"Das Misstrauen zwischen Schule und Elternhaus ist grösser geworden", NZZ, 10.2. von Sabine Windlin
Wie
gut ist es um die vielgelobte Kultur an den Volksschulen bestellt, wenn nur
noch schriftlich kommuniziert wird und für alles eine Unterschrift nötig ist?
Durch
das neue Modell der geleiteten Schulen, also den Einsatz von Schulleitern, ist
es zu strukturellen Änderungen gekommen. So hat sich einiges in der
Kommunikation verändert. Vieles, was früher in der alleinigen Verantwortung des
Klassenlehrers lag - Beurteilung, Sanktionen, Dispensationen, Hausaufgaben usw.
-, wird nun von oben definiert und gesteuert. So entstehen überall verbindliche
Regelungen und standardisierte Vorgaben, was sich etwa in den vielen Papieren
niederschlägt, die Schulkinder nach Hause tragen.
Nicht
einmal vor der Wahl des Füllfederhalters, des Leimstifts oder der Finken macht
die Bevormundung halt.
Es
wird teilweise übertrieben und nicht immer Mass gehalten. Für die Schule wirkt
sich solcher Aktivismus nachteilig aus, weil in der Flut der Mitteilungen nicht
mehr eruierbar ist, was für einen guten Schulbetrieb wirklich relevant ist und
was nicht. Es soll Lehrer geben, die teilen den Eltern sogar schriftlich mit,
welches Sanktionssystem in der Schule zur Anwendung kommt. Das ist nicht nur
unnötig, sondern auch kontraproduktiv. Ich will doch als Lehrerin auch nicht
wissen, zu welchen Massnahmen Eltern greifen, wenn das Kind zu Hause sein
Zimmer nicht aufräumt.
Überall
lauern Gefahren. Lehrer argumentieren mit Datenschutz, Eltern drohen mit
Anwälten. Gesellt sich zum Motto «zéro tolérance» nun auch noch die Formel
«zéro confiance»?
Das
Misstrauen zwischen Schule und Elternhaus ist eindeutig grösser geworden. Die
Abkehr von der reinen Leistungsbeurteilung hin zu einer ergänzenden Wertung von
Sozialkompetenz und Arbeitseinstellung hat dazu geführt, dass Lehrpersonen
jedes noch so kleine Fehlverhalten registrieren, schriftlich festhalten und zu
Hause unterschreiben lassen. Wenn ein Kind im Zeugnis einen negativen Eintrag
im Bereich Sozialkompetenz erhält, sind es die Eltern, die regelrecht nach
«Beweisen» schreien. Insofern tragen sie eine Mitschuld am allseits beklagten
Papierkrieg.
Dieses
Bedürfnis nach Beweisen und Schriftlichkeit hat das Verhältnis zwischen Schule-
und Elternhaus also nicht verbessert.
Im
Gegenteil. Das Verhältnis ist teilweise richtig gestört, und im Konfliktfall
geht es schnell hart auf hart. Ich gebe nun seit 25 Jahren Schule. Als ich zu
meiner Anfangszeit Elterngespräche führte, gab es dafür keine Vorgaben von der
Verwaltung. Trotzdem habe ich mit den Eltern immer eine Lösung im Sinne des
Kindes gefunden. Heute finden solche Zusammenkünfte unter Zuhilfenahme von
umfangreichen Unterlagen statt, werden Striche und Kreuzchen gemacht, und man
fragt sich, ob das Kind in irgendeiner Form von dieser Materialschlacht
profitiert. Kontakthefte, wie sie heute vielerorts geführt und propagiert
werden, um Versäumnisse der Kinder einzutragen, haben keinerlei pädagogischen
Wert und sind für ein Primarschulkind kein Ansporn, sein Verhalten zu ändern.
Entscheidend ist, dass eine Lehrerin ihre Linie findet und diese sowohl im
Schulzimmer wie auch gegen aussen konsequent vertritt.
Statt
Defizite bei den Tagesstrukturen anzugehen, wird Zeit und Geld in Kampagnen wie
«gsunde Znüni» gesteckt. Sind die Prioritäten richtig gesetzt?
Aus
Sicht des LCH haben die Optimierung der Tagesstrukturen und die Schaffung von
öffentlichen Tagesschulen eindeutig Vorrang, weil davon die Familien
unmittelbar profitieren. Was die erwähnten Kampagnen anbelangt, geht die
Initiative nie von der Lehrerschaft aus, sondern von Gemeinden, Firmen und
Stiftungen, die sich die Gesundheitsprävention an den Schulen auf die Fahne
geschrieben haben und ihre Anliegen teilweise recht penetrant ins Schulzimmer
tragen. Hier bedarf es dringend einer kritischen Haltung der Lehrperson. Denn
nicht überall wo «gesund» und «sportlich» draufsteht, ist gleich
Handlungsbedarf angesagt.
Ist
es Übereifer oder Unsicherheit, wenn gestandene Lehrer Mütter und Väter
auffordern, Fragen, die am Elternabend gestellt werden möchten, vorab
schriftlich einzureichen?
Viele
Lehrer sind verunsichert, haben Angst, einen Fehler zu machen, und einen Bammel,
bei einem Elternabend Red und Antwort zu stehen. Eltern sind in den Augen der
Lehrer häufig eine Art Schreckensgespenst, das vor allem Ärger macht, und nicht
ein Gegenüber, mit dem man vernünftig diskutieren kann. Aus diesem Grund lernen
heute angehende Lehrerinnen und Lehrer an den pädagogischen Hochschulen, wie
der richtige Umgang mit (schwierigen) Eltern gelingt und auf welche Probleme
man sich einstellen muss.
Die
Lehrerschaft klagt, dass vor lauter Administration das Unterrichten zu kurz
komme. Ist sie daran auch selber schuld?
Aus
eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass im Schulbetrieb oft auch über
weniger wichtige Sachverhalte stundenlang in Sitzungen diskutiert wird. Mit
dieser Aussage mache ich mich zwar nicht beliebt, aber jeder, der die
jahrelangen Teamsitzungen miterlebt hat und in Arbeitsgruppen Einsitz genommen
hat, weiss, dass es so ist.
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