19. April 2012

Erinnerungen ans Debakel des Russischunterrichts

Mit der zunehmenden Verunsicherung wegen der Frühfremdsprachen (was bringt es überhaupt?) mehren sich die Stimmen, welche Französisch zu Gunsten von Englisch abbauen wollen. Die Befürworter der Nationalsprachen stehen im Gegenwind. Dazu ist in der NZZ vom 19.4. ein Leserbrief erschienen, der das Problem der "verordneten" Sprachen aufdeckt.
Das Französische persönlich machen
Erstaunlich an der Debatte um das Schulfranzösisch in der Deutschschweiz (NZZ 11.4.12) ist die Tatsache, dass kaum jemand wahrhaben will, wie deplorabel die Französischkenntnisse der Schülerschaft im Allgemeinen sind. Es ist oft geradezu beschämend, wie schlecht auch Maturanden oder Wirtschaftmittelschulabsolventen Französisch können, nach notabene sieben bis acht Jahren Unterricht. Die Schuld bei den Lehrkräften zu suchen, greift zu kurz. Ans staatspolitische Gewissen der Schülerinnen und Schüler und der Schulpolitiker zu appellieren, verkennt, dass der Grund der Misere in der fehlenden Motivation der Jugendlichen zu suchen ist.
Französisch hat in den sechziger Jahren seine kulturelle Strahlkraft ans Englische verloren. Man mag die Anglifizierung unserer heutigen Welt aus guten Gründen bedauerlich finden, sie hat aber zur Folge, dass die französische Sprache für eine Mehrheit der Schülerschaft unattraktiv ist, da sie sie emotional nicht positiv besetzen können. Sie sehen den Sinn nicht ein, wieso sie sich mit einer (nicht ganz leichten) Sprache herumschlagen müssen, die sie nicht interessiert, die sie nicht brauchen wollen und wohl auch oft nicht müssen, da sie sich mit dem leichter zugänglichen Englisch behelfen können. Erinnerungen an das Debakel des obligatorischen Russischunterrichts im früheren Ostblock werden da unangenehmerweise wach. Man müsste sich vielleicht fragen, ob das in den obligatorischen Unterricht investierte Geld nicht besser zu einem Teil für kreative Lösungen verwendet würde, wie etwa für konsequenten Klassen-, Lehrer- und Schüleraustausch zwischen den Sprachregionen, für gelebte Zweisprachigkeit innerhalb der Schule, für ein für Jugendliche verführerisches Angebot kultureller und sozialer Begegnungen über die Sprachgrenze hinweg u.Ä. So könnte die Fremdsprache zur Sprache von Bekannten, Freunden, Erlebnissen und Orten und damit zu etwas Persönlichem werden. Die Sache ist jedenfalls zu wichtig, um sie nur auf der formalen Ebene von Stundentafeln oder mit hehren, aber abstrakten Forderungen nach nationalem Zusammenhalt lösen zu wollen.
Ueli Haenni Ruiz, Lehrer an der Kantonsschule Baden

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