20. Februar 2015

Umstrittenes neues Englischlehrmittel

Zusammen mit den Passesspartout-Kantonen (BS, BL, SO, BE, FR, VS) hat sich Graubünden für das Englischlehrmittel 'New World' (Klett) entschieden. Der Haken daran ist, dass die Bündner nunmehr seit drei Jahren mit Pilotausgaben arbeiten. Ein Pilotprojekt bedeutet, dass ein neues Lehrmittel in ausgewählten Klassen getestet wird. Nicht so in der Ferienecke der Schweiz. Ein ganzer Jahrgang der Schülerpopulation dient hier zur Erprobung des umstrittenen Englischbuches. Nun beginnt es aber zu rumoren. Die Oberstufenlehrer kritisieren das Vorgehen der Regierung scharf und fordern ein Aussetzen des Obligatoriums, bis die definitive Version vorliegt. Der Erziehungsminister Martin Jäger (SP) will davon nichts wissen und lässt weiterhin zu, dass kantonsweit Schulklassen zu Erprobungszwecken missbraucht werden.
Erprobungsfassung von New World 3 stösst auf wenig Gegenliebe, Schulblatt LEGR, Februar 2015, von Andreas Spinas


Anlässlich der Jahresversammlung der Fraktion Sek1 im September in Landquart hat ein  engagierter und erfahrener Sekundarlehrer aus dem Domleschg den Mut gefunden seine Unzufriedenheit über das neu eingeführte Englischlehrmittel „New World 3“ bei der Kommission Sek1 zu deponieren, mit der Bitte eine Umfrage durchzuführen um den „Puls“ der Englischlehrerschaft zu fühlen.

Die Umfrage wurde noch im Herbst durch die Kommission Sek1 erstellt und ausgewertet. Die Resultate waren überraschend klar. Von 79 Lehrpersonen sind 55 mit der Erprobungsversion des Lehrmittels unzufrieden bis sehr unzufrieden. Fehlendes Übungsmaterial,  inexistente Lernziele, ein unklarer Aufbau und das Fehlen von niveaukompatiblen Lehrbüchern sind dabei die häufigst genannten Kritikpunkte. Konsequenterweise fordern 70% der Befragten von der Kommission Sek1 sich für eine Lockerung des Lehrmittelobligatoriums einzusetzten.

Die Kommission Sek1 hat daraufhin beim EKUD anlässlich des halbjährlich stattfindenden Austauschtreffens die Situation geschildert und folgende drei Anträge hinterlegt: 
  • Einsetzung einer Lehrmittelkommission, welche bei der Lehrmittelauswahl dem AVS beratend zur Seite steht.
  •  Aussetzung des Lehrmittelobligatoriums für die Erprobungsversion von „New World 3“ bis die definitive Version des Lehrmittels (Veröffentlichung Juli 2015) vorliegt und die Anforderungen der Kantiaufnahmeprüfung bekannt sind. 
  • Eine Lockerung des Lehrmittelobligatoriums, d.h. man stellt den Lehrpersonen verschiedene Lehrmittel zur Auswahl zur Verfügung.

Das AVS teilt mit, dass die Schaffung einer Lehrmittelkommission kein Thema sei und nimmt zu den anderen Anträgen wie folgt Stellung:

 Die Regierung hat in mehreren Beschlüssen festgehalten, dass der Kanton Graubünden sich der elaborierten Lösung der sechs Passepartout-Kantone anschliesst. Von einem "Versuch" kann daher keine Rede sein. Dadurch, dass der Kanton Graubünden das Fach Englisch auf der Primarstufe ein Jahr früher einführte als die Passepartout-Kantone, steht für den ersten Jahrgang erst die Erproberversion zur Verfügung. Um den Unterricht von der Primarstufe her nahtlos weiterführen zu können und eine einheitliche Schnittstelle zur Sekundarstufe II  zu schaffen, muss dieser erste Jahrgang gemäss Beschluss der Regierung bis und mit Schuljahr 2016/17 auch auf der Sekundarstufe I durchgehend und in allen Klassen mit der Erproberversion geschult werden. 

Die Regierung wird das Obligatorium für das auf den Lehrplan 21 zugeschnittene "New World" unverändert beibehalten und auch keine Varianten dazu zulassen. Alternativ-Obligatorien wie im Kanton Zürich sind im Gesetz für die Volksschulen des Kantons Graubünden nicht vorgesehen, führen zu Unsicherheiten an den Schnittstellen zur Primarstufe sowie zur Sekundarstufe II  und benachteiligen zudem die italienischsprachigen Schulen, für die vom obligatorischen Lehrmittel eine Spezialausgabe mit italienischen Texten herausgegeben wird.

Da der Kanton Graubünden einer der ersten Kantone ist, welcher das unfertige Lehrmittel flächendeckend einsetzt, während andere Passepartout-Kantone es lediglich in Pilotklassen einsetzt, kann man wohl durchaus von einem grossangelegten Versuch  mit unseren Lernenden sprechen. Pikant an den Argumenten des AVS ist zudem die Tatsache, dass im Fach Mathematik gerade die Schnittstelle zwischen Primar- und Oberstufe auch seit der Einführung des neuen Mathematiklehrmittels der OS weiterhin nicht gegeben ist, fehlt doch das angepasste Lehrmittel für die 5./6. Klasse. Die Oberstufe musste aber unbedingt das neue Lehrmittel einführen, da sonst ein parallel laufender Niveauunterricht nicht gewährleistet werden könne.  Bei der Erprobungsversion New World fehlen bisher aber genau die auf das Lernniveau der Schülerinnen und Schüler angepassten Bücher gänzlich. Zudem ist die Lehrmittelwebsite nach wie vor nicht aufgeschaltet und ein Grossteil der  Materialen ist noch in Vorbereitung.
Gemäss dem Klett Verlag wird die gesamte Ausgabe des Lehrmittels New World 3 mit sämtlichen Materialen und dem Niveauunterricht angepassten Coursebooks per Juli 2015 zur Auslieferung bereitstehen.

Ein kleiner Trost für den ersten Bündner Jahrgang von Lernenden, welcher schon  in der Primarschule und nun auch noch drei Jahre auf der Oberstufe mit Erprobungsversionen lernen muss. Auch nur ein kleiner Trost für alle gut ausgebildeten Englischlehrpersonen, welche im Wissen um die Existenz von wirksamen und weltweit erprobten Englischlehrmitteln mit einer Betaversion von New World  unterrichten müssen. 

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