Ein beeindruckender Erziehungsdirektor, eine blossgestellte Expertengruppe.
Als
Erziehungsdirektor Bernhard Pulver in der vergangenen Woche die endgültige Version
der neuen Berner Schulzeugnisse präsentierte, dürfte manchen Leuten ein Stein
vom Herzen gefallen sein. Andere wiederum mussten eine bittere Pille schlucken.
Der «Bund» erinnerte: «Der Aufruhr war gross, als das Dokument vor rund einem
Jahr an die Öffentlichkeit gelangte.»
Pulver kann über seinen Schatten springen, Bild: Grüne Kanton Bern
Die Lehren aus der Beurteilungsdiskussion im Kanton Bern, Bund, 26.1. von Alain Pichard
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Was war
damals passiert? Nachdem eine Expertengruppe ein Jahr lang daran gearbeitet
hatte, präsentierte am 17.2.16
ein gut gelaunter Erziehungsdirektor in einem Hearing vor rund 250 Personen
deren Vorschläge. Diese wurden im Eiltempo durchgenommen, es gab lockere
Sprüche und einige Konsultativabstimmungen, die allesamt positiv verliefen, und
am Schluss einen grossen Applaus und ein feines Buffet.
Zwei
der Teilnehmer kenne ich gut. Eine ist eine Kollegin aus unserem Schulhaus in
Orpund, der andere der junge Lars Burgunder, Klassenlehrer im Raum Bern. Unsere
bedauernswerte Kollegin, die von den Vorschlägen angetan war, musste sich von
uns einiges an Kritik anhören. Am Schluss meinte Sie: «Es ging alles so
schnell, ich war mir der Brisanz überhaupt nicht bewusst!»
Lars
hingegen traute seinen Ohren nicht, als er vernahm, dass man künftig im
Schulzeugnis Charaktereigenschaften der Kinder bewerten solle. Er fand es
inakzeptabel, dass man Punkte wie Pünktlichkeit, Höflichkeit und Umgangsformen,
Ordnungssinn oder «Umgang mit Vielfalt» beurteilen sollte, und das auf einer
Skala von 1 bis 10. Am schlimmsten empfand er den Satz: «Schülerinnen und
Schüler können ihre Gefühle situationsgemäss ausdrücken.» Er schickte die
Berichte an den Schulblog «Schule Schweiz» und von dort gelangte die
Angelegenheit an die Öffentlichkeit.
Und
jetzt aufgepasst! Ein etwas zerknirschter Bildungsdirektor gab sich nicht mal
eine Woche später selbstkritisch und empfand seine eigenen Papiere als
«unausgegoren». Interessant: Da entwickeln Experten ein Jahr lang ein neues
Beurteilungssystem, da diskutieren Leute, die den Herausforderungen des
Unterrichts stets fernbleiben, intensiv über die Ergebnisse, da werden 250
Praktiker zu einer Anhörung eingeladen und dann kommt ein kleiner kritischer
Zeitungsartikel und «schwups», der verbale Rückzug, das «Sorry», das «Es war ja
nicht so gemeint».
In der
Vernehmlassung im Juni 2016 waren von den kritisierten Punkten nur noch wenige
übrig. Und nun, am 17. Januar 2017, präsentierte unser Erziehungsdirektor das
definitive Dokument, und es zeigt sich: Er hat weitere umstrittene
Formulierungen aus der Vorlage gestrichen.
Was
können wir aus diesem Vorfall lernen?
1. Zunächst einmal
gilt es festzuhalten, dass der amtierende Erziehungsdirektor die beeindruckende
Fähigkeit besitzt, den Menschen zuzuhören. Und er kann über seinen Schatten
springen, Meinungen revidieren und – das ist das Besondere an diesem Mann –
sich dann auch gegenüber seinen eigenen Leuten in der Bildungsverwaltung durchsetzen.
2. Hearings ersetzen
keine Vernehmlassungen.
3.
Bildungsexperten sind nicht zwangsläufig die besseren Bildungsreformer. Es
waren die Stellungnahmen der Oberstufenzentren in Biel und Orpund, allesamt
Praktiker, welche den Bildungsdirektor überzeugten. Die jetzige Variante
entspricht ziemlich genau deren Forderungen.
4.
Die definitive Version der neuen Zeugnisse kommt einer Blamage der
Bildungsexperten gleich, die eine viel weitergehende Beurteilungspraxis
forderten.
5. Angesichts dieser
Tatsache tönt die Beschwörungsformel des Berufsverbands Bildung Bern, wonach
das Volk nicht über Bildungsreformen abstimmen sondern man dies den Experten
überlassen solle, ziemlich obsolet. Die Vertreter von Bildung Bern waren an der
Ausarbeitung der ersten Version der neuen Zeugnisse dabei, waren nach dem
Podium zufrieden, unterstützten diese Variante im Wirbelsturm der öffentlichen
Kritik, waren mit der abgespeckten Variante im Juni aber auch zufrieden und
sind mit der noch einmal gestrafften Endversion ebenso zufrieden. Wie sagte es
der englische Dramatiker William Shakespeare einst? «Wer wohl zufrieden ist,
ist wohl bezahlt.»
Schön zu Wissen, dass rebellieren eben doch manchmal etwas bringt, trotz der Obrigkeit am längeren Hebel
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