27. April 2016

Eltern machen Druck

Geht es um die Noten ihrer Kinder, setzen Eltern vermehrt Lehrpersonen unter Druck. Den Kindern tun sie damit aber selten einen Gefallen.














Eltern versuchen das Optimum herauszuholen, Bild: Alex Telfer
Aggressive Eltern sorgen für bessere Zeugnisse, Tages Anzeiger, 26.4. von Carmen Roshard


Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Eltern ihre Kinder ins Gymnasium drängen. Dabei schrecken sie auch vor Interventionen beim Lehrer nicht zurück. Wie weit solche Einmischungen gehen können, zeigt ein wahres Beispiel aus dem Kanton Zürich.
Treibende Kraft war in diesem Fall der Vater eines Mädchens. Ständig sprach er in der Schule vor und verlangte vom Lehrer Nachkorrekturen und Anpassungen bei Prüfungen. Er korrigierte auch Vortragsnoten seines Kindes mit der Begründung, es könne nicht sein, dass die Note so schlecht sei. Das Kind habe zu Hause geübt. Auch vom Eingriff ins Zeugnis liess er sich nicht abhalten. Er änderte die Noten seines Sprösslings handschriftlich ab und versah sie mit Kommentaren, weshalb seine Beurteilung der Leistungen korrekt sei und die des Lehrers falsch.

Höhepunkt der Geschichte ist ein Tondokument, auf dem sich auch die Mutter per Telefon echauffiert zu Wort meldet und Notenkorrekturen diktiert. Der Streit zwischen Schulleiter und Eltern artete derart aus, dass ein Kommunikationsverbot zwischen Eltern und Lehrperson angeordnet werden musste. Die erfahrene Lehrperson war mit ihrem Latein und den Nerven fast am Ende.

«Das geht nun schon seit Jahren so», sagt ein mit dem Fall Vertrauter, der nicht genannt werden will. «Das Kind, notabene eine gute Schülerin, ist in einem grässlichen Loyalitätskonflikt zwischen Lehrperson und Eltern und ­reagiert seltsam im sozialen Klassenverband.» Die Schulsozialarbeiterin habe deshalb eine Gefährdungsmeldung an die Kesb in die Wege geleitet. Die Schulpflege leitete Massnahmen zum Schutz des Kindes ein. In einer solchen Extremsituation ist nicht auszuschliessen, dass die Lehrperson, wenn auch unbewusst, höhere Noten gibt, um die ewigen Diskussionen nicht führen zu müssen. Im vorliegenden Fall hat das Kind die Gymiprüfung trotz allem nicht bestanden.

Das Problem ist verbreitet
Die Behörden betonen, es handle sich hier «um einen krassen Einzelfall». Doch eine TA-Umfrage in den Zürcher Schulkreisen und in einigen Gemeinden zeigt, dass elterliche Einmischung weitverbreitet ist. So hält etwa Regina Kesselring, Leiterin Kommunikation beim Zürcher Schulamt, fest: «Besonders wenn es Richtung Gymnasium geht, versuchen Eltern Druck zu machen.» Auch Kaspar Vogel, Präsident der Sekundarlehrkräfte des Kantons Zürich, weiss: «Noten mussten im Zeugnis schon geschönt werden, weil die Schulleitung auf Druck der Eltern darauf bestanden hat.» Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands, bestätigt: «Aus Angst vor müh­samen Diskussionen knicken Lehrer manchmal ein und runden auf.»

Martin Lampert, Wädenswiler Sekundarlehrer und Bildungsrat, sagt es diplomatisch: «Alle Eltern versuchen, das Optimum für ihre Kinder herauszuholen.» Leider gelinge es nicht allen, das richtige Mass für die Mittel zu finden, die sie einsetzten. «Es gab Eltern, die mir in einem Gespräch kurz vor dem Zeugnistermin unmissverständlich mitteilten, dass sie für ihr Kind eine Note 5 in der Mathe­matik erwarten», erinnert sich Lampert. Das Kind habe jedoch Leistungen gezeigt, die höchstens für eine Note 4 ­gereicht hätten. «Den Eltern das klar­zumachen, war ziemlich aufwendig.»

Andere Eltern hätten alle drei Wochen ein Gespräch gewünscht, um zu ­besprechen, wie man die Leistungen des Kindes verbessern könne. Solche Interventionen fangen oft früh an. Das bestätigt auch Regina Kesselring. Sie kennt einen Fall, indem die Eltern eines Zweitklässlers auf einer besseren Note bestanden haben.

