3. Mai 2016

Es dämmert nach überall – am meisten aber beim einfachen Volk

Die Debatte um den Lehrplan21 ist in vollem Gange. In der Zeitunglandschaft finden sich die kritischen Kommentare oft in den Leserbriefrubriken, während den Befürwortern viel Raum für ihre Berichte und Gastkommentare durch die Redaktionen zugebilligt wird. Ausnahme bildet die Basler Zeitung.
Es dämmert nach überall - am meisten aber beim einfachen Volk, von Markus Niederdorfer, 3.5.

Am 19. April stand ein Gastkommentar des renommierten Prof. Dr. Rolf Arnold in der NZZ. Er kritisierte darin das Bildungsverständnis von Türcke und Liessmann, welche vor den verherenden Folgen  für die Schule und Gesellschaft warnen, wenn die Bildung von einer  "input zu  einer output-gesteuerten" Organisation umgebaut wird. Das Herz dieser neuen Bildung ist der Konstrukitivismus, oder auf neudeutsch das selbstorganisierte Lernen (SOL). Die Bildungsinhalte sind sekundär, da auf dem Weg zum Kompetenzzuwachs der Prozess des Individuums im Zentrum steht. Es geht nicht um Inhalte zu lernen, da diese, auf Grund der vielen Ablenkungen und der grossen Konkurrenz durch die Massenmedien, nur eine Kurzlebigkeit im Gedächtnis des Menschen haben. Deshalb muss das Kind schon möglichst früh lernen, sich gute Wege zu merken, wie schnell und effizient der Herausfordrung des Alltags, oder besser gesagt des Momentes, begegnet werden muss, um Erfolg zu haben.

In den USA wird schon seit Jahren nach diesem Prinzip unterrichtet, und die Schüler und Schulen getestet. Auf Grund der Scores erhalten die Schüler die Möglichkeit in eine Schule mit besserem Rating zu wechseln. Schulen, welche bei den Ratings tiefere Resultate erzielen, werden die finanziellen Mittel gekürzt, was zur Folge hat, dass das Bildungsangebot runtergefahren werden muss. Das ganze Programm trägt den zynischen Namen NoChildLeft Behind(NCLF) und wurde unter Präsident George Bush eingeführt. Dazu gehören auch ständige Tests. Diese sind output orientiert, das heist, nur die Punktzahl zählt. Die Tests sind im MulipleChoice design, was zur Folge hat, dass in Nachhilfestunden oder Schulzimmern die Schüler nur noch auf die Tests vorbereitet werden, denn diese Systeme folgen einer bestimmten Logik. Wer Erfolg haben will, muss diese kennen und sich darin üben. Die Folgen sind dramatisch. Diane Ravitch, welche dieses Programm unter Präsiden Bush als Demokratin und anerkannte Bildungsexpertin im guten Glauben mitentwickelt hatte, ist längst desillusioniert und unterstützt die staatlichen Lehrpersonen, im Change zurück zur normalen Schule. Das Experiment ist gescheitert. Profitiert haben die Verlage, und regierungsnahen Organisationen, welche die Evaluationen, Testsysteme, Weiterbildungen und das Controlling bewirtschaften, nicht aber die Lehrperson oder das Kind im Unterricht. Dies ist ihr Fazit.



Aus Weiterbildungsangebot für Schulleitungen
Emotionale Führung
Veränderung durch Selbstveränderung
Lernen ist Veränderung. Deshalb ist Lernen auch ohne eine persönliche Standortbestimmung und ohne Mut, sich auch selbst ehrlich zu evaluieren,  möglich. Dies gilt für das Lernen in Schulen ebenso, wie für diejenigen, die diese Schulen leiten und gestalten. In diesem Impuls soll der Trend zur „Führung durch Persönlichkeit“ konkret und praxisbezogen erläutert und erfahren werden. Im Vordergrund stehen dabei die Überlegungen:

• Führungskräfte müssen heute durch die Entwicklung ihrer Teams und eine Begeisterung für die Arbeit und Zielerreichung überzeugen können.
• Eine moderne Führungskraft ist nicht nur fachlich up to date, sondern in ihrer Persönlichkeit offen, selbstreflektiert und zur emotional resonanten Führung in der Lage.
• Sie denkt mehr von ihren Wirkungen her als von ihren eigenen Stärken. Sie verfügt über eine systemische Haltung und kann ihre Interventionen dosiert und flexibel einsetzen.

Diese Sätze stammen von Prof. Dr. Rolf Arnold, Lehrstuhl für Pädagogik und Beirat im Carl Auer Verlag.

Eigentlich ist damit schon alles gesagt. Die Schule ist schon heute ein Ort, wo Lernen nach den oben erwähnten Prämissen stattfindet. Die Schweizer Bildung schaut auf eine lange Tradition der freien Gestaltung des Unterrichtes unter Einbezug der passendsten Methode. Pestalozzi und der gesunde Menschenverstand lassen grüssen.  Lehrpläne und Lehrmittel gaben die grobe Richtung an. Wenn die Lehrperson sich entscheiden musste, hielt sie sich an die Vorgaben der Lehrpläne und passte die Unterrichtsinhalte und Lehrmittel den Möglichkeiten der Schüler an. In den ersten Jahren der Lernbiographie eines Kindes, steht das Nachahmen im Zentrum. Kinder wollen gleich gut sein, wie die Lehrperson. Diese führt geschickt die Klasse und weiss, wie sie die Unterrichtmomente gestaltet, so dass ein Gefühl von Vertrauen zum Lerninhalt und zur Klasse entsteht.  Bei beginnender Adoleszenz sind oft andere Fragen, als die Kompetenzstufen, zu klären. Der erfahrene Pädagoge weiss, dass nicht alle Schüler gleichzeitig in dieser Entwicklungsphase stecken und findet den nötigen Raum und die nötige Zeit, um dem einzelnen Jugendlichen angemessen zu begegnen und durch dieses Wellental zu führen und eine gute Anschlussslösung  - meistens eine Lehre - zu finden.  Professor Arnold spricht von Führen durch Persönlichkeit, Selbstreflexion aller Beteiligten stärken, systemische Zusammenhänge kennen und von Konstruktivismus, oder selbstgesteuertem Lernen als Chance. Seine Heimat ist die Erwachsenenbildung, Studiengänge und die berufliche – oder betrieblich Weiterbildung in Unternehmen, Organisationen und Verwaltungen. Seine Clientel sind Erwachsene. Das Unterrichten von Schülern der Volkkschule gehört nicht in zu seine Grundkompetenzen. Als wissenschaftlicher Beitrat im Carl Auer Verlag, befasst er sich auch mit Changemanagement-Modellen, wie dem Foresight.  

Beim sog. Forecast werden die Beobachtungen und Erkenntnisse der Vergangenheit und Gegenwart unter Nutzung verschiedenster Studien in die nächsten Jahrzehnte extrapoliert. Auf der Basis dieses Wissens entwickeln Experten Zukunftsbilder über erwartbare Entwicklungsmuster. In diesem Sinne explorieren sie mit ihrer Expertise in einem Forecast-Prozess aus den Erfahrungen und dem Wissen der Gegenwart heraus alternative Zukunftsbilder. Im Unterschied zu diesem expertenbasierten explorativ-beschreibendem Ansatz des Forecast setzt der konstruktivistische Foresight- Zugang als »partizipativer Foresight« auf einen gemeinsamen Entwicklungsprozess aller StakeholderlderFazit: Mit Foresight bezeichnen wir die Anwendung unterschiedlichster zukunftsorientierter Methoden in einem partizipativen, strategischen Prozess. Ziel des Foresight ist die Unterstützung langfristig ausgerichteter Entscheidungen von Organisationen aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Im Fokus stehen dabei vor allem Entscheidungen mit starken Auswirkungen auf ökonomische, ökologische und soziale Faktoren und Entwicklungspfade unserer Organisationen und Gesellschaften...


