Die von den Didaktikern veranstalteten Sprachbäder bleiben erfolglos, Bild: Mille feuilles
Ein Flop, den niemand sofort stoppen will, Basler Zeitung, 29.3. von Thomas Dähler
Wer bei Lehrerinnen und
Lehrern nachfragt oder sich bei Eltern umhört, hat es längst mit Gewissheit
erfahren: Das Schweizer Fremdsprachensystem mit einer ersten Fremdsprache in
der dritten Primarschulklasse und einer zweiten in der fünften
Primarschulklasse ist ein Flop. Auch Studien und Tests belegen inzwischen, dass
zwei Frühfremdsprachen in der Primarschule nicht zu den erhofften Zielen
führen. Doch die Politik bleibt stur und will die Projekte nicht abbrechen. Die
beiden Basel sind bis 2018 vertraglich an das Projekt Passepartout gebunden.
Eine halbe Generation wird damit leben müssen, dass sie in der Schule als
Versuchskaninchen für ein unausgereiftes Sprachenkonzept herhalten musste.
Der
kürzlich ausgebrochene Konflikt um die Weiterbildung der Sekundarlehrerinnen
und -lehrer im Baselbiet hat es bestätigt: Auch im Baselbiet, wo die ersten
Frühfranzösisch-Geschädigten im Sommer in die Sekundarschule übertreten, hält
die Bildungsdirektion an der obligatorischen Weiterbildung für
Sekundarlehrkräfte fest und zementiert damit das Konzept der Frühfremdsprachen
weiter: Die traditionelle Sekundarlehrerausbildung ist offenbar ungenügend, um
Schülerinnen und Schüler mit vier Jahren Primarschul-Französisch zu übernehmen.
Rad lässt sich nicht
zurückdrehen
«Ich
kann das Rad nicht zurückdrehen», hatte Bildungsdirektorin Monica Gschwind
schon im letzten Herbst ihr Bedauern über die offensichtlich ausweglose
Situation ausgedrückt. So werden denn weiterhin hohe Summen für unergiebige
Sprachstunden, für unnötige Weiterbildungskurse und für teure neue Lehrmittel
in ein falsches Sprachenkonzept investiert.
«Wer
den Unterricht einer zweiten Fremdsprache aus der Primarschule verbannen will,
kann dies mit Sicherheit nicht mit wissenschaftlicher Forschung begründen»,
lautete kürzlich das merkwürdige Fazit der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK)
aufgrund einer Studie der Danish Clearinghouse for Educational Research, eine
Synthese von 43 internationalen Untersuchungen. Der erfahrene Sprachlehrer und
landesweit bekannte Blogger Urs Kalberer hat jedoch aufgedeckt, dass das Fazit
der EDK bloss der eigenen Rechtfertigung dient, befasst sich doch die dänische
Studie vor allem mit den Auswirkungen des bilingualen Unterrichts auf weitere
Fremdsprachen. Strittig sind in der Schweiz aber der Zeitpunkt des
Fremdsprachenstarts und die zweite Frühfremdsprache. Zum frühen Beginn der
zweiten Fremdsprache hält auch die dänische Studie fest: «Je älter die Schüler
beim Start einer Drittsprache sind, desto besser scheiden sie in
Leistungsprüfungen ab.»
Diesen
Monat nun haben die Ergebnisse der Fremdsprachenevaluation aus sechs
Innerschweizer Kantonen die Verdikte von Lehrkräften und Eltern bestätigt: Bei
der ersten Fremdsprache ist der Erfolg bescheiden, bei der zweiten überhaupt
nicht vorhanden. Die vom Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg
erstellte Studie zeigt Ernüchterndes auf. Beim Hören, Lesen, Schreiben und
Sprechen der zweiten Fremdsprache – in der Innerschweiz Französisch –
erreichen in der sechsten Klasse nur gerade mal 34 bis 54 Prozent der
Schülerinnen und Schüler die Ziele des Lehrplans. In der achten Klasse, wo die
angehenden Gymnasiasten nicht in die Studie einbezogen wurden, sind es gar bedenklich
tiefe 10 Prozent, die beim Sprechen und Hören die Lernziele erreichen; 30
bis 40 Prozent sind es beim Lesen und Schreiben. Das brutale Fazit: Die
Mehrheit der Schülerinnen und Schüler, die nicht aufs Gymnasium geht, wird nach
der Schulzeit kein Französisch können, trotz frühem Fremdsprachenunterricht.
Etwas besser ist es bei der ersten Fremdsprache, in der Innerschweiz Englisch.
Dort erfüllen immerhin 60 bis 65 Prozent der Achtklässler beim Lesen und
Schreiben die Ziele des Lehrplans.
Früher ist nicht besser
Die
Studie der Universität Freiburg zur Innerschweiz bestätigt demnach, was das
Kompetenzzentrum Linguistik der Universität Zürich schon 2014 herausgefunden
hat: Früher ist nicht besser. Der frühe Fremdsprachenunterricht zahlt sich
nicht aus, bilanziert die Studie von Prof. Simone Pfenninger. Die
Frühfremdsprache wirkt sich sogar negativ auf die Erstsprache aus. Nachgewiesen
hat Pfenninger, dass die guten Kenntnisse der Erstsprache (bei vielen die
Muttersprache) entscheidend für die Fortschritte in den Fremdsprachen sind. Mit
anderen Worten: Erst wer gut Deutsch spricht, lernt auch gut Englisch und
Französisch. Das spricht klar gegen Frühfranzösisch oder Frühenglisch in der
dritten Klasse. Das Fazit, das viele Bildungspolitiker nur ungern zur Kenntnis
nehmen: «Aus dem frühkindlichen Fremdsprachenunterricht ergeben sich keine
kurz- oder langfristigen Vorteile.»
Beide
Schweizer Studien widersprechen den bisher von den Sprachdidaktikern
vertretenen Thesen. Im vergangenen Frühling noch hatte Professorin Christine Le
Pape von der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz der
BaZ gesagt, entwicklungspsychologische Voraussetzungen sprächen für einen
möglichst frühen Start mit einer Fremdsprache.
Die Realität ist anders
Doch
die in Solothurn tätige Fachdidaktikerin ging von einer idealen Schulsituation
aus: Französisch finde in den Primarschulen nicht nur in den zwei oder drei
Lektionen der Stundentafel statt, meinte die Professorin, denn vorgesehen sei
eine Mehrsprachendidaktik. In der Realität aber ist dies kaum irgendwo der
Fall.
Die
zurzeit vorliegenden Studien vermochten bisher keine Korrekturen einzuleiten.
Auch in der Nordwestschweiz wird bis zum Ende des Projekts Passepartout 2018
nichts passieren. Daran ändern auch die Initiativen im Baselbiet nichts. Diese
kommen zu spät.
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