Kaspar Vogel spricht von einem mangelnden Vertrauen in die Lehrerschaft. Er betont, die Beurteilung der schulischen Leistungen sei Sache der Lehrperson. Dafür sei sie entsprechend ausgebildet. «Es ist zwar gut, dass die Autorität des Lehrers nicht mehr unangefochten ist», sagt Vogel, «aber ich erkläre dem Maurer auch nicht, wie er die Mauer in meinem Garten hochzuziehen hat.»

Lehrern den Rücken stärken
Tatsächlich sind die Lehrpersonen bei der Beurteilung ihrer Schüler relativ frei: Für einen Teil der Zeugnisnote zählen die Prüfungsergebnisse, mitgezählt werden aber auch weitere Leistungen aus dem Unterricht. Vogel betont, dass die Schulleitung der Beurteilungskompetenz der Lehrer vertraut. Sie müsse den Lehrern deshalb in Streitfällen auch den Rücken stärken und die Eltern überzeugen, dass ihr Kind «nach bestem Wissen und ­Gewissen wohlwollend und förderorientiert beurteilt wird». Den Lehrern empfiehlt er, Eltern und Kind möglichst früh zu einem «Kennenlerngespräch» einzuladen. Dadurch schaffe man zu einem Zeitpunkt, wo alle noch positiv eingestellt und motiviert seien, das ­notwendige Vertrauen. Zudem erfahre man etwas über die Erwartungen der Eltern und ihres Kindes und spüre, wie man am geschicktesten kommuniziere.

Durch die Gespräche während des Jahres werden die Eltern in aller Regel über den Leistungsstand ihrer Sprösslinge informiert, auch darüber, welche Noten sie im Zeugnis vorfinden werden. Im Streitfall kann die Meinung oder ein Gespräch mit der Parallellehrerin sinnvoll sein, um die Beurteilung breiter abzustützen. Üben die Eltern weiterhin starken Druck aus oder drohen sie gar mit dem Anwalt, muss die Schulleitung informiert werden, und es kommt zu einem Gespräch zwischen ­Eltern, Lehrperson und Schulleitung.
Explizit thematisiert wurde die Einflussnahme von Eltern auf Noten in den Zürcher Schulkreisen bisher zwar nicht. Aber für Kesselring steht fest: «Die Sorge um die Zukunft der Kinder kennen ­Eltern in allen Schichten und in allen Quartieren.»

Externe Prüfungen als Lösung?
Gibt es Lösungsansätze, Lehrpersonen vor übertriebenem Notendruck der Eltern zu schützen? Heinz Rhyn, Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH), schlägt dazu gut gemachte externe Prüfungen vor: «Sie sind objektiv und ermöglichen eine weitgehend un­abhängige Leistungsbeurteilung. Allerdings sind diese Verfahren aufwendig und können kaum eine Lösung für den schulischen Alltag sein.» Urs Moser vom Institut für Bildungsevaluation der Universität Zürich: «Im Kanton Bern können Primarschulkinder beim Übertritt in die Oberstufe, falls von den Eltern gewünscht, Kontrollprüfungen machen, um zu beweisen, dass sie gut genug für den angestrebten Schultyp sind.»

Martin Wendelspiess, Chef des Zürcher Volksschulamtes, ist der Meinung, dass sich das bestehende Übertrittsverfahren bewährt hat: «Lehrpersonen, die einen Schüler ein bis drei Jahre unterrichtet und begleitet haben, können am besten beurteilen, welche Anforderungsstufe für das Kind richtig ist. Die Aussagekraft der Beurteilung durch die Lehrperson sei viel höher als diejenige einer Prüfung, die immer eine Momentaufnahme darstelle. «Unseres Erachtens ist es ganz wichtig, dass die Sekundarstufe durchlässig ist. Kinder, die zu hoch oder zu tief eingestuft sind, sollten die Stufe möglichst bald wechseln können.
Bildungsrat Lampert ist zuversichtlich, das Vertrauen in die Qualität der schulischen Leistungsbeurteilung stärken zu können. Es werde bald Instrumente geben, «die eine externe Beurteilung von Leistungen ermöglichen». In der 3. Oberstufe kennt man das Lehr­mittel «Lernpass», das wie der Stellwerktest eine objektive Standortbestimmung ermöglicht. Dieses Lehrmittel wird derzeit so erweitert, dass es auch für die 1. und 2. Oberstufe einsetzbar ist. Zudem wird bis 2017 das Lehrmittel «Lernlupe» für die Primarschule ent­wickelt. Mit ihm kann der Lernstand der Schüler zu gewissen Zeitpunkten objektiv bestimmt werden.


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