein Hinweis auf die momentan arg strapazierte Stimmung innerhalb der EDK sein. Ausserdem ist ungeklärt, ob nicht auch schon die uneinheitliche Abfolge des Fremdsprachenlernens der Verfassung widerspricht. In diesem Fall wären dann alle Kantone Verfassungsbrecher.
2. Eymann brandmarkt in seinem Interview mit der Sonntagszeitung explizit die beiden Kantone Thurgau und Nidwalden, die den Ausstieg aus dem Frühfranzösischen beabsichtigen. Von den effektiven Aussenseitern - Uri und Appenzell Innerrhoden kennen nur eine Primarfremdsprache - spricht er nicht. Weiss er schlicht nicht, wie durchlöchert die EDK-Sprachenstrategie schon ist?
3. Der Chef der EDK behauptet noch immer, nichts von der erdrückenden wissenschaftlichen Datenlage bezüglich des Misserfolgs der Primarfremdsprachen zu wissen. Der kürzlich publizierten Expertise aus der PH Schaffhausen spricht er gar die wissenschaftliche Basis ab. 
4. Auf keinen Fall will Eymann den "Fehler von Zürich" (Englisch vor Französisch) kopieren. Obwohl dies vierzehn Deutschschweizer Kantone so tun. (uk)



Eymann provoziert mit fragwürdigen Statements, Bild: Basler Zeitung

"Einsicht fände ich besser als Druck", Basler Zeitung, 4.9. von Nina Jecker und Franziska Laur


