28. Januar 2017

"Aargauer Sonderfall käme teuer zu stehen"

Schon der Titel der Initiative ist irreführend: «Ja zu einer guten Schulbildung – Nein zum Lehrplan 21». Denn wir stimmen am 12. Februar nicht über den Lehrplan 21 ab, sondern über eine Änderung von Paragraf 13 des aargauischen Schulgesetzes. Im ganzen Initiativtext kommt denn auch der Begriff «Lehrplan 21» kein einziges Mal vor.
Auch eine Annahme der Initiative würde nichts daran ändern, dass der Lehrplan 21 die Grundlage für den neuen Aargauer Lehrplan sein wird. Deshalb können wir es uns hier ersparen, näher auf die mit harten Bandagen geführten und teilweise zutiefst ideologisch belasteten inhaltlichen Dispute um den Lehrplan 21 und seine real vorhandenen Mängel einzugehen. Sie sind für die Abstimmung über diese Initiative letztlich nicht relevant. Vielmehr geht es darum, sich mit den Konsequenzen zu beschäftigen, welche die von den Initianten vorgeschlagene Änderung des Schulgesetzes für die Aargauer Schule hätte.
Volksinitiative gegen den Lehrplan 21: Die Schule braucht jetzt Offenheit und Vertrauen, Aargauer Zeitung, 28.1. Kommentar von Jörg Meier


Ideologischer Feldzug gegen konstruktivistische Weltsicht
Die Initiative verlangt einen separaten Rahmenlehrplan für den Kindergarten. Sie legt die Schulfächer für die Primarstufe und die Oberstufe abschliessend fest und sie fordert Jahrgangsziele. Und sie verbietet, dass in den ersten sechs Schuljahren mehr als eine Fremdsprache unterrichtet werden darf. Erklärtes Ziel der Initianten ist es, auf diesem Weg zentrale Prinzipien des Lehrplans 21 auszuhebeln. Sie möchten «die Fehlentwicklungen der nationalen Bildungspolitik korrigieren».

Was auf den ersten Blick recht harmlos scheint, hätte aber auf die ganze Volksschule Aargau erhebliche Auswirkungen. Die Initiative schränkt das Bildungsangebot im Kanton ein, wenn sie genau festlegt, welche Fächer unterrichtet werden dürfen. Fächer wie Berufs- oder Medienkunde kommen gar nicht vor. Sie behindert zudem den in der Bundesverfassung verankerten Auftrag zur Harmonisierung der Bildungsziele. Und sie erschwert den Wohnortswechsel von Familien mit schulpflichtigen Kindern in einen andern Kanton. Der aargauische Sonderfall käme auch die Steuerzahler teuer zu stehen: Die Ausbildung der Lehrpersonen müsste neu ausgerichtet werden, neue Lehrmittel müssten erarbeitet werden. Und was die Initiative trotzdem nicht verhindern kann: Dass der Unterricht kompetenzorientiert ausgerichtet ist und das selbstgesteuerte Lernen wichtiger wird.

Es ist vor allem ein ideologischer Kampf, den die Initianten führen. Sie wehren sich gegen die konstruktivistische Weltsicht, die dem Lehrplan 21 zugrunde liege. Sie fürchten sich vor zu viel selbstgesteuertem Lernen und sie halten die Ausrichtung nach Kompetenzen in der Volksschule für völlig verkehrt. Sie beklagen, dass EU und OECD am Anfang des ganzen Lehrplan-21-Übels stünden, geisseln die völlige «Vermessung der Bildung», die der Lehrplan 21 mit sich bringe.

Der harte Kern der Initianten besteht aus einer relativ kleinen Gruppe von wertkonservativen Pädagogen. In ihrem Feldzug gegen den Lehrplan 21 sind sie schweizweit gut vernetzt. Im Aargau werden sie unterstützt von der Aargauischen Vaterländischen Vereinigung und vom «Aargauer Elternkomitee für eine kindgerechte Schule».

Arbeitgeber und Gewerkschaften marschieren gemeinsam
Die Regierung lehnt die Initiative ab, der Grosse Rat hat das auch getan, sämtliche Parteien mit Ausnahme von SVP und EDU wehren sich ebenfalls gegen den Eingriff ins Schulgesetz. Dass alle schulischen Verbände und Organisationen sich gegen die Initiative stellen, verwundert wenig. Eher ungewöhnlich aber ist, dass sich Gewerbeverband und Handelskammer für einmal mit den Gewerkschaften VPOD und Unia einig sind: Sie alle halten die Initiative für schädlich und engagieren sich gemeinsam im gleichen Komitee.

Hartnäckige Initianten haben Schule in den Fokus gerückt
Was man den Initianten aber zugutehalten muss: Durch ihr hartnäckiges Agieren haben sie erreicht, dass die Schule in den Fokus gerückt ist. Die vielen überaus gut besuchten Podiumsgespräche und unzählige Kommentare und Leserbriefe in den Medien zeigen, wie sehr die Entwicklung der Schule in Zeiten rasanter gesellschaftlicher Veränderung die Menschen beschäftigt. Manchmal geriet dabei etwas in den Hintergrund, dass der Lehrplan 21 weder an allem schuld noch ein Allerweltmittel ist. Er ist lediglich ein umfangreiches bildungspolitisches Planungsinstrument, das noch gehörig für die Aargauer Verhältnisse bearbeitet werden muss.

In dieser Deutlichkeit verdanken wir diese Erkenntnis auch der unermüdlichen Agitation der Initianten. So weiss die Regierung jetzt noch klarer, dass die Erarbeitung des neues Aargauer Lehrplans sehr sorgfältig geschehen muss, dass verschiedenste Ansprechpartner konsultiert werden sollten oder konkreter noch: dass es wohl an der Oberstufe weiterhin Einzelfächer geben wird.

So hat die Initiative zwar einerseits die offizielle Arbeit am Aargauer Lehrplan vorläufig blockiert, andrerseits hat sie aber ein öffentliches Nachdenken über die Volksschule in Gang gesetzt. Damit hat sie ihre Schuldigkeit getan und kann getrost wieder von der Bildfläche verschwinden.

Soll sich unsere Schule weiterentwickeln und unsere Kinder möglichst adäquat auf das Leben vorbereiten können, dann braucht sie nicht Einschränkungen und Behinderungen, wie sie die Initiative schaffen will. Sondern sie braucht Offenheit und Vertrauen als Basis einer kritischen Begleitung.


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