Zu einer Debatte zum Thema «Linke
Bildungspolitik im Zeitalter von Pisa, Bologna, Harmos und Lehrplan 21» hatten
die Vereine «Denknetz» und «Einspruch» am Montagabend in einen Hörsaal der Uni
Basel eingeladen. Doch der Anspruch der beiden Vereine Denknetz und Einspruch,
eine hochstehende innerlinke Debatte zu führen, ist grandios gescheitert. Eine
Mutter nahm nach der Veranstaltung kein Blatt vor den Mund: «Mehr als die
Hälfte der Anwesenden ist von den Klappstühlen aufgestanden, mit lautem Getöse
aufgestanden – ein symbolisches Bild für den verlorenen Sensor für die
Aussenwelt.»
Viel Gutes gerät in Vergessenheit, Basler Zeitung, 1.2. von Alain Pichard
Es lag sicher nicht an der Besetzung des Podiums. Die vier
Podiumsteilnehmer taten ihr Bestes. Der ehemalige Bildungsdirektor des Kantons
Baselland, Urs Wüthrich, brachte in seinem Eintrittsvotum die Rolle der Linken,
welche den Lehrplan unterstützen, durchaus verständlich auf den Punkt. Er
sprach von Pragmatismus, warnte vor einer Verklärung der Vergangenheit und gab
sich überzeugt, dass die Gefahren, welche in den Eingangsthesen vom Zürcher
Gymnasiallehrer Beat Kissling formuliert wurden, nicht eintreten würden: «Der
Gestaltungsraum der Schulen bleibt bestehen.»
Die junge Winterthurer Sekundarlehrerin Laura Saia brachte sich
als Praktikerin ein und warnte, den Unterricht so technokratisch aufzufassen,
wie es dieser Lehrplan tue. Dieser sei auf Anwendbarkeit ausgelegt und
suggeriere mit seiner Fülle an Kompetenzen, dass man diese alle abzuarbeiten
habe, was einem Ausbildungskonzept entspräche. In der Schule gehe es aber um
Bildung, und das heisst auch, Zeit aufzuwenden für Musse, Poesie und die
Möglichkeit, vermeintlich Unnützes zu tun. Dem stimmte auch der St. Galler
Gymnasiallehrer und Publizist Rolf Bossart zu, der zwar den Lehrplan 21 nicht
ablehnt, aber dessen Gefahren durchaus sieht. Die psychometrische Vermessung
und die Sprache der Ökonomie seien darin weit fortgeschritten, meinte Bossart.
Und als Linker gelte es die Machtfrage zu stellen: Wem nütze dies alles? Der
ehemalige Basler Grossratspräsident Roland Stark konzentrierte sich denn auch
wieder auf diese politische Ebene, sprach von den Folgen für die Praxis,
nannte konkrete Beispiele von Demokratieabbau und Bürokratisierung und
konkretisierte dies mit den Auswirkungen, welche die Integration von
verhaltensauffälligen Schülern in den Regelunterricht mit sich gebracht habe.
Damit wäre ein gewisser Rahmen eigentlich abgesteckt worden und
die Diskussion hätte beginnen können. Aber Moderator Johannes Gruber gab nach
den Eintrittsvoten der Podiumsteilnehmer das Mikrofon ins Publikum. Der
eigentlich geplanten Diskurs fand nicht statt. Es folgte eine endlos anmutende
Aneinanderreihung von mehr oder weniger klugen Statements aus dem Publikum. Am
Schluss meinte eine der wenigen jüngeren Lehrkräfte: «Der Erkenntniswert dieser
Veranstaltung war null, was soll ich morgen den Kollegen erzählen?» OECD,
Vermessungswahn, Demokratieabbau, die Rolle des Lehrers, Qualitätsmanagement,
Kompetenzorientierung: Es war wohl ein zu grosses Spektrum, das die
Organisatoren abzudecken versuchten, zumal wenn plötzlich ein ganzer Saal mitdiskutieren
wollte.
Urs Wüthrich sprach zwar von der Wichtigkeit dieser Debatte
innerhalb der Linken, und Roland Stark hielt fest, dass man der Rechten nicht
den Vorwurf machen könne, dass diese sich des Lehrplans annehme. «Die Rechte
macht ihren Job, während wir denen das Feld überlassen.» Eine fundierte
politische Debatte innerhalb der Linken finde nicht statt, im Gegenteil, sie
werde sogar unterdrückt.
Das wären durchaus interessante Ausgangspunkte für ein
energisches Gespräch gewesen. Aber es fehlten Fokussierung, eine stringente
Gesprächsführung und vermutlich auch etwas Leichtigkeit.
Schade, denn aus dem Saal und vor allem vom Podium gab es viele
kluge und ernsthafte Sätze zu vernehmen, die es wert gewesen wären, bei ihnen
einen Augenblick zu verweilen.
So hielt Rolf Bossart der Sprache der Psychometrie einen
Zeugniseintrag eines Lehrers aus dem letzten Jahrhundert entgegen: «ein Text
voller Liebe und mit Sorgfalt geschrieben». Bossart schloss mit den Worten:
«Nein, es war früher nicht besser, aber es droht uns, dass wir viel Gutes
vergessen.»
Der Basler Alain Pichard ist Lehrer, wohnt in Biel und vertrat
die GLP während acht Jahren im Stadtparlament. Er ist einer der prominentesten
Kritiker des Lehrplans 21 und hat den Verein «Einspruch» mitbegründet.
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