Der Traum der Computerbranche: Jedem Schüler sein Tablet, Bild: karelnoppe
Medienkompetenz ist heute Glückssache, Berner Zeitung, 17.2. von Lucie Machac
Am einfachsten lernen Kinder
im Spiel. Entwickler von digitalen Lehrmitteln haben sich dies zu Herzen
genommen und den kindlichen Entdeckungsdrang genutzt, um Schülerinnen und
Schüler zum Lesen, Rechnen oder Fremdsprachenlernen zu motivieren. Mit der App
«Appolino» des Lehrmittelverlags St.Gallen zum Beispiel können Fünf- bis
Zehnjährige auf Tablets Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Die Lern-Apps sind
interaktiv und multimedial, die Lerneinheiten finden auf dem Bauernhof oder im
Zoo statt, und die Apps passen sich dem individuellen Lerntempo des Kindes an.
Laut stellvertretendem Verlagsleiter Heiko Kahl sei «Appolino» sowohl für die
Förderung von Begabten als auch Lernschwachen geeignet und könne in Schulen
ergänzend zum traditionellen Unterricht eingesetzt werden.
Übergangsphase
Fragt sich bloss: Wie viele
Lehrkräfte nutzen solche neuen digitalen Möglichkeiten im Unterricht
tatsächlich? Bei «Appolino» kann Kahl für die Schweiz keine Zahlen nennen, da
die App von mehreren Onlinestores vertrieben wird und weltweit heruntergeladen
werden kann. Fakt ist jedoch, dass die digitale Revolution nur sehr langsam
Einzug in den Schulalltag hält. Einer der Gründe: Neuen Technologien begegnet
man allgemein mit Skepsis oder gar mit Angst.
«Im Unterricht befinden wir
uns in einer Übergangsphase vom analogen ins digitale Zeitalter», sagt Kurt
Reber, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienbildung der
Pädagogischen Hochschule (PH) Bern. Deshalb sei die Haltung und der
Wissensstand der Lehrpersonen in den Bereichen Informations- und
Kommunikationstechnologien (ICT) sehr unterschiedlich. Wie intensiv ein Schüler
oder eine Schülerin heute in der Nutzung von ICT trainiert wird, hänge stark
von der digitalen Affinität und vom Engagement und der jeweiligen Lehrperson
ab.
Überforderte
Lehrkräfte
Dabei ist ICT seit 1995 im
Lehrplan des Kantons Bern integriert, seit 2004 hat jede Schule im Kanton Bern
ICT-Verantwortliche. Zu deren Pflichtenheft, das von der Erziehungsdirektion
des Kantons Berns 2012 neu formuliert wurde, gehören vor allem pädagogische
Aufgaben: ICT-Verantwortliche beraten Lehrpersonen bei der Nutzung der neuen
Medien als Lehr- und Lernmittel und koordinieren die ICT-Kompetenzen der
Schüler auf verschiedenen Schulstufen. Die ICT-Verantwortlichen selbst werden
an der PH Bern weitergebildet. Zum breiten Angebot gehöre unter anderem die
Nutzung von Youtube im Unterricht oder Anleitungen, wie Schüler Fragen zu Hausaufgaben
über Facebook stellen und Lehrer beantworten können, erläutert Reber.
Demgegenüber: Der Gebrauch
von Handys ist an vielen Berner Schulen verboten, und es gibt Empfehlungen,
Social Media für die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern nicht zu
nutzen. Letztere scheint vor allem eine präventive Massnahme, um digital
überforderte Lehrkräfte zu schützen. Dass es zurzeit keine einheitliche
Regelung in diesem Bereich gibt, ist für Reber in Zeiten des Umbruchs jedoch
normal.
Umdenken muss
stattfinden
Neue Medien würden heute im
Unterricht vor allem als Informationsquelle genutzt, bei Lern-Apps oder
multimedialen Lernbausteinen hinke man der digitalen Entwicklung hinterher,
sagt Christian Dietz, Koordinator der Schulinformatikplattform der Stadt Bern Base4kids
und ICT-Verantwortlicher an der Berner Schule Lorraine. Man übertrage oft
analoge Lernmethoden wie etwa Karteikarten zum Wörtlilernen einfach auf den
Computer – und schöpfe damit die vielen Möglichkeiten der digitalen Welt
überhaupt nicht aus. Wie beim Französischlehrmittel «Mille Feuille» sei es
momentan üblich, die digitale Version auf CD lediglich mit zusätzlichen
Dokumenten, Audiosequenzen, Videoclips oder Tests anzureichern. «Es braucht
erst ein Umdenken in den Köpfen», ist Dietz überzeugt. Das Gleiche gilt auch
für den Einsatz von Tablets im Unterricht. Es gehe eben nicht darum, dass
Schüler, die schneller mit einer Aufgabe fertig sind, noch ein bisschen
«iPadlen» dürfen. «Es geht darum, Tablets genauso wie analoge Werkzeuge wie
Bleistift, Papier oder Bücher zum Lernen zu nutzen.» Der erste Schritt dazu ist
getan: In der Stadt Bern ist seit letztem Sommer ein Pilotprojekt im Gang, bei
dem ausgewählte Klassen mit Tablets arbeiten.
Viele Unsicherheiten
Dass der Umgang mit ICT und
neuen Medien noch keine Selbstverständlichkeit ist, hängt stark mit den vielen
Unsicherheiten seitens der Lehrkräfte zusammen. So gebe es laut Dietz
Lehrpersonen, die in ihren Fächern kaum das Internet nutzen, und andere, die im
Fach Werken bereits mit 3-D-Druckern arbeiten. Eine einheitliche Aus- oder
Weiterbildung für Lehrkräfte gibt es heute nicht.
Wie der ICT-Unterricht heute
an Berner Schulen umgesetzt wird, überprüft zwar das Berner Schulinspektorat,
doch angesichts der heterogenen Situation ist es schwierig, verbindliche
Massnahmen zu formulieren. Diese Regellosigkeit will der Lehrplan 21 bereinigen
(siehe Box): Im Bereich ICT und neue Medien ist zurzeit eine Arbeitsgruppe
daran, Vorschläge für die nötige stufengerechte Struktur und eine einheitliche
Ausbildung der Lehrkräfte auszuarbeiten.
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