82 Nein zu 40 Ja waren es am Ende, doch der
Sieg der Initianten am Parteitag der Aargauer SVP ist eine gefühlte Niederlage.
Einen Drittel der Partei hat SVP-Regierungsrat Alex Hürzeler im Kampf gegen die
Initiative aus den eigenen Reihen auf die Regierungsseite gezogen. Über das
Schicksal des Lehrplans 21 im Aargau entscheidet aber nicht die SVP, sondern
das Volk.
Wenn die SVP ihren eigenen Regierungsrat herausfordert, Basler Zeitung, 3.2. von Thomas Dähler
Die Initiative Ja zu einer guten Schulbildung – Nein zum Lehrplan
21 setzt am kommenden 12. Februar alles auf eine Karte: Sie will alle mit dem
Lehrplan 21 eingeleiteten Reformen auf einen Schlag verhindern. Dies richtet
sich auch gegen Hürzeler, der keinen Gegenvorschlag wollte und mit seinem
ganzen Gewicht als Regierungsrat für die Reformen kämpft, die er nach seinem
Gusto umsetzen will.
Linke
Ideologie
Nationalrat Andreas Glarner, der an der Lehrplan-Front seine
Popularität bei der SVP-Basis in die Waagschale wirft, griff seinen
Regierungsrat am Parteitag frontal an. «Der Lehrplan 21 ist ein teures
Reformwerk ohne jeglichen Nutzen, linke Ideologie der 68er», meinte der
Haudegen. Viele Parteikollegen unterstützten ihn: Es werde ein Chaos
veranstaltet, das die Kinder und ihre Eltern ausbaden müssten.
Die Aargauer Abstimmung über den Lehrplan 21 hat aus nationaler
Sicht besondere Bedeutung, weil es diesmal nicht nur darum geht, ob ein
Bildungsrat oder ein Parlament über den Lehrplan entscheiden kann. Bei der
Aargauer Initiative geht es ums Ganze, anders als im Baselbiet, wo mit
separaten Initiativen versucht wird, die Reformen einzeln auszuhebeln – im
Falle der Sammelfächer auch schon erfolgreich.
Wie im Baselbiet soll auch im Aargau den Sammelfächern der Riegel
geschoben werden, indem die traditionellen Fächer explizit im Schulgesetz
verankert werden sollen. Zusätzlich würde aber im Aargau auch gleichzeitig die
zweite Fremdsprache in der Primarschule eliminiert. Und schliesslich soll mit
der Initiative auch die Verankerung von Jahrgangszielen im Lehrplan gesetzlich
verankert werden – für den Kindergarten als Rahmenlehrplan. Wird die Initiative
angenommen, ist der auf Kompetenzen statt Inhalte ausgerichtete Lehrplan 21 im
Aargau kein Thema mehr.
SVP-Bildungsdirektor Hürzeler und der Regierungsrat lassen keinen
guten Faden am Initiativbegehren. Die abschliessende Aufzählung der Fächer
schmälere die Zukunftschancen der Kinder und Jugendlichen. Der bei einem Ja
nötig werdende eigene Lehrplan verursache Mehrkosten. Mit den vorgegebenen
Jahrgangszielen werde die Unterrichtsfreiheit der Lehrer eingeschränkt. Und der
kantonale Alleingang führe den Aargau in die Isolation.
Tausende
von Kompetenzen
Demgegenüber kritisieren die Initianten, angeführt von der SVP,
die Zerstückelung des Lehrstoffs durch den Lehrplan 21 in Tausende von
Kompetenzen. Damit werde der Abbau von schulischen Grundfertigkeiten zementiert.
Der Lehrplan 21 erfülle zudem die in der Bundesverfassung verankerte
Harmonisierung nicht. Stattdessen würden die kantonalen Erziehungsdirektoren
mit den vielen Kompetenzen und dazugehörigen Tests heimlich ein völlig neues
Schulsystem einführen.
Das Aus für den Lehrplan 21 hingegen würde zurück zu einer guten
Schulbildung führen. Dass die SVP-Mehrheit vehement für die Initiative wirbt,
ist möglicherweise kein wirklicher Vorteil: Es hat auch dazu geführt, dass die
linken Befürworter der Initiative sich nur zaghaft trauen, den Lehrplan 21 zu
kritisieren. Im westlichen Kantonsteil und im Fricktal waren linke Befürworter
der Initiative im Abstimmungskampf kaum präsent.
Die radikalen Forderungen der Initiative könnten denn auch an der
Urne zum Stolperstein werden. Zwar hat der Kanton Aargau einst mit seinem Nein
zum Bildungs-Kleeblatt einen Beitritt zum Harmonisierungs-Konkordat der Kantone
von allem Anfang an verunmöglicht. Doch gerade weil mit Hürzeler im Aargau ein
SVP-Regierungsrat die Bildung betreut, könnte die Basis der SVP die Initianten
im Stich lassen. Am Parteitag war jeder Dritte davon überzeugt, dass Hürzeler
dem Lehrplan 21 schon etwas die Zähne ziehen und diesen massvoll umsetzen
würde.
Der Abstimmungskampf ist dennoch ziemlich gehässig. Da fällt schon
mal das Wort Lügner oder der Vorwurf, die Lehrplan-Kompetenzen seien ein
Experiment an lebenden Kindern. Sicher ist: Die Abstimmung wird zwar das
Schicksal der Reformen nicht für die ganze Deutschschweiz besiegeln. Aber für
den auf Kompetenzen ausgerichteten Lehrplan hat die Abstimmung über den Aargau
hinaus Bedeutung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen