4. Mai 2016

Autokratischer Beschluss der Schulleitung

Auf das neue Schulsemester im August 2016 will die Leitung der Sekundarschule Aesch den Stundenplan komplett umstellen – als erste Sekundarschule im Baselbiet. Der Unterrichts­beginn soll von 7.30 Uhr auf 8.20 Uhr verschoben werden – eine Schulstunde später. Dafür gibt es keine freien Nachmittage mehr für die Schüler.
Sek wird zur "20-ab-achti-Schule", Basler Zeitung, 4.5. von Daniel Wahl

An dieser gross angelegten Stundenplanänderung haben die drei ­Schulleiter Carol Rietsch, Beatrice Hauck und Anna Iten seit rund drei Jahren gehirnt. Immer wieder hätten sie festgestellt, dass Stundenpläne mit neun Lektionen am Tag ungünstig seien. «Das war Auslöser, die Pläne zu überdenken. Ihren Entscheid stützen sie ferner auf die Ergebnisse chronobiologischer Studien. «Bei Schülern in der Pubertät kommt es zu hormonell gesteuerten Schlafverzögerungen. Abends können sie kaum einschlafen, morgens sind sie in den ersten Schulstunden noch müde», sagt Schulleiter Rietsch. Auf diese Erkenntnisse der Wissenschaft wolle man reagieren. Das führe zu besserem Lernverhalten. Die Morgenmuffel kommen aufgeweckter in die Schule.

Der Entscheid ist am Lehrerkonvent vom 3. März gefallen. Nun würden zwei Mathematiker eingesetzt, um Unterrichtspflichtstunden, Wahlfächer, Belegung von Turnhallen und Musikzimmer bestmöglich aufeinander abzustimmen, ohne dabei Zwischenstunden für Schüler und Lehrer zu verursachen. Danach soll es nochmals zu einem Feinschliff kommen, um restliche Bedenken an der Schule ausräumen zu können.

Für das Ausschlafen am Morgen dürften die Schüler aber einen hohen Preis bezahlen: Es wird keine freien Nachmittage mehr geben. Die Schule dauert in der Regel bis 17 Uhr. Erst danach geht es an die Hausaufgaben, ins Fussballtraining oder in die Klavierstunde. Freifächer werden ausschliesslich auf die dritte und vierte Lektion am Mittwochnachmittag gelegt, was zwangsläufig eine Angebotsreduktion zur Folge hat.
«500 Eltern, 500 Meinungen»
Obschon die Veränderung im Alltag für die Kinder einschneidend sein wird und sich gegebenenfalls auch Eltern am Morgen neu zu organisieren haben, konnten sie am Entscheid nicht mitwirken. Dabei wäre die Schulleitung in der Verordnung für die Sekundarschulen aufgefordert, «für eine altersgemässe Mitwirkung der Schülerinnen und Schüler an wichtigen Entscheidungsprozessen ihrer Schulen» zu sorgen und «die Mitwirkung der Erziehungsberechtigten am Entwicklungsprozess ihrer Schulen zu gewährleisten». Rietsch aber meint, dass dies bei der Stundenplanung nicht möglich sei. «Bei 500 Eltern gibt es auch 500 Meinungen.» Bis heute wurde bis auf den Schulrat niemand über die Pläne informiert.

Die «absolutistischen Pläne der Schulleitung» werden von interner Seite kritisiert. Nicht von ungefähr interessierten sich die Schüler immer zuerst für die freien Nachmittage, erklären Lehrer. Schüler brauchen sie zur Pflege von sozialen Kontakten, für Sport und Musik, aber auch, um gelegentlich Zeit mit sich selbst zu verbringen. Freie Nachmittage würden auch zur Prüfungsvorbereitung oder zum Besuch bezahlter Nachhilfestunden benötigt. Das sei kaum mehr möglich. Die Schulleitung rechnet anders: Die Schüler verbringen nach der Umstellung keine einzige Stunde mehr an der Sekundarschule. Netto bleibe alles beim Alten.

Die Meinungen, ob das Vorhaben sinnvoll ist, gehen diametral auseinander. So befürchten Lehrer, dass es zu noch mehr Absenzen kommen werde, weil vermehrt Schüler eigenverantwortlich aus ihrem Elternhaus starten müssen, während die Eltern bereits an ihrem Arbeitsplatz tätig sind. Schulleiter Rietsch glaubt an umgekehrte Effekte: «Weil die Schüler weniger müde sind, verschlafen sie sich weniger, es kommt zu weniger Verspätungen und Absenzen.» Vordergründig wird ihm die Forschung recht geben. Zwar habe jeder Mensch genetisch bedingt einen anderen Schlafrhythmus, der grob in Frühaufsteher und Nachtmenschen unterschieden wird. Das Schlaf-Wach-Verhalten ändere sich aber ganz grundsätzlich im Laufe des Lebens, wie die Forscherin Myriam Juda («Die biologische Tagesuhr» und «Schlaf im Alter») herausgefunden haben will. «Kinder wachen eher früh auf, bei Jugendlichen verlagert sich das immer weiter nach hinten, mit einem Höhepunkt um das zwanzigste Lebensjahr. Dann geht es wieder rückwärts: Senioren wachen sehr früh auf», sagte sie gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Künftig dickere Schüler?
Andere Studien kommen wiederum zu nachteiligen Ergebnissen. Frühaufsteher bleiben schlank, hat Carol Maher von der Universität South Australia bei der Untersuchung von 2200 Kindern herausgefunden. Grund: Die Abendzeit werde in der Regel recht unsportlich verbracht. Kinder, die am Abend länger aufbleiben, werden auch mehr Nahrung am Abend zu sich nehmen. Ohnehin glauben die Kritiker der Umstellung, der Effekt weniger müder Kinder verpuffe – weil sie noch später ins Bett gingen.


Dereinst werden auch die beiden Kleinkinder von Bildungspolitikerin Sabrina Corvini Mohn – sie wohnt in Pfeffingen – in die Sekundarschule Aesch eintreten. Die CVP-Landrätin sympathisiert grundsätzlich mit dem Gedanken des verspäteten Unterrichtsbeginns. Dass aber die Sek Aesch alleine im Kanton vorprescht, hält sie für weniger klug. Die Sek Aesch werde zur Zeitinsel. Und gewünscht hätte sie sich, dass die Schulleitung weniger autokratisch vorgegangen wäre und die Eltern miteinbezogen hätte.

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