Die Black-Lives-Matter-Bewegung zeigt Wirkung. Warner Bros.
hat den Klassiker «Vom Winde verweht» (1939) aus dem Streamingdienst HBO
gestrichen, weil er ethnische und rassistische Vorurteile bediene und die
Sklaverei verherrliche. Ins Visier gerät deshalb auch John Wayne.
Geschichte kann man nicht einfach entsorgen, Basler Zeitung, 13.7. von Roland Stark
In der Schweiz fällt nicht nur der «Mohrenkopf» der Auseinandersetzung zum Opfer, auch Legenden wie Alfred Escher oder General Johann August Sutter stehen unter Beschuss. Selbst ein Berg, das 3946 Meter hohe Agassizhorn an der Grenze zwischen Bern und dem Wallis, soll umgetauft werden. Louis Agassiz war ein berühmter Forscher, aber auch ein schlimmer Rassist im 19. Jahrhundert.
Der österreichische Schriftstellerund Essayist Markus Gauss
sieht – am Beispiel des ehemaligen Jugoslawien – die Gefahr, dass die Debatte
«zu kuriosen Bemächtigungen» führe und dazu tendiere, «alte Konflikte nicht in
einem gemeinsamen Bild der Geschichte aufzuheben, sondern mit neuer Munition
aufzuladen». Er spricht von «Denkmalitis als hochentzündlicher Erkrankung des
Erinnerungsvermögens», die im Osten Europas wesentlich weiterverbreitet sei als
im Westen.
Gauss belegt seine These am Beispiel des Widerstandskämpfers
Stjepan Filipovic. Der 26-jährige Partisan war am 22.Mai 1942 von Schergen der
SS und serbischen Kollaborateuren hingerichtet worden. Das Bild des jungen
Mannes mit abgerissenen Kleidern, einem Strick um den Hals, auf einer hölzernen
Bank stehend, die gleich umgestossen wird, ist zu einer Ikone des jugoslawischen
Kommunismus geworden. Auch seine letzten Worte: «Smrt fasiszmu, sloboda
narodu!» – «Tod dem Faschismus, Freiheit dem Volk!» Abgebildet bis zuletzt in
den Schulbüchern allersechs Nationen der Sozialistischen Föderativen
Volksrepublik Jugoslawien.
An der Uferpromenade im kroatischen Opuzen stand lange ein
Denkmal von Filipovic. Zwei Monate nachdem sich Kroatien im blutigen
Bürgerkrieg für unabhängig erklärt hatte, wurde es in einem nächtlichen Vandalenakt
vom Sockel gestürzt und nicht mehraufgestellt.
Filipovic kämpfte nicht nur gegen die italienischen
Besatzer Dalmatiens und die deutschen Eroberer des Balkans. Er bekämpfte auch
jenen kroatischen Staat von Hitlers Gnaden, in dem die faschistische Ustascha
Abertausende Serben, Juden, Roma und politisch missliebige Kroaten ermordete. In
den Wirren der1990er-Jahre wurde Filipovic mit dem Schimpfwort «Jugoslawist»
belegt, aus der eigenen Nation verstossen und als Kommunist geächtet.
Nach wie vor steht aber in der serbischen Stadt Valjevo ein
Denkmal für Filipovic. Damit er in Serbien als Held anerkannt werden konnte, musste
der kroatisch-katholische Stjepan in einen serbisch-orthodoxen Stevan verwandelt
werden. Dabei wurde grosszügig darüber hinweggesehen, dass an der Ermordung
auch antikommunistische serbische Tschetniks beteiligt waren. Glühende
Nationalisten, die wie die kroatischen Ustaschas heute wieder nahe an der Rehabilitation
sind. Nicht nur als Fanatikerin den Fussballarenen in Belgrad und Zagreb.
Mit blindwütiger «Bilderstürmerei» lassen sich aber die
mageren Kenntnisse geschichtlicher Zusammenhänge nicht kompensieren. «Das Fach
Geschichte verschwindet», klagt der Basler Gymnasiallehrer René Roca, «obwohl
es für die Volksschule das zentrale Fundament für unser direktdemokratisches
politisches System legt und eine integrative Funktion besitzt, gerade auch für Schülerinnen
und Schüler mit Migrationshintergrund.» Das eigenständige Fach Geschichte «ist
eine Frucht unserer Wissenschaftsgeschichte. Resultat ist eine Struktur des
Wissens, die an Schulen, aber auch in Bibliotheken und Universitäten sofort
augenfällig wird. Das Wissen ist kein Sammelsurium, das untereinem beliebigen
Begriff neu ‹zusammengestellt› werden kann.» Das untaugliche Retortenfach
«Räume, Zeiten, Gesellschaften» grüsst aus der Schulstube.
Kontinuierliches historisches Wissen jedenfalls wäre
hilfreicher als das Verhüllen oder gar Zertrümmern in Ungnade gefallener Helden
auf Denkmälern, Schildern oder Strassennamen.
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