Der Aargauer Volksschule gehen die Lehrpersonen
aus. Eine Entspannung könnte das neue Lohnsystem bringen. Doch das tritt
frühestens im Sommer 2021 in Kraft. Jetzt kritisieren die Schulleitungen
Bildungsdirektor Alex Hürzeler: Sie fühlen sich von seinem Departement im Stich
gelassen.
Aargauer Volksschule gehen Lehrpersonen aus - Schulleiter kritisieren Alex Hürzeler, Aargauer Zeitung, 3.9. von Jörg Meier
Jedes Jahr müssen im Aargau rund 470 Lehrpersonen
an der Volksschule ersetzt werden. Von der Pädagogischen Hochschule kommen aber
nur 250 bis 300 neue Lehrerinnen und Lehrer an die Aargauer Schulen.
Das hat Konsequenzen für den Schulbetrieb: An
zahlreichen Schulen mussten Notlösungen getroffen werden, damit der Unterricht
stattfinden kann. So wurden Klassen zusammengelegt, das Fächerangebot wurde
reduziert, heilpädagogische Massnahmen können nicht oder nur teilweise
angeboten werden. Und es unterrichten vielerorts Lehrpersonen, welche die an
sich vorgeschriebene Ausbildung nicht aufweisen. Das führt dazu, dass
etablierte Lehrpersonen und Schulleitungen häufig zusätzliche Aufgaben
übernehmen müssen: Sie betreuen und coachen die Quer- und Neueinsteiger.
Die Kompromisse bei der Stellenbesetzung nehmen
ständig zu und die Lösungen werden unbefriedigender. «Solche Notmassnahmen sind
keine Lösungen», sagt Philipp Grolimund, Co-Präsident des Schulleiterverbandes.
Zwar sei die Anstellung von Lehrpersonen Aufgabe der Schulen vor Ort, sagt
Grolimund. Doch die Schulleitungen fühlten sich oft vom Kanton im Stich
gelassen. Der Ernst der Situation werde vom Bildungsdepartement
heruntergespielt. Er sehe weder ein griffiges Konzept noch konkrete Lösungsangebote.
«Nur schon etwas Transparenz und Offenheit vonseiten des Kantons wären
hilfreich», sagt Grolimund und erzählt von Schulleitenden, die sich als
Versager fühlen, weil es ihnen nicht gelingt, rechtzeitig genügend
qualifizierte Lehrpersonen zu finden.
Lohn ist künftig nicht mehr nur altersabhängig
Der Kanton gehe den Lehrermangel durchaus aktiv an,
entgegnet Christian Aeberli, Leiter der Abteilung Volksschule. Er verweist auf
geplante und eingeleitete Massnahmen: So hat das Bildungsdepartement (BKS) für
alle Schulleitungen ein Merkblatt verfasst mit Tipps für den Umgang mit nicht
besetzten Stellen. Zudem hat der Kanton Stelleninserate im deutschsprachigen
Ausland aufgeschaltet. Weiter werden die Studierenden an der Pädagogischen
Hochschule dazu aufgerufen, während ihres Studiums zur Lehrperson teilzeitlich
zu unterrichten.
Die Neuressourcierung, also die Zuteilung
finanzieller Mittel an die Schulen, ermögliche es den Schulleitungen, künftig
grössere Pensen zu verteilen, aber auch den Lehrpersonen eine gewisse
Pensensicherheit zu gewähren, erklärt Aeberli. Zudem möchte der Kanton in
Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule ein niederschwelliges
Ausbildungsangebot für Quereinsteiger und Wiedereinsteiger lancieren.
Vor allem aber setzt man im Kanton auf das neue
Lohnsystem, das ab dem Schuljahr 2021/22 zum Einsatz kommen soll. Das neue
System soll die Lohndifferenz zu den Nachbarkantonen verringern. Vorgesehen ist
zudem, dass der Lohn nicht mehr nur altersabhängig ist, sondern auch Funktion,
Verantwortung, Aus- und Weiterbildung werden lohnrelevant.
Auch für Schulleiter Grolimund ist das neue
Lohnsystem zentral. Dass es neben der besseren Bezahlung auch Laufbahnoptionen
enthält, findet er wichtig und richtig. «Denn dadurch wird der Beruf auch bei
den Männern wieder an Attraktivität gewinnen», sagt Grolimund.
Erfahrene Berufsleute erhalten Zugang «sur Dossier»
Und was tut die Pädagogische Hochschule gegen den
Lehrermangel? «Wir versuchen, unseren Studierenden mit unserem modularen
Studiensystem zu ermöglichen, während des Studiums Teilzeit zu unterrichten»,
erklärt Sabina Larcher, Direktorin der Pädagogischen Hochschule. Der
Beschäftigungsgrad aber sollte 50 Prozent nicht übersteigen. Das modulare
System ermögliche es den Studierenden zudem, Studium, Familie und Arbeit zu
vereinbaren. «Mittelfristig versuchen wir, unser System noch weiter mit den
Bedürfnissen der Studierenden und des Berufsfeldes abzustimmen», sagt Sabina
Larcher. Zudem biete die Pädagogische Hochschule einen attraktiven Zugang für
Quereinsteigende an. So haben erfahrene Berufspersonen «sur Dossier» Zugang zu
den Studiengängen; Personen mit Hochschulabschluss können mit individueller
Anrechnung von bereits erbrachten Studienleistungen rechnen.
Ein volles Pensum ist kaum mehr zu schaffen
Manfred Dubach, Geschäftsführer des aargauischen
Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (alv), sagt es pragmatisch: «Kurzfristig gibt
es wohl nicht viele Möglichkeiten, den Lehrermangel in den Griff zu kriegen.»
Das habe Folgen: «Wenn immer mehr nicht oder
ungenügend ausgebildete Lehrpersonen vor den Klassen stehen, nimmt die
durchschnittliche Qualität des Unterrichts ab.»
Das Geld, das der Kanton spart, weil ungenügend
ausgebildete Lehrpersonen weniger Lohn erhalten, sollten die Schulen erhalten,
fordert Dubach. «Es wäre zynisch, wenn der Kanton am Lehrermangel auch noch
verdienen würde», sagt er. Seiner Meinung nach könnten die Schulen dieses Geld
sehr gut für die Betreuung der neuen und nichtausgebildeten Lehrpersonen
brauchen.
Mittelfristig aber gehe es darum, den Lehrerberuf
und die Arbeitsbedingungen wieder konkurrenzfähig zu machen. Und zwar im
Vergleich zu anderen Kantonen. Aber auch im Vergleich zu anderen Berufen.
Das neue Lohnsystem sieht er als ersten und
wichtigen Schritt in diese Richtung. Auch, weil es eine lohnmässige
Differenzierung innerhalb der Tätigkeit vorsieht.
Dubach plädiert weiter dafür, dass junge
Lehrpersonen, die direkt von der Pädagogischen Hochschule kommen, nicht die
ganze Verantwortung für eine Klasse übernehmen müssen, sondern von Fachpersonen
begleitet und unterstützt werden.
Nach Ansicht von Dubach müsste man auch neu
definieren, was ein 100-Prozent-Pensum im Lehrerberuf bedeutet. «Es ist eine
Tatsache, dass die meisten Lehrpersonen Teilzeit arbeiten, weil das, was heute
als volles Pensum gilt, oft kaum noch zu schaffen ist.» Eine Anpassung der
Pflichtlektionen für ein Vollpensum nach unten würde den Beruf wieder
attraktiver machen, sagt Dubach.
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