4. Februar 2017

Wieder steht ein SVP-Erziehungschef auf Kollisionskurs

82 Nein zu 40 Ja waren es am Ende, doch der Sieg der Initianten am Parteitag der Aargauer SVP ist eine gefühlte Niederlage. Einen Drittel der Partei hat SVP-Regierungsrat Alex Hürzeler im Kampf gegen die Initiative aus den eigenen Reihen auf die Regierungsseite gezogen. Über das Schicksal des Lehrplans 21 im Aargau entscheidet aber nicht die SVP, sondern das Volk.
Wenn die SVP ihren eigenen Regierungsrat herausfordert, Basler Zeitung, 3.2. von Thomas Dähler


Die Initiative Ja zu einer guten Schulbildung – Nein zum Lehrplan 21 setzt am kommenden 12. Februar alles auf eine Karte: Sie will alle mit dem Lehrplan 21 eingeleiteten Reformen auf einen Schlag verhindern. Dies richtet sich auch gegen Hürzeler, der keinen Gegenvorschlag wollte und mit seinem ganzen Gewicht als Regierungsrat für die Reformen kämpft, die er nach seinem Gusto umsetzen will.
Linke Ideologie
Nationalrat Andreas Glarner, der an der Lehrplan-Front seine Popularität bei der SVP-Basis in die Waagschale wirft, griff seinen Regierungsrat am Parteitag frontal an. «Der Lehrplan 21 ist ein teures Reformwerk ohne jeglichen Nutzen, linke Ideologie der 68er», meinte der Haudegen. Viele Parteikollegen unterstützten ihn: Es werde ein Chaos veranstaltet, das die Kinder und ihre Eltern ausbaden müssten.

Die Aargauer Abstimmung über den Lehrplan 21 hat aus nationaler Sicht besondere Bedeutung, weil es diesmal nicht nur darum geht, ob ein Bildungsrat oder ein Parlament über den Lehrplan entscheiden kann. Bei der Aargauer Initiative geht es ums Ganze, anders als im Baselbiet, wo mit separaten Initiativen versucht wird, die Reformen einzeln auszuhebeln – im Falle der Sammelfächer auch schon erfolgreich.

Wie im Baselbiet soll auch im Aargau den Sammelfächern der Riegel geschoben werden, indem die traditionellen Fächer explizit im Schulgesetz verankert werden sollen. Zusätzlich würde aber im Aargau auch gleichzeitig die zweite Fremdsprache in der Primarschule eliminiert. Und schliesslich soll mit der Initiative auch die Verankerung von Jahrgangszielen im Lehrplan gesetzlich verankert werden – für den Kindergarten als Rahmenlehrplan. Wird die Initiative angenommen, ist der auf Kompetenzen statt Inhalte ausgerichtete Lehrplan 21 im Aargau kein Thema mehr.

SVP-Bildungsdirektor Hürzeler und der Regierungsrat lassen keinen guten Faden am Initiativbegehren. Die abschliessende Aufzählung der Fächer schmälere die Zukunftschancen der Kinder und Jugendlichen. Der bei einem Ja nötig werdende eigene Lehrplan verursache Mehrkosten. Mit den vorgegebenen Jahrgangszielen werde die Unterrichtsfreiheit der Lehrer eingeschränkt. Und der kantonale Alleingang führe den Aargau in die Isolation.
Tausende von Kompetenzen
Demgegenüber kritisieren die Initianten, angeführt von der SVP, die Zerstückelung des Lehrstoffs durch den Lehrplan 21 in Tausende von Kompetenzen. Damit werde der Abbau von schulischen Grundfertigkeiten zementiert. Der Lehrplan 21 erfülle zudem die in der Bundesverfassung verankerte Harmonisierung nicht. Stattdessen würden die kantonalen Erziehungs­direktoren mit den vielen Kompetenzen und dazugehörigen Tests heimlich ein völlig neues Schulsystem einführen.

Das Aus für den Lehrplan 21 hin­gegen würde zurück zu einer guten Schulbildung führen. Dass die SVP-­Mehrheit vehement für die Initiative wirbt, ist möglicherweise kein wirklicher Vorteil: Es hat auch dazu geführt, dass die linken Befürworter der Initiative sich nur zaghaft trauen, den Lehrplan 21 zu kritisieren. Im westlichen Kantonsteil und im Fricktal waren linke Befürworter der Initiative im Abstimmungskampf kaum präsent.

Die radikalen Forderungen der Initia­tive könnten denn auch an der Urne zum Stolperstein werden. Zwar hat der Kanton Aargau einst mit seinem Nein zum Bildungs-Kleeblatt einen Beitritt zum Harmonisierungs-Konkordat der Kantone von allem Anfang an verunmöglicht. Doch gerade weil mit Hürzeler im Aargau ein SVP-Regierungsrat die Bildung betreut, könnte die Basis der SVP die Initianten im Stich lassen. Am Parteitag war jeder Dritte davon überzeugt, dass Hürzeler dem Lehrplan 21 schon etwas die Zähne ziehen und diesen massvoll umsetzen würde.


Der Abstimmungskampf ist dennoch ziemlich gehässig. Da fällt schon mal das Wort Lügner oder der Vorwurf, die Lehrplan-Kompetenzen seien ein Experiment an lebenden Kindern. Sicher ist: Die Abstimmung wird zwar das Schicksal der Reformen nicht für die ganze Deutschschweiz besiegeln. Aber für den auf Kompetenzen ausgerichteten Lehrplan hat die Abstimmung über den Aargau hinaus Bedeutung.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen