6. Juli 2016

Fast alle gamen regelmässig

Chatten? Nur mit Freunden. Ostschweiz am Sonntag, 3.7. von Julia Nehmiz


Früher wurden Kinder gewarnt: «Steig nicht zu Fremden ins Auto, nimm keine Süssigkeiten von Leuten an, die du nicht kennst.» Heute spielt es sich diffiziler ab. Kinder und Jugendliche sind via Smartphone mit der ganzen Welt verbunden. Der Fall Paul hat aufgewühlt – und ein Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, dem man sich nicht genug widmen kann: Sicherheit im Internet. Der 12jährige Paul aus dem Solothurnischen hat das als sicher gepriesene «Minecraft» gespielt. Im Chatforum des Spiels geriet er an seinen Entführer.

Die Fünft- und Sechstklässler einer St. Galler Primarschule haben davon gehört, der Fall Paul wurde teils im Unterricht thematisiert. Für die Lehrer ist Sicherheit im Netz ein Dauerthema. Denn: Erschreckend viele Eltern interessieren sich nicht dafür. Am Infoabend zum Thema «Handy & Co.» nahmen nicht einmal 30 Erwachsene teil. In städtischen Schulhäusern gilt ein Handyverbot – doch in der Freizeit sind die Kinder online.

Fast alle gamen regelmässig
Von den 25 Fünft- und Sechstklässlern haben bis auf 5 alle ein Smartphone. Einige der Schüler sind vom ständigen Handygebrauch genervt. «Immer nur aufs Handy starren, ich gehe lieber raus und treffe mich mit meinen Freundinnen», sagt Bianca. Ihr erstes Handy hat sie schon in der 2. Klasse bekommen, damit ihre Mutter sie erreichen konnte, wenn Bianca zu ihren Freundinnen ging, ohne Bescheid zu sagen. Ein anderes Mädchen will kein Handy: «Ich habe keine Zeit dafür», sagt Perilisa. Ihre Tage seien mit Schule und den vielen Hobbies ausgefüllt.

Gamen? Das machen – bis auf fünf – alle. Manche dürfen nur am Wochenende, andere hocken täglich bis zu drei Stunden vor dem Computer. Wobei: «Meine Mutter spielt mehr auf dem Handy als ich», sagt ein Mädchen. Einer ruft, seine Oma sei süchtig nach «Candy Crush». Ein 13-Jähriger hat es schon weit gebracht: im Flugsimulator war er auf Platz 20 der besten Schweizer Spieler.

Bei manchen Kindern kontrollieren die Eltern, was sie spielen, welche Seiten sie besucht haben. Andere können sich frei im Netz bewegen. «Meine Eltern kennen mein Passwort vom Handy nicht», sagt eine Schülerin stolz. Wenn ihre Eltern ihr Handy kontrollieren wollten, lösche sie schnell den Seitenverlauf. Eine andere hingegen hat von abends 20 Uhr bis morgens 8 Uhr keinen Internetzugang.

Anregung zu neuen Games finden sie auf YouTube, bei Freunden, in der Werbung. Oft spielen sie Spiele, die der grosse Bruder ihnen zeigt. Darunter sind auch brutale, die erst ab 18 freigegeben sind. «GTA – Grand Theft Auto» kommt als Autorennen daher, entpuppt sich aber als Killerspiel. 8 der 25 Kinder kennen es. «Man muss Missionen erfüllen», sagt eine 13-Jährige. «Man besucht Stripclubs», sagt ein Fünftklässler. Und man kann alles niedermetzeln. Feinde, Tiere, Passanten. Minecraft hingegen haben fast alle schon einmal gespielt, oder spielen es regelmässig. Aber sie würden nicht chatten, sagen sie. Das mag vielleicht auch dem Besuch der Reporterin geschuldet sein. Die Kinder beteuern, sie wüssten, dass man nichts Persönliches schreiben dürfe. Nie. Sie chatten nur mit Freunden. Gehen Spielerkoalitionen nur mit Freunden ein. So, wie sie bei Fremden nie ins Auto steigen würden, lassen sie sich auch in der virtuellen Welt nicht auf Fremde ein.

Von Fremden angeschrieben
Doch Fremde lassen sich auf sie ein: Ein Mädchen erzählt, sie sei mehrfach in einer WhatsApp-Gruppe aufgetaucht, in der sie gar nicht sein wollte. Eine andere Schülerin berichtet, ein David habe sie auf Snapchat angeschrieben, er wisse, wo sie wohne, er habe ihre Nummer, er wisse alles von ihr. Sie habe das ihrer Mutter gezeigt und den Typ sofort blockiert.


Die Lehrerin seufzt. Sie findet die Entwicklung höchst bedenklich. Durch die neuen Medien würde man den Kindern viel von ihrer Unbekümmertheit nehmen. 

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