Just in diesem Schuljahr wurde in der Stadt Zürich eine
Regelung eingeführt, die die Schulen verpflichtet, unentgeltliche Vorbereitungskurse für die Gymnasiumprüfung im Rahmen von zwei Wochenlektionen anzubieten. Der
Kanton zieht nach und hat ein entsprechendes Angebot für kommendes Schuljahr
programmiert. Die Anziehungskraft des Gymnasiums ist so stark, dass sehr gute
Schulleistungen nicht genügen, um sich dort einen der beschränkten Plätze zu
sichern. Das System beharrt auf einer Aufnahmeprüfung, welche den Kandidaten
immer mehr Prüfungsvorbereitung aufzwingt. Neben den unzähligen privaten
Anbietern und den neugeschaffenen Lektionen an der Sekundarschule buhlt nun
auch das Gymnasium Unterstrass – aus vordergründig ehrbaren Motiven – um ein
Stück vom grossen Kuchen.
In beispielhafter Art wird das Projekt nun in verschiedenen
Schritten veredelt. Erster, wichtiger Schritt: Das Institut für
Bildungsevaluation verleiht ihm in einem Bericht die Aura der wissenschaftlichen
Unangreifbarkeit. Der Bericht überprüft die Wirksamkeit von „Chagall“ und
stellt fest, dass es mit den Erfolgsquoten (knapp 50% schafften die Gymi-Prüfung)
„erfolgreich“ sei. Angesichts des enormen Aufwands der Kandidaten (zwei volle
Halbtage pro Woche plus Hausaufgaben – nebst dem Normalprogramm einer Sek A)
ist dies nicht erstaunlich. Nicht gestellt wird die Frage, ob „Chagall“
(Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn) auch nur ansatzweise zu
Chancengerechtigkeit führt. Ebenfalls ausgeklammert wird die in diesem
Zusammenhang relevante Frage, ob es Alternativen zu den bestehenden
Selektionsverfahren gibt. Im Gegenteil: Die Aufnahmeprüfungen und ihre
unerwünschten Begleiterscheinungen in Form von fragwürdigem Prüfungsdrill
werden als unantastbar gestützt und legitimiert.
In einem zweiten Schritt wird nun nach staatlicher
Unterstützung gerufen. Mit dem Freibrief des Instituts für Bildungsevaluation
in Händen, verbunden mit der politisch wirksamen Zielgruppe der Migrantenkinder,
kommt die Bildungsdirektion dem Wunsch der renommierten Privatschule nach.
Dabei muss man sich die Relationen vor Augen halten: Der Kanton steckt pro Jahr
ca. 100’000 Franken in ein Projekt, das durchschnittlich knapp sechs
Migrantenkinder durch die Gymi-Aufnahmeprüfung bringt.
Die Medien runden schliesslich in einem dritten Schritt die
zutiefst fragwürdige Praxis ab. In wohlwollenden Artikeln verbreiten sie das
gekonnte Zusammenspiel der beteiligten Akteure und regen Nachahmung an. Dabei verschärft die Testschmiede den
Wettbewerb um die begehrten Plätze zusätzlich – das Hamsterrad dreht sich nun einfach
noch ein wenig schneller. Ob da bildungsferne Migrantenkinder letztendlich
mithalten können, ist eine andere Frage.
Unter dem Schlussstrich ergibt sich ein pädagogisches
Nullsummenspiel. Das Problem der Selektion an der Stufe zum Gymnasium bleibt
ungelöst, ebenso wie die Untervertretung von sozial benachteiligten Schichten
(es gibt übrigens davon auch solche mit Schweizer Hintergrund). Neben vielen
Gewinnern dürfte jedoch die Zielgruppe
der Migrantenkinder langfristig leer
ausgehen. Denn ihr Problem liegt tiefer, als dass man es mit simplen
Vorbereitungskursen lösen könnte.
Bessere Integration von Migranten durch Chagall? Bild: Reto Oeschger
Ein möglicher Türöffner für das Gymnasium, Tages Anzeiger, 14.4. von Monica Müller
Anschubhilfen auf steinigen Bildungswegen, NZZ, 14.4. von Urs Bühler
Dank Förderung ins Gymnasium, Regionaljournal DRS, 13.4.
Migranten-Kinder im Gymi erfolgreich, 20 Minuten, 12.4. von Deborah Sutter
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen