Geht es um die Noten ihrer Kinder, setzen Eltern vermehrt Lehrpersonen unter Druck. Den Kindern tun sie damit aber selten einen Gefallen.
Eltern versuchen das Optimum herauszuholen, Bild: Alex Telfer
Aggressive Eltern sorgen für bessere Zeugnisse, Tages Anzeiger, 26.4. von Carmen Roshard
Es ist ein offenes
Geheimnis, dass viele Eltern ihre Kinder ins Gymnasium drängen. Dabei schrecken
sie auch vor Interventionen beim Lehrer nicht zurück. Wie weit solche
Einmischungen gehen können, zeigt ein wahres Beispiel aus dem Kanton Zürich.
Treibende
Kraft war in diesem Fall der Vater eines Mädchens. Ständig sprach er in der
Schule vor und verlangte vom Lehrer Nachkorrekturen und Anpassungen bei
Prüfungen. Er korrigierte auch Vortragsnoten seines Kindes mit der Begründung,
es könne nicht sein, dass die Note so schlecht sei. Das Kind habe zu Hause
geübt. Auch vom Eingriff ins Zeugnis liess er sich nicht abhalten. Er änderte
die Noten seines Sprösslings handschriftlich ab und versah sie mit Kommentaren,
weshalb seine Beurteilung der Leistungen korrekt sei und die des Lehrers
falsch.
Höhepunkt
der Geschichte ist ein Tondokument, auf dem sich auch die Mutter per Telefon
echauffiert zu Wort meldet und Notenkorrekturen diktiert. Der Streit zwischen
Schulleiter und Eltern artete derart aus, dass ein Kommunikationsverbot
zwischen Eltern und Lehrperson angeordnet werden musste. Die erfahrene
Lehrperson war mit ihrem Latein und den Nerven fast am Ende.
«Das
geht nun schon seit Jahren so», sagt ein mit dem Fall Vertrauter, der nicht
genannt werden will. «Das Kind, notabene eine gute Schülerin, ist in einem
grässlichen Loyalitätskonflikt zwischen Lehrperson und Eltern und reagiert
seltsam im sozialen Klassenverband.» Die Schulsozialarbeiterin habe deshalb
eine Gefährdungsmeldung an die Kesb in die Wege geleitet. Die Schulpflege
leitete Massnahmen zum Schutz des Kindes ein. In einer solchen Extremsituation
ist nicht auszuschliessen, dass die Lehrperson, wenn auch unbewusst, höhere
Noten gibt, um die ewigen Diskussionen nicht führen zu müssen. Im vorliegenden
Fall hat das Kind die Gymiprüfung trotz allem nicht bestanden.
Das Problem ist
verbreitet
Die
Behörden betonen, es handle sich hier «um einen krassen Einzelfall». Doch eine
TA-Umfrage in den Zürcher Schulkreisen und in einigen Gemeinden zeigt, dass
elterliche Einmischung weitverbreitet ist. So hält etwa Regina Kesselring,
Leiterin Kommunikation beim Zürcher Schulamt, fest: «Besonders wenn es Richtung
Gymnasium geht, versuchen Eltern Druck zu machen.» Auch Kaspar Vogel, Präsident
der Sekundarlehrkräfte des Kantons Zürich, weiss: «Noten mussten im Zeugnis
schon geschönt werden, weil die Schulleitung auf Druck der Eltern darauf
bestanden hat.» Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands,
bestätigt: «Aus Angst vor mühsamen Diskussionen knicken Lehrer manchmal ein
und runden auf.»
Martin
Lampert, Wädenswiler Sekundarlehrer und Bildungsrat, sagt es diplomatisch:
«Alle Eltern versuchen, das Optimum für ihre Kinder herauszuholen.» Leider
gelinge es nicht allen, das richtige Mass für die Mittel zu finden, die sie
einsetzten. «Es gab Eltern, die mir in einem Gespräch kurz vor dem
Zeugnistermin unmissverständlich mitteilten, dass sie für ihr Kind eine Note 5
in der Mathematik erwarten», erinnert sich Lampert. Das Kind habe jedoch
Leistungen gezeigt, die höchstens für eine Note 4 gereicht hätten. «Den Eltern
das klarzumachen, war ziemlich aufwendig.»
Andere
Eltern hätten alle drei Wochen ein Gespräch gewünscht, um zu besprechen, wie
man die Leistungen des Kindes verbessern könne. Solche Interventionen fangen
oft früh an. Das bestätigt auch Regina Kesselring. Sie kennt einen Fall, indem
die Eltern eines Zweitklässlers auf einer besseren Note bestanden haben.