BaZ: Herr Eymann, Thurgau und Nidwalden gelten als Abtrünnige, weil sie das Frühfranzösisch kippen. Sie selbst sprechen gar von einem Verfassungsbruch. In der Verfassung ist jedoch lediglich festgehalten, dass die Kantone die Mehrsprachigkeit fördern sollen.
Christoph Eymann: Die Bundesverfassung verpflichtet die Kantone unter anderem zur Harmonisierung der Bildungsziele der obligatorischen Schule. Dieser Auftrag gilt für alle Kantone und er betrifft auch den Fremdsprachenunterricht. Mit der Sprachenstrategie von 2004 haben sich die Kantone auf die Lösung geeinigt, dass die erste Fremdsprache spätestens ab der 3. Klasse, die zweite spätestens ab der 5. Klasse unterrichtet wird. Eine davon ist eine zweite Landessprache.
Nun scheren einzelne Kantone doch aus. Können Sie nachvollziehen, dass diese der Meinung sind, zwei Stündchen Französisch pro Woche bringen gar nichts ausser Spesen und viel Aufwand?
Nein. Das finde ich nicht. Es trifft schlicht nicht zu. Abgesehen davon waren diese Kantone ja seinerzeit einverstanden mit dieser Lösung und haben ihr zugestimmt. Wesentlich neue Erkenntnisse, die zur gegenteiligen Meinung führen, gibt es nicht.
Aufgrund einer Studie wurde festgestellt, dass Kinder eine Sprache nicht schlechter beherrschen, wenn sie später damit beginnen.
Wenn Sie auf eine kürzlich publizierte Expertise des Schaffhauser Lehrerverbandes anspielen: Diese Expertise steht auf keiner wissenschaftlichen Basis. Aussagekräftige, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Studien dazu gibt es nicht.
Eine Grundsatzfrage: Braucht es überhaupt schon Fremdsprachen in der Primarschule?
Das Lernen von Sprachen ab Primarschulalter ist sinnvoll und bringt etwas. Es gibt definitiv Aspekte, welche ein Kind im Primarschulalter noch anders lernen kann wie Intonation oder Phonetik, die man dann später nicht mehr gleich lernt. Kinder gehen offen und vorurteilsfrei auf Sprachen zu. Kinder haben eine höhere Motivation fürs Sprachenlernen. Es gilt zu bedenken, dass es auch problematischer sein könnte, im Pubertätsalter die schwierigere Grammatik der französischen Sprache zu erlernen. Primarschulkinder profitieren auch beim Erlernen der zweiten Fremdsprache von der ersten. Ausserdem ist es ein Unterschied, wenn ein Kind während einer Zeit von sieben Jahren Französischunterricht besucht oder nur während drei Jahren.
Fürchten Sie, dass nun eine Lawine ins Rollen gekommen ist und zusätzlich Kantone ausscheren könnten?
Ich hoffe es nicht.
Hätten Sie Instrumente, um sich durchzusetzen, oder finden Sie, der Bund müsste eingreifen, so wie es Bundesrat Alain Berset schon angedroht hat?
Gemäss Verfassung sind zunächst die Kantone in der Pflicht, harmonisierte Lösungen für den Schulbereich zu finden. Auch beim Fremdsprachenunterricht. Schaffen sie das nicht, dann kommt gemäss Verfassung eine subsidiäre Kompetenz des Bundes zum Tragen. Ich bin kein Befürworter einer Bundeslösung und hoffe immer noch, dass die Kantone untereinander eine Lösung finden.
Sie schliessen eine Bundesintervention nicht aus?
Ja, das Damoklesschwert Bundesintervention hängt über uns. Doch Einsicht aller Kantone fände ich in dieser Frage besser als Druck. Und ein nationales Referendum in dieser Thematik würde ich unserem Land nicht wünschen. Falls der Bund zum Zug kommt, und dafür braucht er eine Gesetzesbasis, wäre ein solches nicht auszuschliessen.
Wenn Sie nach der Logik der Vereinheitlichung der wichtigen Schulbereiche argumentieren, müssten Sie nicht auch all die Kantone verurteilen, die Englisch vor Französisch einführen?
Nein. Bezüglich Einstiegsfremdsprache haben wir eine vertretbare Lösung gefunden. Es macht ja nicht jeder Kanton, was er will, sondern es gibt in der Deutschschweiz zwei Koordinationsräume. Wichtig ist, dass beide Sprachen, eine zweite Landessprache und Englisch, auf Primarstufe beginnen. Wir fanden in der EDK vor zehn Jahren, nach dem Vorprellen von Zürich, keine offene Situation vor. Der Spielraum wurde eingeengt, dieser Kompromiss war damals der grösstmögliche gemeinsame Nenner.
Wie ist der Plan in der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), um die Abtrünnigen wieder an Bord zu holen?
Der Dialog; wir haben Ende Oktober hier in Basel die Jahrestagung und dort wird man das traktandieren. Zu diesem Thema wird man auch Bundesrat Alain Berset einladen. Ziel ist, dass Bund und Kantone zusammen eine Lösung finden, um aus dieser doch sehr unerfreulichen Situation herauszukommen.
Wie könnte aus Ihrer Sicht ein Kompromiss aussehen?
Vorschläge in diese Richtung sind schon gekommen. So könnte man beispielsweise in der Bewertung des Französischen etwas lockerer werden. Das andere ist, dass man die selektive Lernbefreiung propagiert.
Der Sprachenstreit hat gravierende Folgen für die Fricktaler, welche in den beiden Basel weiterführende Schulen besuchen. Ihnen fehlen zwei Jahre Französisch, da der Aargau zuerst Englisch einführt. Wie gehen Sie das Problem an?
Wann immer möglich, bieten wir individuelle Lösungen an. Mittlerweile gibt es eine gewisse Übung im Lösen dieses Problems. Im Fricktal könnte ja – wie in Teilen von Baden-Württemberg, das als Land keine einheitliche Lösung hinsichtlich erster Fremdsprache hat – mit Blick auf den gemeinsamen Wirtschaftsraum mit beiden Basel mit Französisch begonnen werden.
Nun könnte man ja geradeso gut andersrum fragen: Weshalb bleibt Basel stur und orientiert sich nicht wie die Aargauer und die meisten der Deutschschweizer Kantone nach Zürich und beginnt mit Englisch?
Es gab und gibt keinen Grund, den Fehler von Zürich in Basel zu kopieren. Beide Basel haben Englisch ebenfalls auf die Primarschulstufe vorverlegt, aber sich dafür ausgesprochen, als Erstes die Sprache des Nachbarn zu lehren. Sie orientieren sich damit an der EDK-Strategie. In Basel-Stadt arbeiten fast 20000 Grenzgänger aus Frankreich. Wir betreiben zusammen mit Frankreich einen Landesflughafen mit 4000 Arbeitsplätzen. Wir sind Grenzkanton zu Frankreich. Wir arbeiten eng mit dem Kanton Jura zusammen. Das Einvernehmen mit der Romandie ist gross. Für mich war es keine Frage, dass wir als erste Sprache eine Landessprache, nämlich Französisch einführen müssen. Auch weil ich als einziger Deutschschweizer in der damaligen Fraktion der Liberalen Partei im Nationalrat miterlebt habe, wie der Zürcher Entscheid für Frühenglisch die Romands erschütterte.
Bei allem Respekt vor Ihren Beweggründen: Englisch ist eine Weltsprache und Tatsache ist, dass die Jungen sie viel häufiger brauchen als Französisch. Da nur sechs Deutschschweizer Kantone Frühfranzösisch haben, wäre es doch sinnvoller, wenn alle auf Frühenglisch umstellen würden.
Sicher nicht. Wenn schon ein Kriterium, dann dieses: In einem mehrsprachigen Land beginnt man selbstverständlich zuerst mit einer Landessprache. Mit der EDK-Strategie von 2004 hatten wir diese Auseinandersetzung Englisch oder zweite Landessprache überwunden, indem beide Sprachen ab Primarschulstufe zu unterrichten sind und die Kantone untereinander koordinieren, welches die Einstiegsfremdsprache sein soll. Die Frage heisst ja nicht Englisch oder Französisch. Wir wollen Französisch und Englisch. Mir ist schleierhaft, weshalb diese Diskussion so emotional geführt wird.
Zum Beispiel, weil viele Schulen überfordert sind. Schliesslich müssen sie sich oft mit Schülern abplagen, die nicht einmal recht Deutsch können.
Da gibt es das Instrument der selektiven Lernzielbefreiung. Wenn man sieht, der Vater spricht Türkisch und die Mutter Serbokroatisch, dann kann man den Schüler im Französisch vom Lernziel befreien, damit er keinen Nachteil hat, wenn er dort nicht nachkommt.
Das erleichtert den Schulalltag eines Lehrers auch nicht gerade.
Das stimmt. Unbegreiflich finde ich übrigens auch, weshalb nicht abgewartet wird, bis wissenschaftliche Evaluationen vorliegen, die sich mit einer allfälligen Überforderung der Schülerinnen und Schüler befassen und gegebenenfalls Massnahmen zur Lösung allfälliger Probleme aufzeigen. Jetzt die Überforderung zu be- haupten, ist voreilig. Es geht nicht nur um schulpolitische oder pädagogische Fragen; es geht auch um den Zusammenhalt unseres viersprachigen Landes, um den Umgang mit Minderheiten, mit der bunten Kultur in unserem Land.

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