Die Deutschschweiz
streitet über den Französisch-Unterricht. Umstritten war der schon immer.
Einfach aus anderen Gründen. Ein Blick zurück.
Französisch macht dumm! bz Basel, 6.8. von Benno Tuchschmid
Zweisprachigkeit ist gefährlich. Verursacht
Linkshändigkeit. Macht dumm. Und kann sogar zu Silberblick führen. Das bestätigten
1928 sämtliche Studien und Praxisberichte einer Fachkonferenz des Bureau
International d’Education in Genf.
Heute, 90 Jahre später, droht wieder Schaden durch
Frühfranzösisch. Dieses Mal ist nicht nur die Jugend in Gefahr, sondern gleich
das ganze Land. Ostschweizer Kantone sehen den Föderalismus gefährdet.
Westschweizer Politiker fürchten eine «deutsche Monokultur». Die Tonlage ist
schrill. Grund ist eine Sprachrebellion in der Deutschschweiz. Seit 2004 gibt
eine gemeinsame Bildungs-Strategie den Kantonen eigentlich vor, dass ab der 5.
Primarklasse eine zweite Fremdsprache gelehrt werden muss.
UMFRAGE
Doch mehrere Kantone, darunter der Aargau, haben
diese nie umgesetzt. Der Thurgau will Frühfranzösisch abschaffen. Die
Begründungen der abtrünnigen Kantone sind vielfältig. Aus pädagogischen
Gründen, sagen die einen. Um die Kinder nicht zu überfordern. Und weil ihnen
Englisch im Leben mehr bringt, die anderen. Vor einem Monat erreichte der
Streit einen vorläufigen Höhepunkt: Bildungsminister Alain Berset drohte den
kantonalen Sprachrebellen mit der Durchsetzung von Frühfranzösisch durch den
Bund. Gestern legte Berset im «Tages-Anzeiger» nach und warnte vor belgischen
Verhältnissen in der Schweiz: «Dann wird das Zusammenleben schwierig.» Es geht
also scheinbar im Streit um die ganz grossen Werte: das Wohl der Kinder, den
Zusammenhalt des Landes. Die Schweiz.
Die
wissenschaftlichen Fakten zur Frage, wie Kinder am besten eine neue Sprache
lernen, sind eigentlich klar. Und haben wenig mit den umstrittenen Fragen des
Sprachenstreits zu tun. Die Linguistin Simone Pfenninger hat an der Universität
Zürich mit einer aufsehenerregenden Studie über den Erfolg von Frühenglisch
habilitiert. Sie sagt: «Es geht nicht um die Frage wann, sondern wie.» Und so
wie es an den Schweizer Schulen jetzt läuft, kommt es eigentlich gar nicht
drauf an, wann die Schüler mit einer Sprache beginnen. «Wichtig sind Lehrer,
die Intensität und die Grössen der Klassen. Das Alter ist für das Erlernen der
Sprache dagegen eher eine schwache Variable.» Doch im Sprachenstreit geht es
fast nur um das Wann und fast nie um das Wie. Eine nüchterne Diskussion scheint
unmöglich, weil die Mehrsprachigkeit heute ein nationales Heiligtum wie Wilhelm
Tell, Käse oder die Alpen ist. Allerdings ein junges. Zwar versuchten schon
Napoleon und die Helvetische Republik die Viersprachigkeit 1798 im helvetischen
Bildungssystem zu verankern. Der helvetische Minister Philipp Albert Stapfer
war der erste glühende Vertreter des Frühfranzösisch. In seinen Plänen für ein
nationales Schulsystem war eine zweite Landessprache in der ersten
Primarschulklasse vorgesehen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Der helvetische
Zentralstaat überlebte ganze fünf Jahre. Französisch in der Primarstufe
verschwand für über 100 Jahre in den Schubladen der Bildungspolitiker.