Professors Arnolds Nähe zum Bertelsmann lässt sich mit ein paar wenigen Suchbegriffen auf Google erschliessen. Der Lehrplan21 entspricht in etwa dem, was unter Fazit geschrieben steht.  Nachdem ich das Buch gelesen hatte, fand ich die verschiedenen Stakeholders (Beteiligtengruppen). Die Experten, welche die Lösung auf wissenschaftlichem Terrain vorbereiteten, die nötige grossräumige Evaluation (PISA 2000), die bestätigt, dass der Wissensstand der Schüler sehr niedrig sei. Die geschürte politische Unsicherheit (Fukushima-Effekt), und ein neu kreiertes Vokabular, um den Reformprozess anzustossen. Es geht ja darum, Marktfelder zu erschliessen, welche in mittelbarer Zukunft von grossem wirtschaftlichen Nutzen, oder vielleicht nach New Publicmanagement-Sprache zu Einsparungen bei der öffentlichen Hand führen, in dem Balast ebgeworfen und Outsourcing betrieben wird. Diese Konzepte sind mittlerweile bekannt. Es ist auch bekannt, dass sich praktisch kein Spareffekt aus solchen Umstrukturierungen erzielen liess, wenn nicht drastisch Stellen abgebaut werden. Obwohl im Buch steht, dass TopDown-Konzepte schwierig seien umzusetzen und anstelle BottomUp -Wege zum Ziel führen, wird genau dies seit Jahren mit allen Mitteln verhindert.  Deshalb gehe ich davon aus, dass die BottomUp Phase mit der Umschulung der Lehrpersonen zu kompetenzorientiertem Unterricht und der Einführungen der unbrauchbaren obligatorischen Lehrmittel gemeint ist. Man kann Professor Arnold verzeihen, denn er kennt das schweizerische, föderalistische Staatsgebilde mit den Rechten und Pflichten des Schweizer Volkes zu wenig. Denn sonst müsste er alle Bildungspolitiker dazu auffordern, mit den Leuten über die Schule zu sprechen, deren Meinungen als Stakeholder Gruppe-notabene auch als Gläubiger der Bildung zu sehen- ernst zu nehmen und gemeinsam den Weg zu gehen.  Leider wurde das Schweizer Volk in letzter Zeit immer wieder mit der Aussage von Sachzwängen, internationalen Verträgen… um die Möglichkeit der Willens-Durchsetzung durch die Regierung geprellt.  Beim Lehrplan21 sollte das nicht wieder geschehen. In diesem Sinne muss eine BottomUp -Diskussion in der Öffentlichkeit durch mithilfe aller Medien angestossen werden. Nur diese Form ist einer demokratischen Gesellschaft würdig, denn diese soll auf Grund ihrer gemachten emotionalen Erfahrung, die Möglichkeit erhalten aktiv bei Veränderungen mitzugestalten.  Eine kleine Frage noch zum Schluss. Professor Arnold spricht von dem Kompetenzbegriff (EQR) und Bildungsstandards.  Die Überprüfung der Wissensstände in den europäischen Schulzimmern -auch in der Schweiz- hat oberste Priorität. Die Schule nach Lehrplan21 ist eine output-orientiere genormte Organisationsform. Der Konstruktivismus, führt nach Aussage Arnolds nicht zu einem überprüfbaren Wissenszuwachs, da der Lernprozess als solcher schon als Kompetenzerwerb gesehen wird und der Mensch später Entscheidungen treffen kann, die weit zurück in seine Zeit des selbstorganisierten Lernens zurückgreifen könnten, aber damals einfach nicht gemessen werden konnten. (Siehe seine Beiträge zu Konstruktivismus.