Kaspar
Vogel spricht von einem mangelnden Vertrauen in die Lehrerschaft. Er betont,
die Beurteilung der schulischen Leistungen sei Sache der Lehrperson. Dafür sei
sie entsprechend ausgebildet. «Es ist zwar gut, dass die Autorität des Lehrers
nicht mehr unangefochten ist», sagt Vogel, «aber ich erkläre dem Maurer auch
nicht, wie er die Mauer in meinem Garten hochzuziehen hat.»
Lehrern den Rücken
stärken
Tatsächlich
sind die Lehrpersonen bei der Beurteilung ihrer Schüler relativ frei: Für einen
Teil der Zeugnisnote zählen die Prüfungsergebnisse, mitgezählt werden aber auch
weitere Leistungen aus dem Unterricht. Vogel betont, dass die Schulleitung der
Beurteilungskompetenz der Lehrer vertraut. Sie müsse den Lehrern deshalb in
Streitfällen auch den Rücken stärken und die Eltern überzeugen, dass ihr Kind
«nach bestem Wissen und Gewissen wohlwollend und förderorientiert beurteilt
wird». Den Lehrern empfiehlt er, Eltern und Kind möglichst früh zu einem
«Kennenlerngespräch» einzuladen. Dadurch schaffe man zu einem Zeitpunkt, wo
alle noch positiv eingestellt und motiviert seien, das notwendige Vertrauen.
Zudem erfahre man etwas über die Erwartungen der Eltern und ihres Kindes und
spüre, wie man am geschicktesten kommuniziere.
Durch
die Gespräche während des Jahres werden die Eltern in aller Regel über den
Leistungsstand ihrer Sprösslinge informiert, auch darüber, welche Noten sie im
Zeugnis vorfinden werden. Im Streitfall kann die Meinung oder ein Gespräch mit
der Parallellehrerin sinnvoll sein, um die Beurteilung breiter abzustützen.
Üben die Eltern weiterhin starken Druck aus oder drohen sie gar mit dem Anwalt,
muss die Schulleitung informiert werden, und es kommt zu einem Gespräch
zwischen Eltern, Lehrperson und Schulleitung.
Explizit
thematisiert wurde die Einflussnahme von Eltern auf Noten in den Zürcher
Schulkreisen bisher zwar nicht. Aber für Kesselring steht fest: «Die Sorge um
die Zukunft der Kinder kennen Eltern in allen Schichten und in allen
Quartieren.»
Externe Prüfungen als
Lösung?
Gibt
es Lösungsansätze, Lehrpersonen vor übertriebenem Notendruck der Eltern zu
schützen? Heinz Rhyn, Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH), schlägt
dazu gut gemachte externe Prüfungen vor: «Sie sind objektiv und ermöglichen
eine weitgehend unabhängige Leistungsbeurteilung. Allerdings sind diese
Verfahren aufwendig und können kaum eine Lösung für den schulischen Alltag
sein.» Urs Moser vom Institut für Bildungsevaluation der Universität Zürich:
«Im Kanton Bern können Primarschulkinder beim Übertritt in die Oberstufe, falls
von den Eltern gewünscht, Kontrollprüfungen machen, um zu beweisen, dass sie
gut genug für den angestrebten Schultyp sind.»
Martin
Wendelspiess, Chef des Zürcher Volksschulamtes, ist der Meinung, dass sich das
bestehende Übertrittsverfahren bewährt hat: «Lehrpersonen, die einen Schüler
ein bis drei Jahre unterrichtet und begleitet haben, können am besten
beurteilen, welche Anforderungsstufe für das Kind richtig ist. Die Aussagekraft
der Beurteilung durch die Lehrperson sei viel höher als diejenige einer
Prüfung, die immer eine Momentaufnahme darstelle. «Unseres Erachtens ist es
ganz wichtig, dass die Sekundarstufe durchlässig ist. Kinder, die zu hoch oder
zu tief eingestuft sind, sollten die Stufe möglichst bald wechseln können.
Bildungsrat
Lampert ist zuversichtlich, das Vertrauen in die Qualität der schulischen
Leistungsbeurteilung stärken zu können. Es werde bald Instrumente geben, «die
eine externe Beurteilung von Leistungen ermöglichen». In der 3. Oberstufe kennt
man das Lehrmittel «Lernpass», das wie der Stellwerktest eine objektive
Standortbestimmung ermöglicht. Dieses Lehrmittel wird derzeit so erweitert,
dass es auch für die 1. und 2. Oberstufe einsetzbar ist. Zudem wird bis 2017
das Lehrmittel «Lernlupe» für die Primarschule entwickelt. Mit ihm kann der
Lernstand der Schüler zu gewissen Zeitpunkten objektiv bestimmt werden.
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