Französisch, das Mandarindes 19. Jahrhunderts
Französischunterricht
war in der Deutschschweiz lange den Kindern der Eliten vorbehalten. Diese
schickten ihre Söhne und Töchter schon im 18. und 19. Jahrhundert ins
Welschland und nach Frankreich, um die damalige Weltsprache zu erlernen. Aber
nicht für den nationalen Zusammenhalt. Sondern für die Karriere. Französisch
war, was heute Mandarin ist: Die Sprache, die der künftigen Generation die
Türen zum wirtschaftlichen Erfolg öffnen sollte. Eine Prestigesache. Die
Bildungshistorikerin Anja Giudici forscht zum Thema Landessprachen an der
Universität Zürich. Sie sagt: «Während der Restauration und im modernen
Bundesstaat wurde in der Deutschschweiz zunächst fast nur aus wirtschaftlicher
Sicht über Französischunterricht diskutiert. Allen Schülerinnen und Schülern
zugänglich war er nur in jenen Kantonen, in denen die Sprache im Handel genutzt
werden konnte.» So setzte der Kanton Basel-Stadt als an Frankreich grenzende
Handelsstadt schon im 19. Jahrhundert auf obligatorischen
Französischunterricht. In fast allen anderen Kantonen aber verschwanden mit der
Verstaatlichung der Volksschule die Fremdsprachen aus den obligatorisch
erklärten Schultypen.
In
den Kantonen herrschte damals gar ein gegenteiliger Trend, der in allen jungen
Nationalstaaten Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitet war: die Überhöhung der
eigenen Sprache. «Jede Schule, wo eine fremde lebende Sprache schulplanig
gelehrt wird und als wichtiges Bildungsmittel gilt, legt dem Volksthume einen
Hinterhalt zum Überfalle für den Feind», schrieb der deutsche Philologe Hugo
Weber. Dass das Erlernen mehrerer Sprachen der Identität der Kinder schade, war
auch hierzulande eine populäre Haltung, sagt Bildungshistorikerin Giudici:
«Sprachnationalismus war auch in der Schweiz verbreitet, einfach auf der Ebene
der Kantone bzw. der Sprachregionen.»
Französischunterricht für 90 Prozent unserer Jugend
unmöglich
Die
Viersprachigkeit war also in der jungen Schweiz eine Randnotiz und kein
nationales Symbol. Der Erste Weltkrieg änderte alles. Im grossen Krieg begannen
Zentrifugalkräfte auf die Schweiz einzuwirken, die das Land zu zerreissen
drohten. Die Romandie wandte sich Frankreich zu, viele in der Deutschschweiz
dem Deutschen Reich. Plötzlich entdeckte die Politik auf der verzweifelten
Suche nach einender Symbolik im vielfältigen Bundesstaat die Viersprachigkeit
als Alleinstellungsmerkmal der Schweiz. «Eine nationalpolitische Bedeutung hat
der Fremdsprachenunterricht erst seit dem 1. Weltkrieg», sagt Giudici. Der
Sprachunterricht wurde zum Politikum. Es kam die Forderung auf, Kenntnisse in
allen drei Landessprachen für die Matur zur Pflicht zu erklären. Dem Pöbel in
der Volksschule sollten weiterhin bloss Tell und Winkelried als nationale
Identifikationsfiguren gelten. Der Philologe August Rüegg hielt stellvertretend
fest, die Beherrschung von zwei Sprachen für «90 Prozent unserer Jugend selbst
bei den raffiniertesten Unterrichtsmethoden für unmöglich».
Erst
in den 70er-Jahren kam der Franz-Unterricht dann in die tieferen Stufen. Heute
eine Selbstverständlichkeit. Gemäss der Volksbefragung «Point de Suisse» gaben
38,9 Prozent an, dass die Landessprachen stark gefördert werden müssen. Aus
wissenschaftlicher Sicht wäre eigentlich klar, wie. Kleine Klassen, Unterricht
naturwissenschaftlicher Fächer in einer anderen Landessprache, Intensiv-Unterricht.
Nur, das kostet Geld. Mehr jedenfalls, als die Frage ab wann ein
Deutschschweizer Kind zwei Wochenstunden Französischunterricht erhalten soll.
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