26. Juni 2011

Rückzieher der EDK im Sexualkunde-Unterricht?


Philipp Gut analysiert in der "Weltwoche" vom 23. Juni die Reaktion der EDK auf die politischen Vorstösse zum geplanten Sexualkunde-Unterricht (siehe frühere Posts). 
Am Donnerstag letzter Woche versandte die Geschäftsstelle der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) eilends eine Mitteilung. Es werde im Rahmen des ­neuen «Lehrplans 21», der derzeit erarbeitet wird, «keinen Sexualkundeunterricht im Kindergarten geben», beteuerte die EDK. Anders- lautende Medienberichte seien «falsch».
Der Zeitpunkt der überraschenden Offen­sive war kein Zufall. Tags darauf präsentierten Na­tionalräte aus verschiedenen Parteien in Bern eine «Petition gegen die Sexualisierung der Volkschule». Sie fordern, dass Eltern ihre Kinder vom Sexualkundeunterricht dispensieren dürfen, dass die Schüler nicht zu «Sexspielen und Sexualpraktiken» angeleitet und in ihrer «se­xuellen Orientierung» nicht beeinflusst werden. In einzelnen Kantonen laufen ähnliche Proteste. In Luzern sammelt die Junge SVP Unterschriften für eine Petition unter dem Titel «Kein Sexualkundeunterricht für 4-Jährige». Die Befürchtungen, dass schon die Kleinsten mit teils unsensiblen Methoden aufgeklärt werden sollen, weist die EDK von sich. Sie distanziert sich insbesondere von einem «Grundlagenpapier», das das Kompetenzzentrum ­Sexualpädagogik und Schule, angesiedelt ­ an der Pädagogischen Hochschule Zentral- schweiz (PHZ), entwickelt hat. Das Dokument sei «weder im Auftrag noch unter Mitwirkung der Erziehungsdirektoren-Konferenz entstanden», seine Inhalte seien «für den Lehrplan 21 nicht massgebend», so die EDK.

Wozu braucht es ein Sexualzentrum?

Das ist nur die halbe Wahrheit. Richtig ist, dass die EDK dem medialen und politischen Druck schon seit längerem auszuweichen versucht. In einem «zur internen Verwendung» vorgesehenen Papier vom November 2010 heisst es: «Während Fachpersonen aus dem Institut für Sexualpädagogik in Uster und dem Kompetenzzentrum Sexualpädagogik und Schule in Luzern bereits im Kindergarten sexualpädagogische Themen aufnehmen wollen, wehren sich konservative Kreise vehement dagegen.»
Die «Fachpersonen» verlangen also Sexualunterricht bereits im Kindergarten, das gibt die EDK zu. Folglich zielen die Petitionen und Proteste nicht ins Leere. Mehr noch: Die erwähnten Institute sind nicht irgendwelche ­nebensächlichen Organisationen oder gar private Klubs, die schreiben und sagen können, was sie wollen. Wenn die EDK jede Ver­bindung mit dem Kompetenzzentrum abstreitet, verschleiert sie die Tatsachen. Es bestehen enge persönliche, institutionelle und finanzielle Verbindungen zwischen Bund, Kantonen und Sexfachleuten.
Titus Bürgisser, umstrittener Leiter und Promotor des Sexunterrichts, berät die Lehrplan-Entwickler. Sein Kompetenzzentrum ist Teil der Zentralschweizer Hochschule, und es wird vom Bund mit Hunderttausenden von Franken unterstützt. Ein Vertrag zwischen dem Bundesamt für Gesundheit – federführend ist die Sektion Aids – und der PHZ regelt die Zusammenarbeit. Das Zentrum erhielt bisher 1 343 000 Franken an Bundesgeldern, Beiträge der Zentralschweizer Kantone nicht eingerechnet. Mit dem Geldsegen ist ein klar definierter Auftrag verbunden: Se­xualpädagogik solle mit Hilfe des Kompetenzzentrums an den Schulen «flächendeckend implementiert» werden, heisst es schwarz auf weiss im Vertrag. Das weiss auch die EDK.
Es gibt im Grunde nur zwei Varianten. ­Erstens: Der Rückzieher der Erziehungsdirektoren ist taktisch – er wäre dann als Versuch zu werten, im Wahljahr politischem Druck auszuweichen. Zweitens: Es ist ihnen ernst mit ­ihren Zweifeln an der Kompetenz der eigenen Fachleute. Dann aber stellte sich die Frage, ­warum Millionen von Steuerfranken für Institute aufgewendet werden sollen, die – so formuliert es die EDK – «nicht massgebend» sind.
Philipp Gut, Weltwoche, 23. Juni 2011

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