Michèle
Binswanger, Mamablog-Mit-Gründerin, hatte am Stadtgespräch im Grand HotelTrois Rois diese Woche zwar nur eine Kritik an der Schule Basel: die Anzahl der
Zettel, mit der Lehrpersonen Eltern fluten und gar um Mithilfe bei Schiebedaten
nachsuchen.
Nun
kann die Zettelflut für Familien tatsächlich ein Problem sein. Von der Weisung
über den Gebrauch von Baseballkappen bis zur detaillierten Info über das
Vorbereiten des RäbeliechtliUmzugs steht dort alles, was man als Eltern wissen
und nicht wissen will. Und nicht selten muss alles fein säuberlich
unterschrieben werden. Schliesslich könnte das Kind so dreist sein, die
Buchstabenflut nicht an seine Eltern weiterzuleiten.
Nun
könnte man dagegenhalten, dass man sich als Elternteil lieber mit der
emotionalen und geistigen Verfassung des Nachwuchses beschäftigt als mit der
Zettelflut einer bürokratieverliebten Schule. Nützen tut das nichts: Weil dies
einige Eltern wollen, fühlen sich Schulen bemüssigt, alle über alles zu
informieren – ausgenommen über die tatsächlichen Probleme.
Denn da
liegt der Hund begraben: Hinter den Kulissen gärt es. Die Lehrer leiden unter
den vielen Reformen: Harmos, integrativer Unterricht, Frühfranzösisch,
Schulleitungen, die Auflösung von Kleinklassen und nun noch der Lehrplan 21.
Sie sind müde und resigniert, denn jede Reform schwächt sie und lenkt ab vom
Kerngeschäft, dem Unterrichten. Zum bürokratischen Aufwand und den ständigen
Veränderungen kommen Absprachen mit den vielen Förder- und Therapiefachleuten,
die die Klassenzimmer bevölkern. Mittlerweile fühlen sich die Lehrer wie auf
einer Dauerbaustelle – ständig gilt es, irgendetwas abzureissen, instandzu-
setzen oder umzubauen.
Kommt
hinzu, dass sich die Bildungsideologen auf den oberen Plätzen zur Aufgabe
gemacht haben, die Schüler als perfekte Menschen aus den Schulstuben zu
entlassen. Damit bürden sie den Lehrern eine weitere unheilvolle Last und
Verantwortung auf. Der junge Mensch soll nicht nur gebildet, sondern auch
körperlich fit, umweltbewusst und mit einer hohen Sensibilität bezüglich
Gender- und Gewaltfragen ins Erwachsenenleben geschickt werden. Das wäre ja
alles gut und recht. Doch an solch hehren Ansprüchen muss die Lehrerschaft fast
zwangsläufig scheitern.
Weitere
Dauerbaustelle: die Fokussierung auf vermeintliche Schwächen der Kinder. Es
kann doch nicht sein, dass rund die Hälfte aller Schüler, allen voran Buben,
Förderstunden und/oder Therapien benötigen. Vielmehr muss angenommen werden,
dass hier eine Einmischung in die Eigenarten vieler Kinder vorgenommen wird, die
an totalitäre Normierungsansprüche grenzt. «Und bist du nicht willig, so brauch
ich Gewalt», zitierte man früher gerne Goethes Erlkönig. Heute wird zwar eine
vermeintliche Abkehr von diesen brachialen Zuständen vorgenommen, die jedoch
in die Umstellung auf psychische Einflussnahme mündet. Wohl noch nie in ihrer
Geschichte glaubte die Schule, Kinder auch im Privatbereich bis ins Detail
steuern zu müssen. All das unter dem Deckmäntelchen, aus ihnen Gutmenschen
machen zu wollen.
Kommt
hinzu, dass die verunsicherte und von der Bildungspolitik im Stich gelassene
Lehrerschaft ihren Schülern nicht mehr offen Paroli bieten kann oder will,
sondern Restriktionen über sieben bürokratische Ecken ausübt. Aus den
ehemaligen Autoritäten sind Nervenbündel geworden, die sich aus Angst vor
rechtlichen Konsequenzen, nicht mehr trauen, bei Verfehlungen der Schüler auf
der Stelle, klar und vehement einzugreifen.
Doch
nichts macht Kinder einsamer und ohnmächtiger, als von bürokratisierten Regeln
umgeben zu sein und keine direkten Grenzen zu spüren. Erziehungsdirektor
Christoph Eymann betonte am Stadtgespräch, dass den Schulen zwei Arten von
Eltern immer mehr zu schaffen machen: diejenigen, die ihre Kinder
vernachlässigen, und die anderen, die sich überall einmischen. Dabei übersah er
jedoch geflissentlich, dass die Schulbehörden beim Einmischen fröhlich
mitmischen. Sie benehmen sich nicht anders als überbetreuende Eltern, die ihre
Kinder mit allen Mitteln zum Erfolg trimmen wollen. Die Schüler sollen schlank
und rank werden, friedenstiftend argumentieren, umweltbewusst handeln und
vieles mehr. Dazu lancieren in den Bildungsverwaltungen öffentlich bestallte
und mit viel Geld bezahlte Theoretiker alltagsuntaugliche Projekte, mit denen
therapiert, normiert und auf Teufel komm raus gefördert werden soll. So lange,
bis den Kindern die Ohren wackeln und sie sich nichts sehnlicher wünschen, als
in Ruhe gelassen zu werden und ihr eigenes Ding durchziehen zu können.
Genau
dieser Freiraum jedoch wird ihnen nicht mehr gewährt. «Lasst endlich einmal
die Kinder in Ruhe», fordern daher vermehrt Kinderärzte, Neurologen und
Erziehungswissenschaftler. Doch sie stossen auf taube Ohren. Zu sehr sind
Erziehungsdirektoren daran interessiert, als Pioniere zu gelten und auf dem
politischen Parkett als dynamische Führungspersonen zu glänzen – und sei es auf
Kosten der Basis und der Kinder.
Und
übrigens: Mithilfe des Zettels an die Eltern schaffte es auch die Lehrerin des
Kindes von Binswanger, ihr Verschiebedatum zu finden.
Quelle: Basler Zeitung, 22.11. Fördern bis die Ohren wackeln, von Franziska Laur
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen