Eine kürzlich publizierte Studie kommt zum Schluss, dass der Zeitpunkt
des Beginns des Fremdsprachen-Lernens die spätere Sprachkompetenz nicht
beeinflusst. Entscheidender dagegen ist reichlicher
Kontakt zur Fremdsprache.
Bis jetzt existiert noch keine Studie, welche nachweisen
konnte, dass frühe Lerner eine Fremdsprache auch besser beherrschen als spätere
Beginner. Ein Grund für die
Überlegenheit der älteren Lerner liegt in ihrer kognitiven Entwicklung, d.h.
ihr Hirn kann mehr und schneller arbeiten.
Ein weiterer Grund liegt in der Tatsache, dass junge Lernende an unseren
Schulen nicht genügend Kontakt zur
Zielsprache erhalten um die Vorteile ihres Lernmodus ausschöpfen zu können.
Gleichwohl wurde in vielen europäischen Ländern (darunter auch der Schweiz) das
Alter für den Beginn des Fremdsprachenunterrichts an der Volksschule markant
gesenkt. Carmen Munoz von der Universität Barcelona untersuchte nun die Frage,
ob frühe schulische Sprachenlerner ihre Kollegen, die später mit den
Fremdsprachen beginnen, im Laufe der Zeit auch ein- bzw. überholen können. Falls
dies der Fall ist, dann wäre damit nachträglich eine wichtige Legitimation für
die Vorverlegung geschaffen. Aus Mangel an empirischen Daten machten Befürworter
eines frühen Beginns bisher geltend, dass erst die längerfristige Entwicklung
entscheidend für den Erfolg der neuen Frühsprachenprogramme sein könne.
Viel Kontakt bei
jungem Alter
Verschiedene Studien weisen nach, dass bei ausserschulischem Erwerb (z.B. Migranten
in einer neuen Sprachumgebung) tatsächlich die Jungen die Alten nach einer
bestimmten Zeit sprachlich überholen. Dieser Prozess kann aber Jahre dauern. Doch
wie verhält es sich beim Sprachenlernen in der Schule? Offensichtlich handelt
es sich dabei um etwas grundsätzlich anderes. Basierend auf den verfügbaren Untersuchungen
bei ausserschulischem Lernen in der neuen Sprachumgebung und umgerechnet auf
die viel kürzere Kontaktzeit an unseren Schulen kommt Munoz zur bizarren Feststellung,
dass es bei fünf Wochenlektionen Fremdsprachen-Unterricht – bei uns ein
indiskutabel hoher Wert – ganze 245 Jahre dauern würde, bis sich ein früher
Start auszahlte. Dieser Vergleich zeigt uns, wie entscheidend eine hohe
Kontaktzeit für den Erfolg des frühen Sprachenlernens ist.
Langzeitstudie
Das Besondere an der im Sommer publizierten Arbeit ist, dass
Munoz die Kompetenzen von Sprachlernern in einer Langzeitstudie vergleicht. Bisher
zeigten Untersuchungen, welche die Lernenden nach acht Jahren Unterricht
verglichen, keinen nennenswerten Vorteil
für die Frühlerner (vgl. dazu das Barcelona Age Factor project). Auch
weitere Studien kamen für die Promotoren des frühen Fremdsprachen-Unterrichts
zu ernüchternden Ergebnissen. Munoz konnte nun die Beobachtungsfrist auf
durchschnittlich 14 Jahre ausdehnen. Sie liefert damit wichtige Grundlagen für
die Beurteilung der Frage, ob sich früher Fremdsprachen-Unterricht langfristig
auswirke. Bei den getesteten Personen handelt es sich um spanische
Englischstudenten, welche durchschnittlich 14 Jahre Englischunterricht genossen
haben. Unter den getesteten Personen befanden sich sowohl Früh-, wie auch Spätstarter.
Die Resultate zeigen, dass keine Korrelation hergestellt werden kann zwischen einem
frühen Beginn und den gemessenen Sprachkompetenzen. Gleichfalls wurden die
Leistungen von Früh- und Spätstartern miteinander verglichen. Auch hier gibt es
keine signifikanten Unterschiede in der Sprachkompetenz. Es existiert also
keine lineare Beziehung zwischen frühem Lernen und Erfolg oder anders
ausgedrückt, ein späterer Beginn führt genauso zum Erfolg wie ein früher. Der
Beginn des Fremdsprachen-Unterrichts an den Schulen hat also keine Auswirkung
auf die längerfristigen Sprachkompetenzen. Diese Befunde gelten übrigens
übereinstimmend für alle drei gemachten Tests zur Sprachkompetenz (General
English, Lexis und Lauterkennung).
Qualität des Kontakts
wichtiger als Beginn
Eine weitere Erkenntnis bezieht sich auf die Lernzeit: Mehr Zeit
führt zu besseren Kompetenzen. Während also das Alter bei Lernbeginn kein
verlässlicher Faktor für die Sprachkompetenz ist, zeigen die Resultate der
Studie, dass die Lernzeit (inklusive formellem und informellem Kontakt zur
Sprache) signifikant korrelieren mit der gemessenen Sprachkompetenz. Die zur
Verfügung stehende Zeit ist laut der Studie wichtiger als der Zeitpunkt des Beginns.
Die Lerner benötigen ausgiebigen, qualitativ hochstehenden Kontakt zur
Zielsprache. Die Erwartung, ein früher Beginn sei der wichtigste Aspekt für
erfolgreiches Sprachenlernen, reicht deutlich nicht.
Die Ergebnisse der erwähnten Studie
kontrastieren stark zur Realität des Schweizer Sprachenkonzeptes. Aufgrund
hirnbiologischer Annahmen setzt man hier auf einen möglichst frühen
Fremdsprachen-Unterricht. Dabei wird übersehen, dass wöchentlich bloss 2-3
Lektionen dafür zur Verfügung stehen. Alle Experten sind sich einig, dass diese
über fast die gesamte Schulzeit verteilte, karge Lektionszuteilung keine Fortschritte gegenüber einem späteren
Beginn bringen kann. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob sich die
gewaltigen Anstrengungen im Zusammenhang mit der Vorverlegung des
Fremdsprachen-Unterrichts auch wirklich auszahlen werden. Die Studie aus
Spanien legt dazu nun erstmals Langzeitdaten vor.
Urs Kalberer
Carmen Munoz, Professorin an der Universität Barcelona
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