In diesem Punkt gebe ich Professor Arnold recht. Doch er müsste sich mal mit den Kollegen von der Bertelmann Stiftung treffen und nachfragen, wie diese elektronischen Testingverfahren aufgebaut sind, denn die Outputs müssen ja besser werden, als sie heute scheinen. Natürlich freue ich mich auf eine Antwort. Da könnte auch etwas über das Programm "nochildleftbehind" aus den USA oder das deutsche Generika aus der Bertelmann Küche "KeinKindZurücklassen" stehen.

Der Versuch der Heterogänität der Schulkinder durch das Aufbrechen der Unterrichtsformen in selbstorgnisiertem Lernen und altersdurschmischten Gruppen ist in den USA kläglich gescheitert.  Es gibt grosse Zweifel anzunehmen, dass es bei uns funktionieren wird. Die ersten Resultate aus den Gemeinschaftschtschulen stimmen nicht zuversichtlich. Auch was die Dozenten der Faschhochschulen zu der Lehrmittelsituation schreiben, tönt äusserst beorgniserregend.

Zitat: Prof.  Jürgen Oelkers, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich vom 27. April 2016

"Aber ich gebe zu, Lehrmittel zu entwickeln ist mühsam und braucht erhebliche staatliche Ressourcen. Wenn die fehlen, hat man Situationen wie in den Vereingten Staaten. Die Profiterwartung der Verlage definiert die Qualität.
Ein besonderes Problem besteht darin, dass für die Leistungen schwacher Schülerinnen und Schüler keine brauchbaren Lehrmittel existieren. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen dann selber schauen, wie sie die vorhandenen Lehrmittel auf diese Gruppe hin aurichten können.

Der Lehrplan 21 setzt, anders als Sie schreiben, keine Lehrmittel voraus. Vielmehr geht die Erwartung dahin, neue Lehrmittel zu entwickeln, die lehrplankompatibel sind. Auch das ist leichter gesagt als getan. Ein wahrer Horror wären Lehrmittel, die einfach nur auf Kompetenzstufen ausgerichtet sind. Aber diese Frage entscheidet sich erst in den nächsten 5-10 Jahren.“

Mit anderen Worten heisst das, dass die Lehrmittel, welche in den verschiedensten Verlagen (kantonale oder private) als Lehrplan21 kompatibel angepriesen werden, den Ansprüchen der Didaktik -und Pädagigexperten nicht genügen.  Und trotz dieses Wissen, kaufen die Kantone "auf Teufel komm raus" diese neuen Lehrmittel, welche nur zu Frust und Ärger im Schulalltag der Kinder, Eltern und Lehrpersonen führen. Zum obigen Zitat passt auch die Aussage eines Didaktikers an der PH in Chur. Er meinte, dass das Mathematik1-3 des ZLM absolut ungeeignet für die Oberstufe sei. 

Wenn ich dies zusammenfassen müsste, dann würde ich den Lehplan21 geren mint dem Flughafen Berlin vergleichen. Dabei handelt sich um ein Infrastrukturprojket, welches zusammen Bundesländerübergreifend hätte realisiert werden sollen. Nach mehrjähriger Bauzeit startet noch kein Flieger. Es wurden zwar Busse gekauft, um die Leute zum Flughafen zu fahren, aber jemand hat vergessen, dass es dazu auch eine Strasse braucht. 
Es gibt keinen Grund, unsere sichere Schule zu verlassen und in eine Grussbaustelle zu wechseln. Da sind schon zuviele Player, Experten und Politiker unterwegs. Es dämmert nach vorne - oder Foresight-Konzepte verstehen -  hat jetzt für mich eine neue Bedeutung.  Deshalb wähle ich den Titel "Es dämmert jetzt überall – am meisten aber beim einfachen Volk."

Dieses kann im Kanton Graubünden die Doppelinitiative unterstützen und dann mitdikutieren.








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