17. Dezember 2013

Lehrplan-Macher von Heftigkeit der Kritik überrascht

Die Idee zum Lehrplan 21 begann mit einem Schwur. Vor einem guten Jahrzehnt musste die Zentralschweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz einmal mehr ihre Lehrpläne anpassen: «Das machen wir zum letzten Mal alleine», versicherten sich die sieben Direktoren damals. Von Anfang an mit dabei war Christoph Mylaeus-Renggli, Geschäftsleiter der deutschsprachigen Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK). Von Beruf Primarlehrer und studierter Erziehungswissenschaftler, wohnt er mit Frau und Kindern in Kehrsiten, einem kleinen Dorf am Vierwaldstättersee.
Es sei nicht wirtschaftlich, auf Lehrpläne einzelner Kantone ausgerichtete Lehrmittel zu entwickeln, argumentiert er, damals wie heute. So konnte man die Direktoren der anderen deutschsprachigen Kantone für ein gemeinsames Werk gewinnen und die Arbeiten begannen. Das war im Jahr 2006.
Überforderte Kinder, Beispiel auf dem Lehrplan für vier- bis achtjährige Kinder.
Wie ein Schwur zum Lehrplan-Fiasko führte, Basler Zeitung, 17.12. von Franziska Laur
 Sieben Jahre später ist der Lehrplan 21 geboren, ein Werk von über 550 Seiten, bestückt mit über 4000 Kompetenzschritten, die Lehrer ihren Schülern antrainieren sollten. Ein aufgeblasener Wälzer mit teilweise schrägen Vorgaben, geboren aus der Feder von 90 Pro­tagonisten. Nun steckt man mitten in der Konsultation. Und es prasselt Kritik von allen Seiten. Wirtschaftsvertreter befürchten, dass mit dem neuen Regelwerk eine beispiellose Geschwätzkultur ohne Wissen einhergehen wird, und Lehrpersonen prophezeien, dass dieser Monumentalschmöker niemals im Alltag angewendet werden kann.
Für Mylaeus-Renggli ist der Umfang kein Argument: «Allein der Kanton Zürich hat einen Lehrplan in dieser Grössenordnung», sagt der Geschäftsleiter der D-EDK. Die zahlreichen Rückmeldungen nehme man ernst. Doch: «Diejenigen, die den Umfang kritisieren, sollen in der Konsultation auch Vorschläge machen, worauf in Zukunft verzichtet werden soll», sagt er.
Nicht so starke Kritik erwartet
Co-Projektleiterin Kathrin Schmocker Rieder, ausgebildete Primarlehrerin, die in Basel Kunstgeschichte, Pädagogik und Germanistik studiert hat, war lange wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Erziehungsdepartement in Basel. «Wir werden ab Januar anschauen, ob und in welche Richtung wir den Lehrplan anpassen müssen», sagt sie. So massiv habe sie die Kritik am neuen Lehrplan nicht erwartet, sagt sie. «Schliesslich waren der Schweizerische Lehrerverband und die Lehrer schon früh eingebunden.» Die Hälfte der Arbeitsgruppen, also rund 45 Personen, habe aus Mitarbeitern der Pädagogischen Hochschule bestanden, die andere Hälfte aus Lehrern.
Darüber kann Alain Pichard, Reallehrer in Biel, nur schmunzeln: «Die wurden als Praktiker reingeholt und als Theoretiker rausgespült», sagt er. Und die Berufsverbände seien heute dermassen politisiert, dass die Funktionäre eine ungesunde Nähe zur Macht pflegen würden. Der Pragmatismus sei der Ideologie gewichen.
Pichard, einst in Basel zu Hause, ist Mitinitiator eines Memorandums, das bislang von 650 Lehrpersonen unterzeichnet wurde. Inhalt: Der Lehrplan 21 schramme an der Praxis vorbei und sei ein monumentales Regelwerk, das den Lehrpersonen keinen Freiraum lasse. Ausserdem strotze das Werk vor inneren Widersprüchen, löse enorme Kosten ohne pädagogischen Mehrwert aus und trage missionarische Züge.
Basar der Eitelkeiten
Im Grunde sei der Inhalt des Lehrplans 21 trivial, sagt Pichard. «Kompetenzen vermitteln wir Lehrer den Schülern ja schon lange. So wie das nun im Lehrplan 21 bis ins letzte Detail vorgeschrieben ist, wird aus Konstruktivismus reine Ideologie.» Das Management bei diesem Grossprojekt sei einmal mehr dilettantisch gewesen. «Jede mittlere Schulleitung hätte dies besser hingekriegt», sagt er. Und: «Es wurde wild drauflosgewurstelt, ohne Führung, ohne Vorgaben. Daraus ist schliesslich ein Basar der Eitelkeiten entstanden, was in diesem monumentalen Regelwerk endete.»
An der Kompetenzausrichtung wollen die Projektverfasser jedoch festhalten: «Es geht nicht darum, dass Schüler die Achterreihe herunterleiern können», sagt Schmocker. Ziel des neuen Lehrplans sei vielmehr, dass Kinder erfahren könnten, was hinter dem Gelernten steckt. «Wir wollen tragfähiges und nachhaltiges Wissen und Können aufbauen», sagt Schmocker.
Nicht einmal der oberste Lehrerverband der Deutschschweiz (LCH) stellt sich heute noch hinter den Lehrplan 21 – trotz allen Verbandelungen mit der politischen Macht, die ihm vorgeworfen werden. Der Lehrplan 21 müsse dringend abgespeckt werden, schrieb Beat W. Zemp kürzlich in einer Pressemitteilung. Der oberste Lehrervertreter, Lehrer am Gymnasium Liestal, sass selber in einer Lehrplan-21-Arbeitsgruppe. Nun fordert er, dass die Kompetenzen in den einzelnen Fachbereichen reduziert und auch für Laien verständlich formuliert werden.

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