28. Dezember 2013

Lehrplan 21: Hier muss angepasst werden

Wird der Lehrplan nicht in wesentlichen Punkten überarbeitet, dürfte es schwierig werden mit der Akzeptanz und der politischen Umsetzung. Das ist das Fazit, das Michael Schoenenberger in der NZZ zieht. Er nennt dabei auch die wichtigsten Konfliktfelder: Umfang, Anforderungen, Kompetenzen, Fremdsprachen, Berufliche Orientierung, Ideologie.





Der Lehrplan 21 soll im Herbst 2014 verabschiedet werden, Bild: Christoph Ruckstuhl

Ein Ja und ein paar grosse Aber, NZZ, 28.12. von Michael Schoenenberger


Im letzten halben Jahr war der neue Lehrplan 21 in der Konsultation. Neben den Kantonen meldeten sich in erster Linie Interessenverbände und betroffene Berufsgruppen zu Wort. Eine breite öffentliche Debatte ist bisher ausgeblieben. Offenbar ist das Interesse der «Gesellschaft» am Lehrplan und also am Auftrag, den sie selber der Volksschule erteilt, beschränkt. Möglicherweise wird es geweckt, sobald sich die jeweils zuständigen kantonalen Behörden über das Werk beugen.
Nach der Überarbeitung will die Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz den Lehrplan im Herbst 2014 verabschieden. In welchem Ausmass die Rückmeldungen die definitive Fassung beeinflussen werden, ist offen. Soll die Konsultation nicht Selbstzweck gewesen sein und der Lehrplan 21 in der politischen Debatte eine Chance haben, sind Korrekturen wohl unumgänglich.
Die Konsultation bestätigt erneut, dass ein gemeinsamer Lehrplan als wichtiger Schritt hin zu einer harmonisierten Volksschule begrüsst wird. Zuspruch erfahren zudem sein Aufbau sowie die Einteilung der Schulzeit in neuartige Zyklen. Auch das Kompetenzenmodell wird - mit einigen ernstzunehmenden Gegenstimmen indes - anerkannt. Das in den meisten Antworten zum Ausdruck gebrachte Wohlwollen gegenüber der Harmonisierung kontrastiert aber mit deutlicher Kritik im Einzelnen. In den Rückmeldungen wird ein Muster erkennbar, so dass sich die Stossrichtung, in welche eine Revision des Plans gehen müsste, abzeichnet.
Die wichtigsten Kritikpunkte

Umfang. Der Lehrplan 21 umfasst über 500 Seiten und umschreibt rund 4500 Kompetenzen. Dieses Volumen wird überall thematisiert und von den meisten als zu extrem angesehen. Es ist von Überforderung der Schulleitungen, der Lehrkräfte und auch der Schüler zu lesen. In netten Formulierungen ist von Vereinfachung und Reduktion, von inhaltlicher Präzisierung und Konkretisierung die Rede. Eindeutiger heisst es andernorts, von der ursprünglich anvisierten Entrümpelung könne keine Rede sein. Die Füllmenge liege deutlich über 100 Prozent. Es bestehe die Gefahr, dass der Lehrplan 21 von den Nutzern gar nicht gelesen werde, da er zu detailliert und zu umfangreich sei. Noch deutlicher sprechen andere Kritiker von einem monumentalen Regelwerk, bei dem jedes vernünftige Mass fehle. Lehrerverbände und verschiedene Kantone wollen den Umfang reduzieren und den Detaillierungsgrad verkleinern.
Mindestanforderungen. Immer wieder werden hierzu Bedenken geäussert. Für die einen sind sie zu hoch und nicht für alle Schüler erreichbar. Besonders die Lehrerschaft treibt die Frage um, was mit den schwachen Schülern geschehen soll. Economiesuisse allerdings schreibt, dass die als Mindestansprüche im 3. Zyklus umschriebenen Kompetenzen nicht in jedem Berufsfeld für den Übertritt in die berufliche Grundbildung genügten. Hier manifestiert sich ein Problem jeglicher Standardisierung im Bildungsbereich: Wohin geht die Nivellierung, um allen Lernenden gerecht zu werden? Eine Lösung könnte darin liegen, die Mindestanforderungen auszudifferenzieren. Der Kanton Bern schlägt vor, den Begriff «Mindestanspruch» durch «Grundanforderung» zu ersetzen und diesen Terminus zu definieren («von möglichst allen Schülern zu erreichen»).
Kompetenzen. Insgesamt wenig Kritik erntet der Paradigmenwechsel hin zum Kompetenzmodell. Diese Orientierung scheint im Trend zu liegen und gilt gemeinhin als modern. Positiv gewertet wird, dass damit klarer zum Ausdruck gebracht werde, was die Jugendlichen zu einem bestimmten Zeitpunkt wissen und können müssten. Kritiker wenden ein, es sei nicht klar, was mit Kompetenzen genau gemeint sei und wie man sie messe. Befürchtet wird ein Wechsel zu einer rein Output-gesteuerten Bildung. Jene wenigen, die das Kompetenzmodell ablehnen, sind der Ansicht, dass dieses nicht der Harmonisierung, sondern der Normierung der Schule diene. Didaktische Freiheit gehe verloren. Die Rede ist von Gleichschaltung.
Fremdsprachen. Sprachen sind zentraler Bestandteil des neuen Lehrplans, wobei in der Schweiz keine Einigkeit darüber herrscht, welche Fremdsprache als erste an die Reihe kommen soll. Das ist eindeutig der grosse Schwachpunkt der ganzen Harmonisierungsübung. Primär ist das nicht den Machern des Lehrplans 21 anzulasten, sondern fehlendem Willen in der Politik. Trotzdem stellt sich die Frage, was ein Lehrplan soll, dessen eigentliches Ziel es ist, die interkantonale Mobilität zu erleichtern, wenn ausgerechnet die wichtige Fremdsprachenfrage ungeklärt bleibt.
Berufliche Orientierung. Die vorgesehene Zeit von total 39 Lektionen, verteilt über den gesamten 3. Zyklus, wird als zu gering angesehen. Die Hilfe bei der Berufswahl stellt für viele eine zentrale Aufgabe der Volksschule dar. Mit Blick auf den schon grossen Umfang des Lehrplans bleibt jedoch die Frage offen, auf welche Kosten ein Ausbau in diesem Bereich ginge.
Ideologie. Hier spalten sich die Meinungen. Die politische Rechte sieht im Lehrplan 21 Programme der links-grünen Parteien abgebildet. Von dieser Seite kommt denn auch Zuspruch. Wirtschaftskreise monieren, die ökonomische Perspektive fehle und damit neben der ökologischen und der sozialen die dritte Säule der Nachhaltigkeit. Statt einer Verteufelung des Konsums seien die Funktionsweise von Märkten, Themen wie Wohlstand, Arbeitsmarkt, Steuern, Staatsverschuldung oder nachhaltige Sozialpolitik einzubeziehen.
Harmonisierungsspirale

Moniert wird überdies, dass ein einheitlicher Lehrplan mit den unterschiedlichen kantonalen Rahmenbedingungen letztlich unvereinbar sei, auch mit Blick auf das anvisierte Bildungsmonitoring. So ergeht denn der Ruf nach weiterer Vereinheitlichung, etwa der Stundentafeln, der Übertrittsregeln, der Fächerbezeichnungen oder der Weiterentwicklung des Lehrplans 21.

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