Schon der Titel der Initiative ist irreführend: «Ja
zu einer guten Schulbildung – Nein zum Lehrplan 21». Denn wir stimmen am 12.
Februar nicht über den Lehrplan 21 ab, sondern über eine Änderung von Paragraf
13 des aargauischen Schulgesetzes. Im ganzen Initiativtext kommt denn auch der
Begriff «Lehrplan 21» kein einziges Mal vor.
Auch eine Annahme der Initiative würde nichts daran
ändern, dass der Lehrplan 21 die Grundlage für den neuen Aargauer Lehrplan sein
wird. Deshalb können wir es uns hier ersparen, näher auf die mit harten
Bandagen geführten und teilweise zutiefst ideologisch belasteten inhaltlichen
Dispute um den Lehrplan 21 und seine real vorhandenen Mängel einzugehen. Sie
sind für die Abstimmung über diese Initiative letztlich nicht relevant.
Vielmehr geht es darum, sich mit den Konsequenzen zu beschäftigen, welche die
von den Initianten vorgeschlagene Änderung des Schulgesetzes für die Aargauer
Schule hätte.
Volksinitiative gegen den Lehrplan 21: Die Schule braucht jetzt Offenheit und Vertrauen, Aargauer Zeitung, 28.1. Kommentar von Jörg Meier
Ideologischer Feldzug gegen konstruktivistische
Weltsicht
Die Initiative verlangt einen separaten
Rahmenlehrplan für den Kindergarten. Sie legt die Schulfächer für die
Primarstufe und die Oberstufe abschliessend fest und sie fordert
Jahrgangsziele. Und sie verbietet, dass in den ersten sechs Schuljahren mehr als
eine Fremdsprache unterrichtet werden darf. Erklärtes Ziel der Initianten ist
es, auf diesem Weg zentrale Prinzipien des Lehrplans 21 auszuhebeln. Sie
möchten «die Fehlentwicklungen der nationalen Bildungspolitik korrigieren».
Was auf den ersten Blick recht harmlos scheint,
hätte aber auf die ganze Volksschule Aargau erhebliche Auswirkungen. Die
Initiative schränkt das Bildungsangebot im Kanton ein, wenn sie genau festlegt,
welche Fächer unterrichtet werden dürfen. Fächer wie Berufs- oder Medienkunde
kommen gar nicht vor. Sie behindert zudem den in der Bundesverfassung
verankerten Auftrag zur Harmonisierung der Bildungsziele. Und sie erschwert den
Wohnortswechsel von Familien mit schulpflichtigen Kindern in einen andern
Kanton. Der aargauische Sonderfall käme auch die Steuerzahler teuer zu stehen:
Die Ausbildung der Lehrpersonen müsste neu ausgerichtet werden, neue Lehrmittel
müssten erarbeitet werden. Und was die Initiative trotzdem nicht verhindern
kann: Dass der Unterricht kompetenzorientiert ausgerichtet ist und das
selbstgesteuerte Lernen wichtiger wird.
Es ist vor allem ein ideologischer Kampf, den die
Initianten führen. Sie wehren sich gegen die konstruktivistische Weltsicht, die
dem Lehrplan 21 zugrunde liege. Sie fürchten sich vor zu viel selbstgesteuertem
Lernen und sie halten die Ausrichtung nach Kompetenzen in der Volksschule für
völlig verkehrt. Sie beklagen, dass EU und OECD am Anfang des ganzen
Lehrplan-21-Übels stünden, geisseln die völlige «Vermessung der Bildung», die
der Lehrplan 21 mit sich bringe.
Der harte Kern der Initianten besteht aus einer
relativ kleinen Gruppe von wertkonservativen Pädagogen. In ihrem Feldzug gegen
den Lehrplan 21 sind sie schweizweit gut vernetzt. Im Aargau werden sie
unterstützt von der Aargauischen Vaterländischen Vereinigung und vom «Aargauer
Elternkomitee für eine kindgerechte Schule».
Arbeitgeber und Gewerkschaften marschieren
gemeinsam
Die Regierung lehnt die Initiative ab, der Grosse
Rat hat das auch getan, sämtliche Parteien mit Ausnahme von SVP und EDU wehren
sich ebenfalls gegen den Eingriff ins Schulgesetz. Dass alle schulischen
Verbände und Organisationen sich gegen die Initiative stellen, verwundert
wenig. Eher ungewöhnlich aber ist, dass sich Gewerbeverband und Handelskammer
für einmal mit den Gewerkschaften VPOD und Unia einig sind: Sie alle halten die
Initiative für schädlich und engagieren sich gemeinsam im gleichen Komitee.
Hartnäckige Initianten haben Schule in den Fokus
gerückt
Was man den Initianten aber zugutehalten muss:
Durch ihr hartnäckiges Agieren haben sie erreicht, dass die Schule in den Fokus
gerückt ist. Die vielen überaus gut besuchten Podiumsgespräche und unzählige
Kommentare und Leserbriefe in den Medien zeigen, wie sehr die Entwicklung der
Schule in Zeiten rasanter gesellschaftlicher Veränderung die Menschen
beschäftigt. Manchmal geriet dabei etwas in den Hintergrund, dass der Lehrplan
21 weder an allem schuld noch ein Allerweltmittel ist. Er ist lediglich ein
umfangreiches bildungspolitisches Planungsinstrument, das noch gehörig für die
Aargauer Verhältnisse bearbeitet werden muss.
In dieser Deutlichkeit verdanken wir diese Erkenntnis auch der unermüdlichen Agitation der Initianten. So weiss die Regierung jetzt noch klarer, dass die Erarbeitung des neues Aargauer Lehrplans sehr sorgfältig geschehen muss, dass verschiedenste Ansprechpartner konsultiert werden sollten oder konkreter noch: dass es wohl an der Oberstufe weiterhin Einzelfächer geben wird.
So hat die Initiative zwar einerseits die
offizielle Arbeit am Aargauer Lehrplan vorläufig blockiert, andrerseits hat sie
aber ein öffentliches Nachdenken über die Volksschule in Gang gesetzt. Damit
hat sie ihre Schuldigkeit getan und kann getrost wieder von der Bildfläche
verschwinden.
Soll sich unsere Schule weiterentwickeln und unsere
Kinder möglichst adäquat auf das Leben vorbereiten können, dann braucht sie
nicht Einschränkungen und Behinderungen, wie sie die Initiative schaffen will.
Sondern sie braucht Offenheit und Vertrauen als Basis einer kritischen
Begleitung.
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