29. März 2016

Frühes schulisches Fremdsprachenlernen bringt keine Vorteile

Trotz negativer Studien halten die Kantone an den zwei Fremdsprachen in der Primarschule fest.

















Die von den Didaktikern veranstalteten Sprachbäder bleiben erfolglos, Bild: Mille feuilles
Ein Flop, den niemand sofort stoppen will, Basler Zeitung, 29.3. von Thomas Dähler


Wer bei Lehrerinnen und Lehrern nachfragt oder sich bei Eltern umhört, hat es längst mit Gewissheit erfahren: Das Schweizer Fremdsprachensystem mit einer ersten Fremdsprache in der dritten Primarschulklasse und einer zweiten in der fünften Primarschulklasse ist ein Flop. Auch Studien und Tests belegen inzwischen, dass zwei Frühfremdsprachen in der Primarschule nicht zu den erhofften Zielen führen. Doch die Politik bleibt stur und will die Projekte nicht abbrechen. Die beiden Basel sind bis 2018 vertraglich an das Projekt Passepartout gebunden. Eine halbe Generation wird damit leben müssen, dass sie in der Schule als Versuchskaninchen für ein unausgereiftes Sprachenkonzept herhalten musste.

Der kürzlich ausgebrochene Konflikt um die Weiterbildung der Sekundarlehrerinnen und -lehrer im Baselbiet hat es bestätigt: Auch im Baselbiet, wo die ersten Frühfranzösisch-Geschädigten im Sommer in die Sekundarschule übertreten, hält die Bildungsdirektion an der obligatorischen Weiterbildung für Sekundarlehrkräfte fest und zementiert damit das Konzept der Frühfremdsprachen weiter: Die traditionelle Sekundarlehrerausbildung ist offenbar ungenügend, um Schülerinnen und Schüler mit vier Jahren Primarschul-Französisch zu übernehmen.
Rad lässt sich nicht zurückdrehen
«Ich kann das Rad nicht zurück­drehen», hatte Bildungsdirektorin Monica Gschwind schon im letzten Herbst ihr Bedauern über die offensichtlich ausweglose Situation ausgedrückt. So werden denn weiterhin hohe Summen für unergiebige Sprachstunden, für unnötige Weiterbildungskurse und für teure neue Lehrmittel in ein falsches Sprachenkonzept investiert.

«Wer den Unterricht einer zweiten Fremdsprache aus der Primarschule verbannen will, kann dies mit Sicherheit nicht mit wissenschaftlicher Forschung begründen», lautete kürzlich das merkwürdige Fazit der Erziehungsdirektorenkon­ferenz (EDK) aufgrund einer Studie der Danish Clearinghouse for Educational Research, eine Synthese von 43 internationalen Untersuchungen. Der erfahrene Sprachlehrer und landesweit bekannte Blogger Urs Kalberer hat jedoch aufgedeckt, dass das Fazit der EDK bloss der eigenen Rechtfertigung dient, befasst sich doch die dänische Studie vor allem mit den Auswirkungen des bilingualen Unterrichts auf weitere Fremdsprachen. Strittig sind in der Schweiz aber der Zeitpunkt des Fremdsprachenstarts und die zweite Frühfremdsprache. Zum frühen Beginn der zweiten Fremdsprache hält auch die dänische Studie fest: «Je älter die Schüler beim Start einer Drittsprache sind, desto besser scheiden sie in Leistungsprüfungen ab.»

Diesen Monat nun haben die Ergebnisse der Fremdsprachenevaluation aus sechs Innerschweizer Kantonen die Verdikte von Lehrkräften und Eltern bestätigt: Bei der ersten Fremdsprache ist der Erfolg bescheiden, bei der zweiten überhaupt nicht vorhanden. Die vom Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg erstellte Studie zeigt Ernüchterndes auf. Beim Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen der zweiten Fremdsprache – in der Innerschweiz Französisch – erreichen in der sechsten Klasse nur gerade mal 34 bis 54 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Ziele des Lehrplans. In der achten Klasse, wo die angehenden Gymnasiasten nicht in die Studie einbezogen wurden, sind es gar bedenklich tiefe 10 Prozent, die beim Sprechen und Hören die Lernziele erreichen; 30 bis 40 Prozent sind es beim Lesen und Schreiben. Das brutale Fazit: Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler, die nicht aufs Gymnasium geht, wird nach der Schulzeit kein Französisch können, trotz frühem Fremdsprachenunterricht. Etwas besser ist es bei der ersten Fremdsprache, in der Innerschweiz Englisch. Dort erfüllen immerhin 60 bis 65 Prozent der Achtklässler beim Lesen und Schreiben die Ziele des Lehrplans.
Früher ist nicht besser
Die Studie der Universität Freiburg zur Innerschweiz bestätigt demnach, was das Kompetenzzentrum Linguistik der Universität Zürich schon 2014 herausgefunden hat: Früher ist nicht besser. Der frühe Fremdsprachenunterricht zahlt sich nicht aus, bilanziert die Studie von Prof. Simone Pfenninger. Die Frühfremdsprache wirkt sich sogar negativ auf die Erstsprache aus. Nachgewiesen hat Pfenninger, dass die guten Kenntnisse der Erstsprache (bei vielen die Muttersprache) entscheidend für die Fortschritte in den Fremdsprachen sind. Mit anderen Worten: Erst wer gut Deutsch spricht, lernt auch gut Englisch und Französisch. Das spricht klar gegen Frühfranzösisch oder Frühenglisch in der dritten Klasse. Das Fazit, das viele Bildungspolitiker nur ungern zur Kenntnis nehmen: «Aus dem frühkind­lichen Fremdsprachenunterricht ergeben sich keine kurz- oder langfristigen Vorteile.»

Beide Schweizer Studien widersprechen den bisher von den Sprachdidaktikern vertretenen Thesen. Im vergangenen Frühling noch hatte Professorin Christine Le Pape von der Pädago­gischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz der BaZ gesagt, entwicklungspsychologische Vor­aussetzungen sprächen für einen möglichst frühen Start mit einer Fremdsprache.
Die Realität ist anders
Doch die in Solothurn tätige Fach­didaktikerin ging von einer idealen Schulsituation aus: Französisch finde in den Primarschulen nicht nur in den zwei oder drei Lektionen der Stundentafel statt, meinte die Professorin, denn vorgesehen sei eine Mehrsprachen­didaktik. In der Realität aber ist dies kaum irgendwo der Fall.


Die zurzeit vorliegenden Studien vermochten bisher keine Korrekturen einzuleiten. Auch in der Nordwestschweiz wird bis zum Ende des Projekts Passepartout 2018 nichts passieren. Daran ändern auch die Initiativen im Baselbiet nichts. Diese kommen zu spät.

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