1. Februar 2017

Missglückte linke Debatte

Zu einer Debatte zum Thema «Linke Bildungspolitik im Zeitalter von Pisa, Bologna, Harmos und Lehrplan 21» hatten die Vereine «Denknetz» und «Einspruch» am Montagabend in einen Hörsaal der Uni Basel eingeladen. Doch der Anspruch der beiden Vereine Denknetz und Einspruch, eine hochstehende innerlinke Debatte zu führen, ist grandios gescheitert. Eine Mutter nahm nach der Veranstaltung kein Blatt vor den Mund: «Mehr als die Hälfte der Anwesenden ist von den Klappstühlen aufgestanden, mit lautem Getöse aufgestanden – ein symbolisches Bild für den verlorenen Sensor für die Aussenwelt.»
Viel Gutes gerät in Vergessenheit, Basler Zeitung, 1.2. von Alain Pichard


Es lag sicher nicht an der Besetzung des Podiums. Die vier Podiumsteilnehmer taten ihr Bestes. Der ehemalige Bildungsdirektor des Kantons Baselland, Urs Wüthrich, brachte in seinem Eintrittsvotum die Rolle der Linken, welche den Lehrplan unterstützen, durchaus verständlich auf den Punkt. Er sprach von Pragmatismus, warnte vor einer Verklärung der Vergangenheit und gab sich überzeugt, dass die Gefahren, welche in den Eingangsthesen vom Zürcher Gymnasiallehrer Beat Kissling formuliert wurden, nicht eintreten würden: «Der Gestaltungsraum der Schulen bleibt bestehen.»

Die junge Winterthurer Sekundarlehrerin Laura Saia brachte sich als Praktikerin ein und warnte, den Unterricht so technokratisch aufzufassen, wie es dieser Lehrplan tue. Dieser sei auf Anwendbarkeit ausgelegt und suggeriere mit seiner Fülle an Kompetenzen, dass man diese alle abzuarbeiten habe, was einem Ausbildungskonzept entspräche. In der Schule gehe es aber um Bildung, und das heisst auch, Zeit aufzuwenden für Musse, Poesie und die Möglichkeit, vermeintlich Unnützes zu tun. Dem stimmte auch der St. Galler Gymnasiallehrer und Publizist Rolf Bossart zu, der zwar den Lehrplan 21 nicht ablehnt, aber dessen Gefahren durchaus sieht. Die psychometrische Vermessung und die Sprache der Ökonomie seien darin weit fortgeschritten, meinte Bossart. Und als Linker gelte es die Machtfrage zu stellen: Wem nütze dies alles? Der ehemalige Basler Grossratspräsident Roland Stark konzentrierte sich denn auch wieder auf diese politische Ebene, sprach von den ­Folgen für die Praxis, nannte konkrete Beispiele von Demokratieabbau und Bürokratisierung und konkretisierte dies mit den Auswirkungen, welche die Integration von verhaltensauffälligen Schülern in den Regelunterricht mit sich gebracht habe.

Damit wäre ein gewisser Rahmen eigentlich abgesteckt worden und die Diskussion hätte beginnen können. Aber Moderator Johannes Gruber gab nach den Eintrittsvoten der Podiums­teilnehmer das Mikrofon ins Publikum. Der eigentlich geplanten Diskurs fand nicht statt. Es folgte eine endlos anmutende Aneinanderreihung von mehr oder weniger klugen Statements aus dem Publikum. Am Schluss meinte eine der wenigen jüngeren Lehrkräfte: «Der Erkenntniswert dieser Veranstaltung war null, was soll ich morgen den Kollegen erzählen?» OECD, Vermessungswahn, Demokratieabbau, die Rolle des Lehrers, Qualitätsmanagement, Kompetenzorientierung: Es war wohl ein zu grosses Spektrum, das die Organisatoren abzudecken versuchten, zumal wenn plötzlich ein ganzer Saal mit­diskutieren wollte.

Urs Wüthrich sprach zwar von der Wichtigkeit dieser Debatte innerhalb der Linken, und Roland Stark hielt fest, dass man der Rechten nicht den Vorwurf machen könne, dass diese sich des Lehrplans annehme. «Die Rechte macht ihren Job, während wir denen das Feld überlassen.» Eine fundierte politische Debatte innerhalb der Linken finde nicht statt, im Gegenteil, sie werde sogar unterdrückt.

Das wären durchaus interessante Ausgangspunkte für ein energisches Gespräch gewesen. Aber es fehlten Fokussierung, eine stringente Gesprächsführung und vermutlich auch etwas Leichtigkeit.

Schade, denn aus dem Saal und vor allem vom Podium gab es viele kluge und ernsthafte Sätze zu vernehmen, die es wert gewesen wären, bei ihnen einen Augenblick zu verweilen.
So hielt Rolf Bossart der Sprache der Psychometrie einen Zeugniseintrag eines Lehrers aus dem letzten Jahrhundert entgegen: «ein Text voller Liebe und mit Sorgfalt geschrieben». Bossart schloss mit den Worten: «Nein, es war früher nicht besser, aber es droht uns, dass wir viel Gutes vergessen.»

Der Basler Alain Pichard ist Lehrer, wohnt in Biel und vertrat die GLP während acht Jahren im Stadtparlament. Er ist einer der prominentesten Kritiker des Lehrplans 21 und hat den Verein «Einspruch» mitbegründet.


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