Die meisten von uns hatten nie
die Chance, ins Kader des FC Bayern München berufen zu werden. Der
Kosovo-Schweizer Xherdan Shaqiri hatte diese Chance. Ein Fall von krasser
Chancenungleichheit. Man sollte etwas dagegen unternehmen. Am besten mit
Fussballkursen in der Schule. Denn warum sollte nicht jeder die gleiche Chance
haben, den Beruf des Fussballprofis zu ergreifen?
Im Ernst: Wenn Politiker und
Beamte über Bildungsfragen brüten, folgen sie dieser Logik. Man lässt sich von
der Frage leiten, wie man möglichst vielen zu einer Laufbahn verhelfen kann,
für die sich nur wenige eignen. In der Sprache der Politik heisst das
Chancengleichheit. Die Pisa-Studie hat einst ergeben, dass die Schweizer
Volksschule soziale Unterschiede nicht genügend ausgleichen kann. Seitdem klebt
der Begriff Chancengleichheit wie ein buntes Abziehbild auf jedem Reformpaket.
Im Kanton Zürich etwa schicken einige Eltern ihre Kinder in private
Vorbereitungskurse für die Gymi-Prüfung. Was die Kurse effektiv bringen, weiss
niemand. Dennoch wollte die Regierung die Kurse jüngst für alle gratis
anbieten, aus Gründen der Chancengleichheit. Weil das Parlament Nein sagte,
wollen Linke die Prüfung nun ganz abschaffen. Andere Kreise fordern seit
Jahren, den Zugang zu den Gymnasien und damit auch zu den Universitäten zu
lockern.
Wenn wir ehrlich sind, geht es
dabei um etwas anderes: um die diffuse Abneigung gegen die sogenannte Elite,
gegen jene, die es - vermeintlich - weiter bringen. Man könnte annehmen, die
Schweiz mit ihrem exzellenten Bildungswesen, ihrer weltweit führenden
Innovationskraft und ihrem Reichtum habe ein unverkrampftes Verhältnis zum
Begriff «Elite». Leider nicht. Er wird grossräumig umfahren. Es ist nicht lange
her, da sass der damalige FDP-Präsident Fulvio Pelli an der ETH Zürich auf
einem Podium über Eliteförderung und sagte: «Ich bin für die Eliteförderung,
aber ohne <Elite> und ohne <Förderung>.» Die Universität St.
Gallen, eine der international besten Wirtschaftsschulen, möchte lieber etwas
anderes sein als eine Elite-Uni. Eine Erhebung ergab zwar, dass ihre Studenten
aus privilegierten Elternhäusern stammen. Die Absolventen sitzen in Chefbüros
grosser Firmen und tauschen sich über ein exklusives Netzwerk aus. Man sei aber
nicht elitär, schreibt die Schule im Erhebungsbericht, sondern «gutbürgerlich».
Ein Begriff, der eher an einen Landgasthof erinnert als an eine Universität. Im
Tiefstapeln sind wir Schweizer wirklich gross.
Hören wir auf damit. Die Elite ist gut, es braucht sie, nur schon
deshalb, weil sie einer Gesellschaft Triebkraft und dem Individuum den Ehrgeiz
verleiht, den es braucht, um erfolgreich zu sein. Denn, und das ist
entscheidend, die Schweizer Elite ist eine Leistungselite. Der ererbte Status
zählt hier wenig, Anstrengung viel. Daher ist unsere Elite nicht exklusiv.
Jeder kann es schaffen, ganz ohne Chancengleichheitsprogramme. Der
Bundespräsident stammt aus einer Bauernfamilie und absolvierte eine KV-Lehre.
Der Rektor der ETH Zürich ist der Sohn eines aus Italien eingewanderten
Rangierarbeiters. Vermutlich hat er keine privaten Gymi-Prüfungs-Kurse besucht
- und es trotzdem geschafft.
Wieso? Weil die Leistung zählte und weil das Schweizer
Bildungssystem - allen Bedenkenträgern zum Trotz - schon heute so viel
Chancengleichheit garantiert wie kaum ein anderes. Erstens ist exzellente Bildung
hier für alle entweder gratis oder billig. Teure Privatschulen gibt es zwar,
aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie besser ausbilden als die
staatlichen Schulen. Das ist in einigen Nachbarländern anders. Zweitens erlaubt
die Durchlässigkeit jeden noch so queren Karriereweg. Auch wer eine Lehre
absolviert hat, kann über die Berufsmatura und die Fachhochschule zu einem
Uni-Abschluss kommen. Drittens gibt es immer wieder eine neue Chance. Ob man
falsch einspurt oder spät zündet, man kann dennoch Wirtschaftsführer oder
Biochemiker werden. Wer eine Bildungschance will, der bekommt sie. Das gilt für
alle und zu jedem Zeitpunkt des Lebens. Das Theater um die Gymi-Prüfung ist
angesichts dieser Möglichkeiten völlig unverständlich.
Gewiss, die Bildungsforschung lehrt uns, dass Kinder mit
gebildeten Eltern häufiger höhere Schulen besuchen als solche aus
bildungsfernen Haushalten. Aber heisst das auch, dass begabte Kinder aus tiefen
Schichten vom System benachteiligt werden? Das System unterscheidet nicht nach
Herkunft. Dass einige Kinder von ihren Eltern - und allenfalls von Lehrkräften
- besser gefördert werden als andere, ist zwar erwiesen, ist aber kein
Konstruktionsfehler des Bildungssystems. Es ist daher auch kein Grund, die
Triebkraft eines auf Leistung ausgerichteten Bildungswesens zu gefährden.
Quelle: NZZaS, 28.4. von Michael Furger
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