18. Dezember 2016

Hohe Frustrationstoleranz wichtig für Schulerfolg

«Die Kinder werden heute zu kleinen Egoisten erzogen.» Dieses Fazit zieht die Freiburger Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm. In ihrer neusten Publikation mit dem Titel «Ich will – und zwar jetzt!» zeigt sie auf, weshalb sich Kinder in Gruppen schlecht einordnen, kaum warten oder verlieren können. Und was die Folgen dieser mangelnden Frustrationstoleranz sind.
"Das machst du unglaublich toll, mein Goldschatz", Bild: Getty Images
Zu viel Lob schadet dem Kind, NZZaS, 18.12. von René Donzé

Zwar gibt es keine statistisch erhärteten Zahlen, die belegen, dass Kinder heute egoistischer geworden sind als früher. Doch in Kindergärten wird die Zunahme oft bestätigt. Dort zeigen 20 bis 40 Prozent der Kinder Verhaltensauffälligkeiten oder Störungen. «Die Ursache liegt meist in einer zu behütenden Erziehung», sagt Stamm. Eine Einschätzung, die der Präsident der Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie, Philipp Ramming, teilt (siehe Interview).

Der Marshmallow-Test
Nadine Hoch, Geschäftsleiterin des Verbandes Kinderbetreuung Schweiz, spricht von Prinzen und Prinzessinnen, die in einer Kindertagesstätte erst einmal lernen müssten, sich in Gruppen einzufügen. Entsprechend wichtig seien qualitativ gut geführte Betreuungseinrichtungen, die diese Defizite auffangen könnten.

Dass eine hohe Frustrationstoleranz den Kindern fürs Leben etwas bringt, zeigte bereits ein inzwischen zum Youtube-Hit avancierter Test von 1968 aus den USA: Kleine Kinder wurden allein vor ein Marshmallow gesetzt. Sie mussten warten, bis die Betreuungsperson wieder auftauchte. Schafften sie das, ohne die Süssigkeit zu essen, erhielten sie zur Belohnung eine zweite. Wie eine Nachuntersuchung 13 Jahre später ergab, waren jene, die warten konnten, später erfolgreicher in der Ausbildung.

In ihrer Untersuchung ist Stamm nun auf ähnliche Ergebnisse bei Schweizer Kindern gekommen. Sie hat Zahlen ihrer Längsschnittstudie zu Frühlesern und Frührechnern unter diesem Aspekt neu ausgewertet und festgestellt: «Kinder, die in der Schule zur Leistungsspitze gehören, weisen eine überdurchschnittliche Frustrationstoleranz auf.» Bei den Kindern mit den besten schulischen Leistungen lag der Anteil der frusttoleranten Kinder bei 54 bis 61 Prozent, bei den weniger guten Schülern machten sie nur 20 bis 33 Prozent aus.

Auch in der Lehre haben jene mehr Erfolg, die Frustrationen gut aushalten. Das ergab Stamms Analyse einer Längsschnittstudie zur Berufsbildung: Am Ende der Ausbildungszeit waren nicht unbedingt jene am besten, die eine besonders hohe Intelligenz aufwiesen und zu Beginn die besten Resultate erzielten. «Für den Erfolg in der Lehre ausschlaggebend sind vielmehr Persönlichkeitsmerkmale wie Frustrationstoleranz sowie Arbeitsmotivation, Stressresistenz und Beharrlichkeit», sagt Stamm.

Die Beobachtung teilt Jürg Zellweger, Bildungsexperte beim Schweizerischen Arbeitgeberverband: «Der Umgang mit Misserfolgen muss gelernt sein. Man muss damit konstruktiv umgehen können und nicht gleich den Bettel hinwerfen.» Darauf werde in der Berufsbildung heute viel Wert gelegt. Etwa indem man über Stresssituationen rede, die im Lehrbetrieb vorkommen.

Von Freunden lernen
Angesetzt werden müsse indes viel früher, sagt Stamm. Eltern sollten die Kinder nicht zu sehr verwöhnen und nicht für jede Kleinigkeit loben: «Überdosierte Anerkennung macht die Kinder schwach.» Mütter, die jeden Purzelbaum mit Superlativen kommentierten, täten dem Sprössling keinen Gefallen. «Solche Kinder erhalten das Gefühl, alles, was sie tun, sei eine Meisterleistung.» Wenn ihnen später einmal etwas misslinge, kapitulierten sie.

Sehr wichtig für eine gesunde kindliche Entwicklung seien zudem das freie Spiel sowie Freundschaften mit Gleichaltrigen. So lernten sie, dass nicht immer alles nach ihrem Kopf gehen könne. «Sie üben zu verhandeln, Kompromisse einzugehen und auch einmal eine Niederlage zu akzeptieren», sagt Stamm.


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