Die Projektscrew muss nachsitzen, Bild: Berner Zeitung
Quelle: Nordwestschweiz Zeitung, 3.4.
Bis vor wenigen Jahren
galten Schulreformen als Gütezeichen fortschrittlicher Kantone und Gemeinden.
Tempi passati! Unüberschaubar viele und nur noch für Fachleute verständliche
Innovationen im Bildungswesen mündeten in einer breiten Reformverdrossenheit,
innerhalb und ausserhalb der Schule. Mit der finalen und fatalen Konsequenz,
dass wir heute in der Schweiz mancherorts ein eigentliches schulisches
Reformmoratorium vorfinden. Irritierend an dieser Innovationsbremsung im
Bildungswesen ist allerdings der Umstand, dass diese ausgerechnet im Land des
inoffiziellen Innovationsweltmeisters stattfindet. Diese Spitzenposition im
Feld der 140 wichtigsten Volkswirtschaften verdankt die Schweiz seit Jahren
nicht zuletzt auch ihrem qualitativ guten und innovationsoffenen
Volksschulfundament.
So erstaunt es nicht,
dass auch die beiden kantonsübergreifenden Vorhaben der Konferenz der
kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) von dieser politisch noch geschürten
Schulreformskepsis erfasst worden sind. Auch das Harmos-Konkordat und der
Lehrplan 21 stiessen auf namhaften Widerstand. Aus pädagogischen sowie aus
bildungs- und staatspolitischen Gründen. Deshalb täte die EDK gut daran, die
Reformplanung und -umsetzung der beiden Projekte einmal selbstkritisch unter
die Lupe zu nehmen. Zum einen, indem sie jeweils zu Beginn eines Vorhabens mit
allen Kantonen eine gemeinsame und verbindliche Projektstrategie vereinbart. An
dieser Richtschnur haben sich anschliessend beim Umsetzungsvorgehen alle
Kantone und Experten zu orientieren.
Zum zweiten verkannte
die Projektsteuerung die Alltagsrealität, in der die Schulgemeinschaften vor
Ort die vorgegebene Reform letztlich umzusetzen haben: von der Lehrerschaft
über die Eltern bis hin zu den Behörden. Denn die einverlangten
Innovationsarbeiten haben die Lehrpersonen meist neben der täglichen Arbeit zu
bewältigen. Und nicht zuletzt haben es die EDK-Organe unterlassen, wichtige
Lehren aus der prägenden Geschichte unseres Volksschulwesens zu ziehen. Sie
übersahen die bis heute nachwirkenden Verletzungen, welche die harten
Auseinandersetzungen um unser Volksschulwesen hinterlassen haben. Vom
Sonderbundskrieg bis hin zum erbitterten Ringen um einen eidgenössischen
Schulsekretär («Schulvogtabstimmung»).
Einschlägige Erfahrungen
zeigen: Engagierte Mitwirkende lassen sich heute nur für eine Reform gewinnen,
wenn diese das Vorhaben als stimmiges Ganzes für ihren Schulalltag wahrnehmen.
Mit einem erkennbaren pädagogischen und schulischen Mehrwert. Drei
Voraussetzungen sind zentral:
Beim Projekt HarmoS hat
man den kantonalen Hürdenlauf von Parlaments- und Volksentscheiden in den
Inner- und Ostschweizer Kantonen begonnen. Also ausgerechnet in Regionen, die
im Verlauf unserer Volksschulgeschichte stets gegen nationale Projekte
opponierten. In ihnen wurde dann auch die Harmonisierungsidee mit Plakaten von
weinenden Schulkindern diskreditiert. Entsprechend zwiespältig präsentiert sich
das vorläufige Harmos- Ergebnis: 15 Kantone traten dem Konkordat bei. 7 Kantone
lehnten es ab. In 4 Kantonen ist der Entscheid noch offen. Im Kanton
Basel-Landschaft droht sogar eine Initiative mit dem Wiederaustritt aus dem
Konkordat Der unrühmliche interkantonale Flickenteppich im Volksschulwesen
droht also weiterzubestehen.
Auch der aktuell
diskutierte Deutschschweizer Lehrplan 21 ist stark umstritten. Auch hier
erhielten die beigezogenen Expertenkreise keine leitenden Vorgaben. Etwa zur
Handhabung des Lehrplans im praktischen Schulalltag. Oder zu einer
benutzerfreundlichen Fassung des Arbeitsinstrumentes, mit obligatorischen und
fakultativen Elementen. Im Gegenteil: Die fehlenden politischen Leitplanken
förderten eine überbordende Eigendynamik der Fachleute. Das daraus
resultierende Lehrplanmonstrum umfasst heute 500 Seiten und 4000 anzustrebende
Teilkompetenzen für die Schulkinder. Die unterlassene Empathie der
Verantwortlichen, das ganze Vorhaben zuerst einmal aus der Warte der
Betroffenen zu betrachten, zeitigt spät noch ihren Preis: Die Projektcrew muss
nachsitzen und etliche Anpassungen vornehmen! Also in einer der Schule durchaus
vertraute Art einer Strafe!
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