Ein befreundeter Malermeister berichtet, wie schwierig es ist, zwei,
drei fähige Vorarbeiter für seinen Betrieb zu finden. Aus den Schweizer Schulen
ist gleichzeitig Folgendes zu hören: Wenn ein guter Schüler sagt, er möchte
gern Maler (oder Elektriker oder Schreiner) werden, bekommt er vom Lehrer oft
die Antwort, er als gescheiter Bursche gehöre doch ans Gymi.
Seid clever - werdet Maler! Tages Anzeiger, 23.6. von Edgar Schuler
Solche Lehrer meinen es gut. Sie haben bereits verinnerlicht, was als
neues Schlüsselziel der Bildungspolitik gilt.
Unsere Schülerinnen und Schüler sollen konsequent darauf getrimmt werden, sich
in der kommenden digitalen Gesellschaft zu behaupten. Computer und Roboter,
heisst es, würden viele Berufe mit angeblich tiefen intellektuellen
Anforderungen überflüssig machen. Wer den Kopf nicht trainiert, und zwar von
Kindsbeinen an, dem droht die Langzeitarbeitslosigkeit. Wo heute noch
Handarbeit gefragt ist, genügt morgen schon ein 3-D-Drucker. Gewinner ist dann,
wer den Drucker richtig programmiert. Wer sich nur aufs Handwerk versteht, wird
zu den Verlierern gehören.
Glorifizierung der Start-up-Kultur
Dazu kommt die Glorifizierung der digitalen Start-up-Kultur. Ein frisch
lanciertes ETH-Spinoff mit einer vielversprechenden App und einer Handvoll
Physikern und Programmierern stösst garantiert auf mehr Interesse als eine
Zimmerei, die seit Jahrzehnten präzise und pünktlich arbeitet und ihren
Mitarbeitern regelmässig einen rechten Lohn zahlt. Für die spezifischen
Probleme von Start-ups im Steuerrecht findet die Politik erstaunlich schnell
eine Lösung. Das übrige Gewerbe wartet ewig auf schlankere
Bewilligungsverfahren.
Und bei allen Nibelungenschwüren der Politiker auf das «duale
Bildungssystem» (das die Berufslehre ebenbürtig neben die Hochschulausbildung
stellt): Zunehmend schleicht sich die Akademisierung von allem und jedem ein.
Schon als Hausabwart kann – und muss man vielleicht bald – den Bachelor in
Facility Management machen.
Als zukunftsweisend gilt heute, sich am Silicon Valley zu orientieren.
Da entstehen die jungen, frechen Technologiefirmen, die hierzulande den
altbewährten KMU das Leben schwer machen: Uber dem Taxigewerbe, Airbnb den
Hoteliers, Google und Facebook der Werbewirtschaft und den Zeitungen.
Sicher ist es richtig, mit der Digitalisierung zu rechnen und sich dafür
zu rüsten. Die Schweiz hat durchaus das Potenzial, in der digitalen Ökonomie
mehr Firmen und Arbeitgeber hervorzubringen. Die Voraussetzungen für die
nächsten Googles, Facebooks und Ubers sind am Zürich- oder Genfersee nicht
grundsätzlich schlechter als im Silicon Valley. Wer aber überbordet und die
Schule einseitig auf die «neuen Realitäten» einer digitalen Zukunft ausrichten
will, macht einen unverzeihlichen Denkfehler.
Auch Handwerker sind helle Köpfe
Auch Handwerksberufe brauchen helle Köpfe. Ein Maler, zum Beispiel, muss
als Vorarbeiter nicht nur die Spritzpistole flink bedienen können. Er muss
komplizierte Arbeitsabläufe planen, diese Planung seinen Mitarbeitern plausibel
machen – und dann doch wieder improvisieren können. Er muss seine Kundinnen und
Kunden verstehen, auf sie eingehen und aus ihren Wünschen heraushören, was sie
wirklich wollen. Er muss auch exakt rechnen können, die Arbeitseinsätze auf
Effizienz trimmen. Und er hat die Chance, sein eigenes Start-up zu gründen.
Wohnungswände sauber zu streichen – und dabei nicht irrtümlich Steckdosen zu
übermalen –, ist als Geschäftsidee mindestens genauso vielversprechend wie noch
eine neue App.
Sicher sollen unsere Kinder in den Schulen und Hochschulen ihr Potenzial
voll ausschöpfen können. Falsch aber wäre es, das Potenzial zu unterschätzen,
das in den vielen nicht digitalen Berufen liegt. Diesen Fehler sollten
Lehrerinnen und Lehrer vermeiden, vor allem aber auch die Eltern. Ohne
exzellente Bauzeichner, Maurer und Elektriker muss die digitale Wirtschaft in
windschiefen Büros um den Strom in ihren Computern zittern. Ohne
Pflegepersonal, das sowohl die Patienten als auch die Professoren versteht,
funktioniert kein Spital.
Wenn ihr das denn schon wollt, sollte es in der Schule heissen, werdet
Maler! Oder Schreiner, Gerüstbauer, Glaser. Die digitale Zukunft wird euch
brauchen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen