31. Juli 2011

Problem des Romanischen: Keine Feinde

Der deutsche Sprachwissenschaftler Rolf Kailuweit äussert sich in der Südostschweiz vom 31.7. zur Zukunft des Romanischen. Interviewpartner: Olivier Berger
"Der Antrieb zum Spracherhalt kann immer nur von den Sprechern selbst ausgehen. Sie müssen die Sprache als Symbol ihrer Gruppenidentität ansehen. Der Staat kann dann fördernd eingreifen. Aber, ich sage das mal so zynisch: Der Antrieb scheint besonders hoch, wenn ein klares historisches Feindbild vorhanden ist. Und daran fehlt es wohl beim Bündnerromanischen. Die Schweiz als Staat und die deutsche beziehungsweise italienische Sprachkultur eignen sich nicht besonders gut als Feindbild."
"Man muss wissen, welche Funktion die Gemeinsprache haben soll. Sie kann das Einheitsbewusstsein ... stärken und helfen, neue Sprecher zu gewinnen ... Aber eine Gemeinsprache mit potenziell 60'000 bis 70'000 Sprechern wird nicht mit den grossen Kultursprachen Deutsch, Französisch und Italienisch konkurrieren können. Hinzu kommt das Englische als Weltsprache. Da fragt es sich dann, ob sich für die Sprecher der Aufwand lohnt, eine voll ausgebaute Schriftvariante zu erlernen."
"Die offiziellen Stellen möchten eine Varietät für den Schriftverkehr schaffen. Der Basis mag dies nicht so wichtig erscheinen. Aber Minderheitensprachen brauchen heutzutage repräsentative Formen auch und gerade, um in den Medien präsent zu sein. Die Frage ist, wie viel Flexibilität bei der Norm besteht. Das Prinzip der Polynomie (regionale Varianten sind erlaubt) erhöht in der Anfangsphase die Akzeptanz des Sprachausbaus erheblich."
"Sicher werden die Entwicklung der Schriftnormen und vor allem der Gebrauch in den Medien dazu beitragen, die Minderheitensprachen auch denen zugänglich zu machen, die sie nicht als Muttersprachen sprechen. Wenn auch dieser Personenkreis sich mit der Regionalkultur identifiziert, besteht die Möglichkeit, dass die Regionalsprache zumindest symbolisch präsent bleibt und die Globalisierungsprozesse zu kompensieren hilft ... Die Sprecher müssen entscheiden, ob und in welchem Umfang sie ihre Sprache erhalten wollen ... Aber wenn die Sprecher die Förderung nicht annehmen und aktiv mitgestalten, bleibt sie ohne Nachhalt."

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