Es
geschah während einer Stadtführung in La Chaux de Fonds. Die Führerin mühte
sich redlich ab, den Anwesenden die phänomenale Städtestruktur der
Uhrenmetropole im Jura zu erklären. Etwa die Hälfte der 20 SchülerInnen hörte
interessiert zu oder tat wenigstens so, andere liessen ihre Augen auf die
vielen Uhren schweifen, die ihnen anzeigten, dass die Führung noch über eine
halbe Stunde dauern sollte. Zwei Mädchen hörten nicht zu, sie redeten
miteinander, zwei andere lachten laut, weil sie bemerkten, dass einer ihrer
Kollegen plötzlich nicht mehr anwesend war.
Eine
von Ihnen griff zum Hörer, um den Vermissten aufzuspüren. Lautes „Aha“,
Wegerklärungen, saloppe Sprüche und ein Gekichere waren die Folge. Die
Städteführerin musste dies bemerken, fuhr aber tapfer weiter.
Der
Klassenlehrer blickte zurück, verzog aber keine Miene. Am Schluss sollten die
vier Mädchen nach einem freien Ausgang sagen, dass es eine doofe Stadt gewesen
sei. Man habe einen Coiffeursalon gesucht, nicht einmal das gäbe es an diesem
komischen Ort. Und eine meinte, Stadtführungen interessierten sie eh nicht.
Man
könnte dieses läppische Ereignis abbuchen unter dem Thema meines Artikels,
welche der angeblich zunehmenden Unkonzentriertheit und der
Motivationslosigkeit unserer heutigen Lernenden beschäftigt und es gleichzeitig
als schulmässigen Einstieg in meine Ausführungen gebrauchen.
Die
Krux ist allerdings, dass es sich bei dieser Gruppe nicht um eine
Oberstufenklasse mit einem peinlich berührten Klassenlehrer handelte, sondern
um einen Kollegiumsausflug. Die vier SchülerInnen waren allesamt Lehrkräfte,
darunter eine Geschichtslehrerin, der Klassenlehrer war der Schulleiter.
Für
Kursleiterinnen und –leiter in unserem Lande ist der Befund klar. Auf den
ersten Blick ist eine Lehrerveranstaltung ohne Ritalin kaum zu bewältigen. Die
SchulmeisterInnen des Landes verhalten sich an Fortbildungsanlässen,
Konferenzen oder Seminarien nicht selten schlimmer als die unmotivierteste
Klasse. Sie kommen zu spät in den Kurs, sprechen mit dem Tischnachbarn, fallen
einander ins Wort, tippen auf dem Handy herum, korrigieren ihre Schularbeiten,
hören nicht zu und stellen Fragen, die vor fünf Minuten bereits beantwortet
wurden.
Umso
ironischer empfinde ich danach die Klagen aus denselben Kreisen über unsere
heutige SchülerInnenschaft. Eine Belastungsstudie im Kanton Aargau zum Beispiel
hat gezeigt: Am meisten gestresst fühlen sich Aargauer Lehrpersonen durch
«schwierige», undisziplinierte Kinder und Jugendliche.
Quelle: Textausschnitt von Alain Pichard (Die Weisheit der Praxis)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen