Nur noch eine Fremdsprache an der
Primarschule? Und wenn ja, welche? Am 21. Mai entscheiden die Stimmberechtigten
des Kantons Zürich über die Fremdspracheninitiative. Im Streitgespräch zur
Abstimmung äussern sich Bildungsdirektorin Silvia Steiner und
Lehrerverbandspräsidentin Lilo Lätzsch.
EDK-Präsidentin Steiner (links) diskutiert mit ZLV-Präsidentin Lätzsch, Bild: Severin Bigler
Bildungsdirektorin Steiner: "Fremdspracheninitiative wäre riesige Reform", Limmattaler Zeitung, 15.4.
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Wann soll der Fremdsprachenunterricht anfangen –
und mit welcher Intensität?
Lilo Lätzsch: Das jetzige Setting,
dass man neu in der 3. Klasse mit der ersten und in der 5. Klasse mit der
zweiten Fremdsprache anfängt, ist nicht zielführend. Eine Studie aus der
Zentralschweiz besagt, dass nur 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler die
meisten Kompetenzziele erreichen. Das ist ernüchternd. Ebenso ernüchternd ist,
dass man mit 19 Lektionen Englisch, verteilt über sieben Jahre, fast das
Gleiche lernt wie mit 9 Lektionen, verteilt über drei Jahre, wie eine Studie zu
den Kantonen Aargau und Solothurn belegt. Der Aufwand, den man in der
Primarschule betreibt, zahlt sich also in der Sekundarstufe nicht aus.
Silvia Steiner: Das
sehe ich anders. Für mich belegen die Studien: Je mehr Stunden und je besser
die Qualität im Fremdsprachenunterricht, desto besser der Erfolg. Ich habe das
Gefühl, dass die Initianten ungeduldig sind und nicht akzeptieren, dass wir
punkto Lehrerausbildung und Lehrmittel viele Massnahmen eingeleitet haben, die
erst jetzt Wirkung zeigen. Der zweite Punkt ist, dass Kinder, wenn sie jünger
sind, sehr spielerisch an die Sprache herangehen. Pubertäre Schülerinnen und
Schüler haben mehr Hemmungen, sich auszudrücken und zu reden. Das ist der
grosse Vorteil am frühen Sprachenlernen.
Das ist
die Theorie. Wie sieht es in der Praxis aus, Frau Lätzsch?
Lätzsch: Vorweg noch ein
Detail: Im Komitee gegen die Fremdspracheninitiative habe ich keine einzige
Lehrperson gefunden. Im Initiativkomitee hingegen sind sehr viele Lehrpersonen.
Im Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband ergab eine Umfrage, dass drei Viertel
der Lehrpersonen finden, der Aufwand für zwei Fremdsprachen an der Primarschule
stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag. Ich bin sehr dafür, dass man spielerisch
lernt. Nur: Die Rahmenbedingungen sind nicht darauf angelegt. Der
Fremdsprachenunterricht findet in grossen Klassen statt. Ursprünglich hiess es,
er würde in kleineren Klassen stattfinden. Und: Wir müssen Noten geben, obwohl
wir das klar nicht wollten. So ist der spielerische Effekt verschwunden.
Warum gibt es im Kanton Zürich nach immerhin 13 Jahren
bis jetzt keine Studie zu den Resultaten des schulischen Fremdsprachenkonzepts?
Steiner: Das aktuelle System
mit den jetzigen Lehrmitteln und Lehrerausbildungen haben noch nicht alle
Kinder gleichermassen durchlaufen. Also lassen sich die Resultate noch nicht
messen und vergleichen.
Lätzsch: Man hätte, als die
ersten Kinder die sechste Klasse erreichten, durchaus schauen können, wie es
den Kindern, den Eltern und Lehrern dabei geht – und was man verbessern könnte.
Leider ist das nicht passiert.
Steiner: Die Rückmeldungen aus
dem Schulfeld zeigen: Die Massnahmen greifen. Tests am Ende der obligatorischen
Schulzeit zeigen, dass die Kinder heute besser abschneiden als noch vor wenigen
Jahren.
Trotzdem: Sollte man in der Primarschule nicht vor allem
darauf achten, dass die Kinder richtig gut Deutsch und Mathematik lernen, statt
Lektionen für den Unterricht von zwei Fremdsprachen zu verwenden?
Steiner: In den Stundentafeln
haben wir 33 Prozent für Bewegungs- und Gestaltungsfächer, 20 Prozent Deutsch
und 9 Prozent Fremdsprachen sowie 19 Prozent Mathe. Das zeigt: Die Idee eines
Unterrichts mit Kopf, Herz und Hand wird in der Primarschule umgesetzt, und der
Sprachunterricht nimmt nicht Überhand, wobei Deutsch klar Priorität hat. Auch
wenn wir den Fremdsprachenunterricht in der dritten Klasse streichen und in die
Oberstufe verlegen würden, wären wir in einem Dilemma: Zulasten von was soll
der Fremdsprachenunterricht in der Oberstufe eingeführt werden?
Lätzsch: Ich könnte mir
vorstellen, das man etwa im Bereich Geometrie, der zur Mathematik zählt, in der
Oberstufe Abstriche machen könnte. Zumal jetzt noch der Bereich Natur und
Technik aufgebaut worden ist.
Eine
Annahme der Fremdspracheninitiative würde die mit dem Lehrplan 21 angestrebte
Vereinheitlichung der Schulsysteme in den verschiedenen Kantonen aufbrechen.
Ein Problem?
Lätzsch: Gerade im Bereich
Fremdsprachen haben wir heute einen Flickenteppich. Viele Kantone halten sich
nicht an das Harmonisierungsziel. Da braucht es noch Anstrengungen. Wir sind
überhaupt noch nicht am Ziel.
Steiner: Dem muss ich
widersprechen. Wir haben in der Sprachenfrage eine Art historischen Kompromiss
getroffen: Man hat sich darauf geeinigt, dass zwei Fremdsprachen in der Primarschule
unterrichtet werden, darunter eine zweite Landessprache. Dieser
Sprachenkompromiss wird eigentlich überall umgesetzt, auch in Kantonen, die
nicht bei Harmos sind. Und bisher wurden alle Volksinitiativen bezüglich
Harmos-Konkordat oder Lehrplan 21 vom Volk abgeschmettert.
Welche
Fremdsprache braucht es weiterhin in der Primarschule, wenn das Volk die
Initiative der Lehrerverbände am 21. Mai annimmt?
Lätzsch: Das Initiativkomitee
lässt diese Frage bewusst offen, weil wir eine Harmonisierung in der
Deutschschweiz wollen. Konkret würde das der Regierungsrat festlegen, und der
hat sich ja bereits entschieden. Meine persönliche Meinung ist: Wir haben ein
Problem mit Französisch. Es stösst auf wenig Gegenliebe.
Der Regierungsrat sagt: Frühfranzösisch bleibt.
Steiner: Bundesrat Berset hat
klar gesagt: Wenn der Sprachenkompromiss, der dem verfassungsmässigen
Harmonisierungsauftrag entspricht, nicht umgesetzt wird, reagiert der Bund mit
einem Sprachengesetz. Und er wird das Lernen einer zweiten Landessprache auf
Primarstufe für obligatorisch erklären. Das heisst: Wir müssten Englisch
streichen und Französisch auf der Primarstufe unterrichten. Da hat der
Regierungsrat nicht viel Handlungsspielraum.
Lätzsch: Englisch würde nicht
weggestrichen, sondern wir hätten nach wie vor das Ziel, dass am Ende der
obligatorischen Schulzeit mindestens die Kompetenzen von heute erreicht würden.
Bildung ist immer noch Kantonssache. Ist der Kanton
Zürich dem Bund in der Sprachenfrage machtlos ausgeliefert?
Steiner: Als Präsidentin der
Erziehungsdirektorenkonferenz habe ich mit dem Bundesrat das Gespräch gesucht.
Herr Berset sieht, dass die Kantone viel unternehmen, um die Harmonisierung im
Sprachenunterricht zu vollziehen. Nachdem sich auch im Thurgau die Situation
entschärft hat, liess er sich davon überzeugen, dass jetzt der falsche
Zeitpunkt ist, um mit einem Sprachengesetz die Autonomie der Kantone zu
übersteuern. Aber er hat deutlich gesagt, dass er das machen würde, wenn wir
vom Harmonisierungsweg abkämen. Natürlich könnten wir sagen: Jetzt probieren
wir es mal nur mit Englisch auf der Primarstufe und schauen, was der Bund
macht. Aber das wäre nicht sehr vorausschauend. Nach all den Reformen muss
jetzt etwas Ruhe ins Schulsystem einkehren. Die Fremdspracheninitiative wäre
eine riesige Reform. Wir müssten die ganze Stundentafel umwerfen und die ganzen
neun Schuljahre neu konzipieren, ebenso die Lehrerausbildung und Lehrmittel.
Das kostet nicht nur viel Geld, sondern auch viel Energie von den Lehrpersonen.
Das will ich ihnen ersparen.
Ist es das wert, Frau Lätzsch?
Lätzsch: Wir wollen, dass die
Schülerinnen und Schüler am Ende der obligatorischen Schulzeit die definierten
Fremdsprachen-Kompetenzen haben. Und sie sollen dies mit Freude und Engagement
erreichen. Deshalb ist es das wert, ja.
In der Sprachenfrage ist oft vom nationalen Zusammenhalt
die Rede. Deshalb sei auch eine zweite Landessprache in der Primarschule nötig.
Ist das noch zeitgemäss angesichts der Globalisierung?
Steiner: Ja, schauen Sie doch
mal Stelleninserate an: Praktisch überall werden ein bis zwei Fremdsprachen
verlangt, Englisch und Französisch.
Muss es Französisch sein?
Lätzsch: Der Gewerbeverband hat
einmal recherchiert, dass man zwölf Prozent mehr verdient, wenn man Französisch
kann und das im Job gefragt ist. Ich denke, Französisch ist sehr gefragt, und
Englisch ist noch gefragter.
Angenommen, das Zürcher Stimmvolk sagt im Mai ja zur
Fremdspracheninitiative: Müsste man dann überdenken, ob es Französisch
unbedingt an der Primarschule braucht – oder doch eher die Weltsprache
Englisch?
Steiner: Aufgrund unserer
Verfassung hätten wir gar keine Wahl: Das hiesse, wir hätten in der
Primarschule kein Englisch mehr. Und wir wissen: Wir Zürcher sind sehr
anglophil. Ich bin überzeugt, dass unsere Kinder die Freude an der Sprache ganz
früh vermittelt bekommen müssen. Wir als Erwachsene dürfen einfach nicht immer
die gleichen Ansprüche an die Jungen stellen, wie wir sie an uns selber
stellen. Wirklich gut lernen wird man eine Fremdsprache erst nach der
Schulzeit, wenn man sich im entsprechenden Sprachgebiet aufhält oder im
beruflichen Umfeld damit konfrontiert wird.
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